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Ein Kinderbuch im Kriegseinsatz

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Ein Kinderbuch im Kriegseinsatz

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    Illustration aus dem Kriegs-Struwwelpeter: Die Geschichte von den
schwarzen Buben.
    Illustration aus dem Kriegs-Struwwelpeter: Die Geschichte von den schwarzen Buben. Foto: FOTO SCHULMUSEUM

    "Kaum ein Kinderbuch fand in Deutschland eine vergleichbare Verbreitung" wie der Struwwelpeter, weiß Museumsleiter Eduard Stenger. "So konnte es nicht ausbleiben, dass die Hoffmannschen Motive auch zu Propagandazwecken eingesetzt wurden." Ziel des Frankfurter Psychiaters Hoffmann sei es gewesen, "in moralisierenden Versen den Kindern zu verdeutlichen, dass auf Fehlverhalten oder Ungehorsam stets notwendigerweise eine Strafe folgen muss".

    Gegner diffamiert

    Ein "deutliches Beispiel" dafür, dass der Struwwelpeter auch zur Vermittlung politischer Themen benutzt wurde, sei der 1915 erschienene "Kriegs-Struwwelpeter" von Karl Ewald Olszewski. "Das Buch versteht es", sagt Stenger, "die deutschen Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) zu diffamieren." Dies sei dadurch erfolgt, dass Olszewski die negativen Charaktere des Struwwelpeter durch Vertreter der Alliierten ersetzt habe. So werde aus dem Struwwelpeter der Bombenpeter.

    "Seht einmal hier steht er, pfui, der Bombenpeter! Der mit Haut und Haaren sich verschrieb dem Zaren, Ränke spann bei Tag und Nacht und so manchen umgebracht. Pfui, ruft da ein jeder, garst'ger Bombenpeter!"

    Mit dem Bombenpeter ist laut Stenger König Peter von Serbien gemeint. Der Text spiele auf dessen Zusammenarbeit mit Russland an und auf das Attentat von Sarajewo im Jahr 1914.

    Die "Geschichte vom bösen Friedrich" werde im Kriegs-Struwwelpeter auf Zar Nikolaus II. von Russland übertragen und erhalte den neuen Titel "Die Geschichte vom bösen Nicolai". Das Paulinchen mit dem Feuerzeug habe Olszewski in das französische Mariannchen verwandelt, "das nicht die Finger vom ,Revanche-Feuerzeug' lassen kann". Trotz der Warnungen von Minz und Maunz, die im Kriegs-Struwwelpeter deutsche und österreichische Militär-Kopfbedeckungen tragen, nehme "das Verhängnis seinen Lauf". Am Ende bleibe vom Mariannchen nur die Jakobinermütze zurück.

    Der Zappel-Philipp erhalte den neuen Namen Zappel-Beppo und ziele auf die italienische Wechselpolitik zwischen Mittelmächten und Alliierten ab.

    Die "interessanteste Neukreation" bildet laut Stenger aber "die Geschichte vom Neutralitätslutscher". Darin werde der Daumenlutscher Konrad durch den belgischen König Albert ersetzt.

    In der Geschichte von den schwarzen Buben sollten die Leser laut Stenger davon überzeugt werden, dass Deutschland am Kriegsausbruch keine Verantwortung trägt. Vielmehr sei der Krieg als Folge dessen dargestellt, dass das neidische Ausland dem Deutschen Reich seine Weltmachtposition nicht gönne. Im Kriegs-Struwwelpeter heißt es dazu:

    "Der Michel ging in Würd' und Ehr' in seinem Garten hin und her und pflanzt und goß und war erfreut, wenn wohl gedieh, was er betreut. Da kam der Nikolaus gerannt, mit seiner Schnapsflasch' in der Hand, der Franzmann zögert' auch nicht lang und gröhlet den Revanchegesang; auch Mister Grey war gleich dabei und glaubte, daß dies nützlich sei. Die dreie haßten Michel sehr, weil sie so fleißig nicht wie er, und weil von ihren Gärten keiner nur halb so gut wie Michel seiner. Sie wollten ihn zuerst verkeilen, dann unter sich den Garten teilen."

    "Kurioserweise", so Stenger, "fand im Zweiten Weltkrieg eine ähnliche Adaption des Struwwelpeter zu Propagandazwecken statt, nur diesmal von alliierter Seite." Der 1941 erschienene "Struwwelhitler - A Nazi Storybook by Dr. Schrecklichkeit" habe nach dem gleichen Prinzip gearbeitet, wie der deutsche Vorgänger, "indem er Führungspersönlichkeiten der Nationalsozialisten in die entsprechenden Rollen der Gedichte kleidete".

    So finde sich "Die Geschichte vom grausamen Adolf" neben der "Traurigen Geschichte vom Gretchen und der Kanone", gefolgt vom "Giftigen Füllerlutscher Gobby" (Goebbels) oder der Geschichte vom "Fliegenden Hermann" (Göring). Stenger: "Egal in welcher Zeit, in jeder hat der Struwwelpeter bis heute seinen Platz als Original oder Adaption beziehungsweise Parodie gefunden".

    Das Lohrer Schulmuseum in Sen- delbach hat von Mittwoch bis Sonntag sowie an Feiertagen (auch Pfingstmontag) von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können das Museum auch außerhalb dieser Zeiten besuchen, allerdings nur nach telefonischer Absprache, Tel.  (0 93 52)  49 60 oder (0 93 59)  3 17.

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