Schafe, Hirsche und Wildsäue findet man auf der Höhe um Bergrothenfels – und mich, Chef-Eselin Lilly und meine Artgenossen. „Fehlen eigentlich nur noch Kamele, dann wäre Gottes Schimpfwörter-Tiergarten fast komplett“, sagt mein Mit-Esel Odysseus. Seinen leicht süffisanten Seitenblick auf die Wohnhäuser im Reiche der aufrecht gehenden Zweibeiner habe ich aber nicht als Suche nach den noch fehlenden Tierarten missdeutet. Dafür haben wir uns viel zu lieb, wir Grautiere und die paar Hundert Bercher.
Wir, das sind Odysseus, Grisella, Zampano, Gelsamina, Peppone und Dona Camilla – und eben ich, Lilly, die Bercher Ur-Eselin. Zuerst war Odysseus da, dann kam ich. Die anderen wurden nach und nach hineingeboren ins Paradies. So kommt es mir jedenfalls vor, wenn uns zwei Hand voll Rothenfelser zwischen fünf und etwa 50 Jahren verwöhnen: die Familien Stefanie Weis und Markus Dürrnagel sowie Astrid und Norbert Reuber mit ihrer fröhlichen Kinderschar. Eine Ausnahme ist Alban Schäfer, der ist immerhin schon 87 und von beneidenswerter Tatkraft. Sie alle beweisen uns tagtäglich mindestens zweimal, dass Tierliebe mehr ist, als für einen gedeckten Futtertrog zu sorgen.
Auch wir Esel sind einsam, wenn uns kein liebes Wort beweist, dass es außer Ih-Ah noch andere Sprachen gibt. Streicheleinheiten tun uns genauso gut wie den Menschen, dem Goldhamster oder Hund und Katz. Gut, man muss uns ja nicht unbedingt abknutschen, aber ein lieber Blick in unsere Augen erfüllt den selben Zweck. Wir Esel sind ausgesprochen schmusebedürftig und in der Lage, uns eng auf Menschen einzustellen. So haben natürlich alle Kinder und Erwachsenen, die uns besuchen kommen, einen Lieblingsesel.
Die Esel-Ära bei uns in Berch begann 1997, als Frauchen und Herrchen, die Pianistin Luise und der Verleger Prof. Johannes Königshausen mich zu sich holten. Josef und Connie Hock verpachteten ihnen eine ihrer Wiesen. Ihr Sohn Stephan wuchs schon mit uns auf. Später kam ein größeres Gelände von Werner Zürn hinzu. Natürlich brauchen wir nicht nur im Sommer, wenn wir draußen sind, etwas zu fressen. Dafür sorgen Willy Völker, Sohn Winfried und nun schon in dritter Generation auch Dominik.
Wir Esel bereichern die Höhen um Berch mit unserer Exotik – aber, zugegeben, wir machen auch Mist. Der hat sogar schon viele Freunde bei den Familien mit Nebenerwerbslandwirtschaft gewonnen. Mittlerweile holen sich auch Privatleute unseren Naturdünger für ihre Kleingärten.
Hufpflege, ab und an Impfungen und tiermedizinische Vorsorge, Versicherungen – an uns hängt schon viel Arbeit. Fast das ganze Jahr sind umfangreiche Arbeiten an Zäunen erforderlich. Auch das geschickte Umstecken der elektrischen Zäunungen verlangt viel Kenntnis. Dies und das Aufklauben der Mistbollen auf den Wiesen zweimal täglich, das Füttern, Stallausmisten, und, und, und – all das wäre für unsere Menschen-Eltern, die Königshausens, gar nicht alleine zu bewältigen, schließlich sind sie beide berufstätig. So hat sich mit den Jahren eine bestens eingespielte Mann-, Frau- und Kinderschaft herausgebildet, die uns regelmäßig ausführt, reitet, pflegt und mit uns wandert. Viele Bercher besuchen uns mit ihren Kindern und auch bei Gästen der Burg Rothenfels sind wir eine Attraktion.
Weil ich selbst nicht schreiben kann, habe ich Frauchen Luise vor einigen Jahren einen Brief diktiert, den sie dann an das schweizerische Verteidigungsministerium geschickt hat: „Lieber Herr Minister, unser deutscher Verteidigungsminister besitzt dummerweise keine Eselkompanie, nur ein paar Maultiere. Deswegen kann ich in Deutschland auch keinen Eselpacksattel mit Munitionstaschen kaufen. Nun habe ich gehört, dass es so etwas in der Schweizer Armee noch geben soll. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich einen solchen Sattel für unsere Eselgruppe erhalten könnte. Mit bestem Gruß – Deine Lilly“. Nach zwei Monaten kam ein zweiseitiger Antwortbrief aus dem Schweizer Verteidigungsministerium im Auftrag von einem gewissen Herrn Ogi mit der Anrede: „Liebe Lilly!“ und einem tollen Armeepacksattel für Esel.
Wie gut ich mich mit Menschen verstehe oder – besser gesagt – wie gut mich Menschen verstehen, hat man auch neulich wieder gesehen. Da hat mich der Herr Schwamberger von der Main-Post besucht. Was er dabei alles erfahren hat, habt ihr gerade gelesen . . .