Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Gemünden
Icon Pfeil nach unten

WERNFELD: Die perfekte Pose des rotäugigen Mädchens

WERNFELD

Die perfekte Pose des rotäugigen Mädchens

    • |
    • |

    Experten kennen sie unter der Bezeichnung Russen, Marder, Englische Schnecken, Kleinchinchilla oder Hermelin, für den Laien sind es ganz einfach Zwergkaninchen. Ludwig Schäfer züchtet die Tiere seit 1958. In der Holzhütte, die ein wenig oberhalb vom Wohnhaus der Familie steht, stapeln sich auf beiden Seiten die Käfige. Dort sitzt der ganze Stolz von Ludwig Schäfer auf frischem Stroh. Das weiße Fell leuchtet im schummrigen Licht des Käfiginneren. Weiße Hermelin Rotauge, heißt die Rasse, die der Wernfelder bevorzugt züchtet.

    Zeit für Zweisamkeit

    „Wir haben bislang erst einen Wurf Junge, das ist für diese Zeit eigentlich zu wenig“, sagt er. Im rechten hinteren Eck eines Käfigs drängen sich drei weiße Fellbündel zu einem einzigen großen Knäuel zusammen. „Eine andere Häsin hat ihre Jungen verloren. Die lagen tot im Käfig. Anscheinend hat sie kein richtiges Nest gebaut“, erklärt Schäfer. Für seine weißhaarigen Häsinnen ist nur ein Rammler zuständig. Wenn die Zeit für Zweisamkeit gekommen ist, setzt Schäfer die Häsin zu dem Rammler in den Käfig, nicht umgekehrt. Das ist wichtig, denn „die Damen dulden den Rammler nicht in ihrem Revier.“

    Ludwig Schäfer notiert sich das genaue Datum, damit er weiß, wann wieder mit Nachwuchs zu rechnen ist. „Eigentlich müsste es bald so weit sein“, sagt er und greift in das Innere eines Käfigs. Die auserwählte Hasendame will nicht so wie Schäfer will, aber mit einem geübtem Griff setzt Schäfer dem Strampeln ein Ende. Früher ist der Züchter mit seinen Tieren bis nach Straßburg und Stuttgart gefahren. Heute nimmt er nur noch an den Vereins- und Kreismeisterschaften teil. „Das ist mir einfach ein bisschen zu viel geworden.“

    Sein Hobby ganz aufzugeben, daran hat der Rentner aber noch nicht gedacht. „Andere sammeln Briefmarken oder züchten Tauben. Ich züchte eben Kaninchen.“ Dass es mit der Zucht alleine nicht getan ist, wird schnell deutlich, wenn man Ludwig Schäfer ein Weilchen mit seinen Tieren beobachtet. Er bugsiert die widerborstige Häsin auf ein Tischchen und zieht mit einer routinierten Bewegung die Ohren an ihren Spitzen nach oben. Die Häsin sitzt da wie eine Eins.

    Ihre Löffel liegen eng beisammen und sind leicht nach hinten geneigt. Das ist die Kampfrichter-Haltung. Keine Pose mit der das rotäugige Mädchen bei Germany's Next Topmodel punkten würde, für eine Kaninchen-Show ist ihre Haltung jedoch einfach top: kerzengerade und die Brust stolz nach vorne gewölbt. Es kommt bei der Bewertung aber nicht nur auf die Haltung an. „Das Fell muss eine gewisse Dichte haben, und die Ohren dürfen nicht länger als fünfeinhalb Zentimeter sein“, zählt Schäfer weitere Merkmale auf. Um ein gutes Kaninchen zu erkennen, braucht der Rentner längst kein Lineal mehr. „Das sehe ich auch so.“ Seine Models müssen übrigens auch auf ihr Gewicht achten. Sie dürfen nicht mehr als 1300 und nicht weniger als 1100 Gramm wiegen.

    Ein Topmodel namens Hansi

    Das nächste Tier, das Schäfer aus einem Käfig fischt, ist ein kapitaler Rammler und der ganze Stolz des Züchters. „97 Punkte hat der gemacht.“ Der Rammler, der noch ein wenig irritiert aus der eigenen Wolle schaut, gehört zu der Rasse Farbenzwerge Grau und heißt „Hansi“, so wie alle anderen Kaninchen von Ludwig Schäfer auch, egal ob Männlein oder Weiblein. Seine Krallen müssen dringend einmal wieder geschnitten werden, „das muss ich heute Abend gleich machen, alles andere wäre Tierquälerei“, sagt sein Besitzer.

    Die Ohren des Farbzwergs wollen sich nicht so recht in die Höhe schrauben, da hilft auch keine sanfte Gewalt. Der Rammler ist heute ein bisschen bockig. Dabei gehört er quasi zu den Topmodels unter den Kaninchen. 97 Punkte bedeuten, dass das Tier mit der Note „vorzüglich“ bewertet wurde. Um die 50 Euro ist der Rammler wert, aber verkaufen wird Ludwig Schäfer den Prachtburschen nicht. Der wandert, so wie viele andere Tiere vor ihm, in die heimische Tiefkühltruhe. Von wo aus er einen prächtigen Sonntagsbraten für die Familie abgibt. „Manchmal tut es einem schon ein bisschen leid. Aber wo soll ich denn auch mit den ganzen Kaninchen hin?“, sagt der 75-Jährige fast entschuldigend.

    Irgendwie scheint der Rammler das drohende Unheil zu spüren – das Osterfest steht vor der Tür – und nimmt plötzlich Haltung an. Dabei hat er als aktiver Liebhaber so schnell nichts zu befürchten. Es sei denn, sein Besitzer vergreift sich aus Versehen an ihm. „Das ist mir ein einziges Mal in meiner ganze Züchterlaufbahn passiert. Da habe ich den Rammler geschlachtet. Gemerkt habe ich das erst ein paar Tage später.“ Geschmeckt hat es der Familie trotzdem, auch wenn sich Schäfer dann erst einmal wieder auf die langwierige Suche nach einem neuen Gefährten für seine Häsinnen machen musste. Schäfer streicht seinem Prachtburschen jetzt liebevoll über das weiche Fell. Er mag seine Kaninchen: Gepflegt ebenso wie mariniert.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden