Vom Olympiasieger zum Orthopäden: Dieser Werdegang des in Marktheidenfeld lebenden Ex-Schwimmers Roland Matthes stieß auf so großes Interesse, dass 100 Personen zum Vortrag in die Aula des Friedrich-List-Gymnasiums kamen. In der Vortragsreihe „FLG – Wissen für alle“ referierte der ehemalige Weltklasseschwimmer, mehrfache Olympiasieger und vielfache Weltmeister über seine Lebensgeschichte in der DDR und den Leistungssport.
Matthes begann als Zehnjähriger mit dem Schwimmen: Sein Bruder nahm ihn mit, und weil er so groß und dünn war, trug er den Spitznamen Gandhi. Matthes nimmt an, dass er deshalb so gut vorankam, weil er schnell wieder aus dem Wasser wollte. Denn in Erfurt plätscherte kaltes Thüringer Naturwasser im Becken. „Das Schönste war deshalb immer das warme Duschen hinterher.“
Schon früh lernte er die Trainerin Marlies Grohe kennen, die für seine sportliche Laufbahn entscheidend werden sollte. „Sie erkannte sofort, dass ich eigentlich eine faule Socke war und verstand es hervorragend zu motivieren.“ Mit dem sportlichen Erfolg ging es auch in der Schule bergauf, wobei später vier- bis sechsmal täglich Trainingseinheiten auf dem Tagesplan standen und schulische Kenntnisse in Trainingslagern oder bei Vorbereitungsaufenthalten mehr individuell vermittelt wurden.
Als Druck habe er das nicht empfunden, auch nicht als Kasernierung, antwortete Matthes auf Fragen. Man habe sich natürlich einen Spaß daraus gemacht, die Trainer und Lehrer auszutricksen und natürlich gab es auch Durchhänger, räumte er ein. In solchen Situationen habe sich die Qualität seiner Trainerin erwiesen, die ihn nicht nur bei dem etwa 18 Kilometer betragenden Tagespensum, am Beckenrand auf- und abgehend, begleitete.
Kontakte zu westlichen Athleten bei Wettkämpfen seien schon wegen der gleichen Sprache kein Problem gewesen, was selbstverständlich nicht an die große Glocke gehängt worden sei. Es gab schließlich auch Orte, an denen keine Funktionäre dabei waren – die Duschen zum Beispiel, sagte Matthes lächelnd.
„Sie erkannte sofort, dass ich eigentlich eine faule Socke war und verstand es hervorragend zu motivieren.“
Roland Matthes über seine Trainerin
Offiziell wurde Distanz gehalten. Vor Auslandsaufenthalten gab es Warnungen vor dem Klassenfeind, da waren dann die so genannten Sicherheitsnadeln dabei. Trotzdem habe er es mehrfach erlebt, dass sich Kameraden absetzten. „Geld hatten wir keines, kauften höchstens mal für ein paar gesparte D-Mark eine Lewis-Jeans, die es im Osten nicht gab.“ Gutes Essen war für Spitzensportler dagegen kein Problem, für ihn sowieso nicht. Er ist bis zum heutigen Tag ein ausgesprochener Kuchenfan: „Das hat den Vorteil, dass man nicht so viel kauen muss wie beim Steak.“
In Ungnade fiel Matthes, der schon entgegen der allgemeinen Regeln nach dem Sportlehrer-Diplom ein zweites Studium als Mediziner beginnen durfte, nach der Scheidung von Schwimmstar Cornelia Ender. Er war in den Augen der Staatsfunktionäre nicht mehr gesellschaftsfähig; der Regierungsapparat rief ihn zur Räson. Der Zusammenbruch des Regimes verhalf Matthes schließlich 1989 zur Übersiedlung in die Bundesrepublik.
Wie er das Doping aus heutiger Sicht beurteile, wollte Interviewpartner Oberstudienrat Roland Königer wissen. Doping habe seit Mitte der 1970er Jahre bei nahezu allen Nationen im Sport einen festen Stellenwert, antwortete Matthes. Das sei eine negative Begleiterscheinung der Kommerzialisierung. Die Funktionäre spielen mit, weil sie von den Erfolgen der Athleten leben, meinte er.
Die Herausstellung spezieller DDR-Geschichten sehe er in diesem Zusammenhang eher als Ablenkungsmanöver: „Früher waren es Nasentropfen, dann Testosteron und Kälbermastmittel und jetzt sind es Wachstumshormone. Wenn sie heute einen über 20-Jährigen, normalerweise ausgewachsenen Sportler plötzlich mit Zahnspange sehen, dann ist etwas faul. Dem treiben die Hormone wahrscheinlich die Zähne auseinander.“ Doping gebe es im Westen wie im Osten und was bei den Olympischen Spielen in China an Proben eingelagert wurde, will anscheinend gar keiner richtig untersuchen, meinte Matthes.
Weitere Veränderungen brachten die neuartigen, Auftrieb schaffenden Schwimmanzüge im Schwimmsport. Sie lassen zwar die Weltrekorde purzeln, aber die „Wurstpellen“ haben das Schwimmen verändert, weil die Kraft nur noch für den Vortrieb gebraucht wird. Er denke, dass die Verantwortlichen früher für klare Vorgaben hätten sorgen sollen. Aber es sei oft so, „wenn man für den Zuschauer interessante, mediengerechte Wettkämpfe will, entfernt man sich manchmal von grundlegenden Dingen“.
Ob er Eltern und Kindern zum Hochleistungssport raten könne, wollte eine Besucherin wissen. Wichtig sei eine breite Förderung, nicht die Entwicklung zum Fachidioten. „Wenn ich nichts gekonnt und gelernt hätte, außer schwimmen, hätte mich das nicht zufrieden gestellt“, sagte Matthes. Er habe in seiner Jugendzeit viel Spaß gehabt, was manche vielleicht heute nicht glauben wollen. „Es war eine Ära, die ich nicht missen möchte.“
Mit viel Beifall verabschiedeten die Zuhörer Roland Matthes, den Königer zum Schluss mit einem Pressezitat treffend charakterisierte: „Er gilt als Vorbild, ohne sich selbst als solches zu inszenieren.“