Kurt Rosenberger und sein Cousin Hilmar Kuhn waren von Anfang an dabei. Rosenberger besitzt noch heute handgeschriebene Noten, die wahrscheinlich zum Teil vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Mit ihnen spielte damals die „Kapelle Hofmann“, die sich bereits 1933 gründete und die nach dem Zweiten Weltkrieg die erste Tanzkapelle in Langenprozelten war.
„Königlich Bayerisches Amtsgericht“ prangt auf der Vorderseite des Aktendeckels, „Nachricht über Begnadigung“ auf der Rückseite. Etwas modrig riechen sie, die vergilbten Papiere, die Kurt Rosenberger aus dem abgegriffenen blauen Umschlag zieht. Es sind keine Akten, sondern Noten: ein Weihnachts-Potpourri, eine Lustspiel-Ouvertüre, die Stimmen für Saxophon, Klarinette oder Posaune, handgeschrieben von Alois Hofmann.
Er war der Namensgeber der Hofmann-Kapelle, ihr Dirigent und ihr Notenschreiber. Erhältlich waren damals meist nur die Piano-Stimmen, für die restliche Besetzung mussten die Noten selbst umgeschrieben werden. Dass die handgeschriebenen Originale bis heute in einer so ungewöhnlichen Verpackung überlebt haben, hat einen einfachen Grund: Hofmann arbeitete beim Amtsgericht Aschaffenburg. Und da es damals kaum Aktenordner zu kaufen gab, muss er jene aus der Zeit der Königlich Bayerischen Monarchie wohlweislich zweckentfremdet haben. Das zumindest vermutet Kurt Rosenberger, in dessen Besitz die Noten heute sind.
Etwa ab 1947, als die Kapelle Hofmann in Langenprozelten wieder aktiv wurde, spielte Rosenberger als Geiger im Ensemble mit. Seine Musikkarriere begann er im Spielmannszug der Hitlerjugend: „Wir waren ja damals Kinder und wussten nichts von Hitler. Wir waren nur froh, Instrumente zu bekommen.“ Eine Querflöte war sein erstes Instrument. An den späteren Geigenunterricht bei Gretl Ebert kann er sich noch gut erinnern: „Dafür musste ich bis nach Schaippach laufen. Aber es hat sich gelohnt.“
Fünf Tage hintereinander
Mit der Kapelle Hofmann spielte der heute 73-Jährige bis 1951 jedes Wochenende, meist in der Gaststätte „Zum Schlappen“ auf. „An Fasching und Kirchweih haben wir manchmal fünf Tage hintereinander gespielt“, erinnert sich Rosenberger. Einige der Musiker wechselten nach der Auflösung zur Gruppe „Goldene Fünf“. Rosenberger spielte in der Bundesbahnkapelle in Gemünden.
1953 gründete dann sein Cousin Hilmar Kuhn als 19-Jähriger die Tanzkapelle „Milano“ in Langenprozelten. „Ich kann mich gut an unseren ersten Auftritt an Fasching im ehemaligen Gasthof Engel, der heutigen Spessartgrotte, erinnern“, sagt Kuhn, der heute ebenfalls 73 Jahre alt ist. „Die ,Goldenen Fünf‘ haben im Nebenzimmer mit aufgebauten Instrumenten gewartet, weil sie dachten, wir schaffen das nicht. Aber der Saal hat gebrummt und wir haben ein super Konzert gehabt.“ Geschenkt hätten sich die drei Tanzkapellen, die zeitlich zum Teil nebeneinander existierten, damals nichts. „Es gab schon Konkurrenz.“
Umso besser für die ausgehfreudigen Langenprozeltener in den Fünfzigern: „An Fasching kamen manche vier Tage nicht mehr heim, höchstens zum Umziehen“, sagt Kuhn. Oft hätten sie bis morgens um sechs Uhr gespielt und die Meute tanzte bis dahin durch. „Die Musik war in dieser Zeit mehr oder weniger alles für uns. Es gab ja nichts anderes“, so Kuhn. Deutsche Schlager wie die „Capri-Fischer“ oder „Mariandel“ hat die Tanzkapelle „Milano“ zum Besten gegeben. Auch Rosenberger war festes Mitglied, mittlerweile auch am Saxophon und auf der Posaune. Viel verdient haben die Musiker bei ihren Auftritten allerdings nicht: Manchmal waren es 20 Mark pro Person.
Auflösung in den Sechzigern
Bis 1962 gab es die Tanzkapelle „Milano“, 1960 löste sich die Kapelle „Irma“ auf und bereits 1956 wurden die „Goldenen Fünf“ Geschichte. „Mitte der Sechziger änderte sich allmählich auch die Musik und damit die Besetzung in den Kombos“, sagt Kuhn. Hätten die Musiker von „Milano“ meist noch ohne Verstärker gespielt – für ihren ersten zehn Watt Verstärker mussten sie bei der Bank einen Kredit aufnehmen – kamen die nachrückenden Gruppen ohne elektronische Instrumente nicht mehr aus: Der E-Bass löste den Kontrabass ab, Rock'n'Roll ersetzte Tango, Polka und Fox.
Für Kuhn und Rosenberger ist Musik weiterhin „mehr oder weniger alles“ geblieben. Rosenberger lernte immer mehr Instrumente und probierte sich aus. Kuhn forschte in der Geschichte Langenprozeltens und fand unter anderem heraus, dass die erste Blaskapelle 1873 von Fritz Imhoff gegründet wurde. Heute spielen beide im Seniorenorchester des Nordbayerischen Musikbundes in Hammelburg. Kuhn wurde bereits 2003 vom Deutschen Blas- und Volksmusik-Verband für 60 Jahre aktives Musizieren ausgezeichnet, Sein Cousin Kuhn für 50 Jahre.