Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Gemünden
Icon Pfeil nach unten

OBERSINN: Die Wehners: Eine Familie hielt Obersinn in Atem

OBERSINN

Die Wehners: Eine Familie hielt Obersinn in Atem

    • |
    • |
    Wilderer am Werk: Wie in „Die Wilddiebe“ (1830) von Louis Kramp haben sich auch die Wehners von Gewildertem ernährt.
    Wilderer am Werk: Wie in „Die Wilddiebe“ (1830) von Louis Kramp haben sich auch die Wehners von Gewildertem ernährt. Foto: Lithografie: Louis Kramp

    „Obersinn und der obere Sinngrund waren landauf, landab berüchtigt“, schrieb der ehemalige Obersinner Pfarrer Sebastian Wolf über Verstöße gegen Recht und Ordnung Mitte des 19. Jahrhunderts. Vor rund 150 Jahren trieb es in Obersinn eine Familie offenbar besonders bunt: die Wehners. Der Würzburger Stadt- und Landbote schrieb im August 1860 vom „berühmten Hause Wehner“. Einbrüche, Wilderei und Körperverletzung waren einer ganzen Reihe von Familienmitgliedern nicht fremd. Höhepunkt war eine spektakuläre Festnahme mehrerer Wehners in einer gemeinsamen Aktion bayerischer und hessischer Gendarmen.

    Einem breiteren Publikum wurde die berüchtigte Familie 1856 bekannt. Damals kam heraus, dass ein Philipp Wehner mit seinen Söhnen Peter und Johann und dem Neffen Philipp schuld am Tod von 50 Schweinen war. Die Männer und Knaben vergifteten vom Herbst 1854 bis ins Frühjahr 1855 in Obersinn und Jossa Schweine mit Phosphor. Anschließend verkauften sie die toten oder erkrankten Tiere billig als „Wildschwein“ oder als Wurst nach Hammelburg, Würzburg und Schweinfurt. Die Wehners, über die im Folgenden zu lesen sein wird, waren offenbar alle Kinder oder Neffen und Nichten des in Mittelsinn geborenen Philipp Wehner.

    Im März 1859 sollen die ledigen Burschen Kaspar, Johann und Peter Wehner in Wartmannsroth einen Gastwirt und einen Landwirt bestohlen haben, weswegen sie dringend gesucht wurden. Außer Kleidung sollen sie ein Lamm und ein Schaf gestohlen und unweit des Ortes geschlachtet haben. Der „höchst übel beleumundete“ Johann Wehner soll zudem im Juni 1859 drei Bürger in Modlos bestohlen haben, weswegen er dringend gesucht wurde. Die Not war damals bekanntlich groß im Sinngrund wie im ganzen Spessart. Die Wehners gehörten zu denen, die es deshalb nicht so genau mit Recht und Ordnung nahmen.

    Philipps Kinder Adam, Katharina und Karolina Wehner wurden 1861 wegen mehrfachen Diebstahls zu je acht und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Allerdings versuchten sie offenbar, sich durch Flucht ihrer Strafe zu entziehen. Die 24-jährige Katharina Wehner – es ist unklar, ob es sich um dieselbe wie oben handelt, da es wohl zwei gab – wurde 1863 wegen Landstreicherei zu einer 21-tägigen „geschärften Arreststrafe“ verurteilt und anschließend aus Bayern ausgewiesen. Das war im Mai. Im August war sie aber spätestens wieder im Lande, wurde für 30 Tage weggesperrt und erneut ausgewiesen.

    Aufsehenerregend war jedoch vor allem der Fall des Kaspar Wehner. 1859 wurde der Tagelöhner wegen „Concubinats“, also einer unehelichen Beziehung, des Landes verwiesen. Das „übelberichtigte Subjekt“ blieb allerdings nicht lange fern, denn Ende Februar 1860 verletzte er in einem Obersinner Wirtshaus den „Cooperator“ (Hilfsgeistlichen) Grünewald mit mehreren Messerstichen. 1863 suchte die Polizei Wehner, weil er aus dem Gefängnis im hessischen Schwarzenfels ausgebrochen war.

    Dort war er inhaftiert, nachdem er einen Kaplan Steigerwald verletzt hatte. Nun machte er mit weiteren Mitgliedern der Familie Wehner „die Gegend von Obersinn und Brückenau unsicher“, wie der Stadt- und Landbote schrieb. Schließlich nahmen bayerische und hessische Polizisten den Flüchtigen im August 1863 zusammen mit vier Genossen, offenbar alle Wehner, fest. Wehner hatte sich im Wald in einer Hütte aus Grassoden und Steinen versteckt, die von drei Seiten nicht zu sehen gewesen sein soll. Ein Loch zur Waldseite hin führte schließlich zur Entdeckung Wehners.

    Die Wehners waren obschon Obersinner alle Hessen. Das kam daher, weil Obersinn damals zum Teil bayerisch, zum Teil hessisch war. „Kondominat“ nannte sich dies. Im Fall der im Wald Festgenommenen führte das zu einem Kompetenzgerangel: Verhaftet wurden sie zwar von bayerischen Polizisten aus Brückenau, weshalb sie dort abgeliefert wurden, doch da sie auf Kondominatsgebiet gefasst wurden, sollten sie vor ein Kondominatsgericht gestellt werden, wie das hessische Amt Schwarzenfels verlangte. Die Aschaffenburger Zeitung schrieb dazu: „Wer hätte geglaubt, daß man sich je um die Beherbergung dieser Wehner streiten würde?“

    Doch damit nicht genug. Im März 1867 wurde Kaspar Wehner wegen „Gewaltthätigkeit gegen einen öffentlichen Diener“, wegen Wilderei und Misshandlung seiner Schwester Sabina zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Neben anderen Mitgliedern einer Obersinner Wildererbande wurde dabei ein Johann Wilhelm Wehner verurteilt. Im August desselben Jahres wurden Peter, Philipp und Adam Wehner wegen Diebstahls und „Widersetzung“ zu vier Jahren Haft verurteilt, die Witwe Anna Maria Wehner zu einem Jahr und 15 Tagen.

    Interessant auch die Geschichte von Anton Wehner, der im Juli 1868 aus seiner Zelle in der Lohrer Fronfeste zu fliehen versuchte. Dafür brach der 23-jährige Schuhmachergeselle den Fußboden zur darunter liegenden Zelle durch und wollte den Ofen einreißen, um durch das entstehende Loch zu entkommen. Allerdings machte der beim Einreißen des Ofens entstehende Staub den Gefängniswärter auf die Sache aufmerksam und Wehners Plan misslang. Der „trotz seiner Jugend schon vielfach mit Arrest, Gefängniß und Zuchthaus“ bestrafte Wehner hatte allen Grund zum Ausbrechen: Er wurde wegen drei schwerer Diebstähle zu einer über zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

    „Die meisten von ihnen starben im Zuchthaus.“

    Pfarrer Sebastian Wolf über die Familie Wehner

    Bis in die 70er Jahre hinein, so Pfarrer Wolf in seinen Aufzeichnungen, sei in Obersinn niemand vor Diebstählen sicher gewesen, auch das Vieh in den Ställen nicht. Die Wehners brachten es zu sprichwörtlicher Bekanntheit. „Es bildeten sich früher wirkliche, organisierte Räuberbanden, die ,Wehner‘ (gemeinhin ,Preußen‘)“, schrieb Wolf, „die von hier aus ihre Züge weit in das Land hinein machten.“ Der gebürtige Obersinner Anton Schäfer erinnert sich, dass es noch in seiner Jugend in Obersinn das Schimpfwort „Wehner“ für „Spitzbuben aus Hessen“ gab.

    Und was ist aus all den Wehners geworden? „Die meisten von ihnen starben im Zuchthaus“, so Pfarrer Wolf. Einer davon, so ist in den Matrikelbüchern Obersinns zu lesen, war Anton Wehner. Der Fast-Ausbrecher starb 1875 auf der Kulmbacher Plassenburg, damals ein Zuchthaus, an Lungentuberkulose. Der Obersinner Leo Breitenbach sagt, er habe gelesen, dass ein Wehner beim Wildern von einem Förster erschossen worden sein soll – und zwar von hinten.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden