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SCHONDERFELD/VERSBACH: Ein Neunjähriger erlebt das Kriegsende auf Schloss Seewiese

SCHONDERFELD/VERSBACH

Ein Neunjähriger erlebt das Kriegsende auf Schloss Seewiese

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    Wie geht es weiter mit Schloss Seewiese?
    Wie geht es weiter mit Schloss Seewiese? Foto: Foto: Björn Kohlhepp

    Den Bericht über das Schloss Seewiese bei Schonderfeld, das nach dem Ende des dort über Jahre beheimateten Swingerclubs einer neuen Nutzung harrt, hat Martin Popp aus Versbach aufmerksam gelesen. Der ehemalige Würzburger Stadtrat, 80, war gegen Kriegsende als Patient dort einquartiert. Von dem Sanatorium aus, „im tiefsten Frieden“ gelegen, hat der damals Neunjährige als Zuschauer „wie im Kino“ die Bombardierung und Einnahme Gemündens und auch den Durchzug amerikanischer Truppen erlebt.

    Zum Jahreswechsel 1944/45 ist der kleine Martin mit Tuberkulose ins Würzburger Luitpold-Krankenhaus, die heutige Universitätsklinik, gekommen. Im Luftschutzkeller der Klinik erlebt er Fliegerangriffe.

    „Für uns war das wie ein Paradies.“

    Martin Popp über den Aufenthalt im Schloss

    Nicht weit von der Klinik, in der Theresienstraße beim Berliner Ring, wohnt seine Mutter mit der Schwester, der Vater ist schon früh gestorben. In der Klinik haben sie ihn „wieder ganz gut hergestellt“, wie Popp erzählt. Gerade, als er wieder nach Hause hätte gehen können, wird seine Familie am 3.

    März 1945 ausgebombt. Als die Ärztin der von der Nacht zuvor sichtlich gezeichnete Mutter in der Klinik mitgeteilt, sie könne ihren Buben mitnehmen, ist die Verzweiflung groß. Das Haus ist doch kurz vor dem Einstürzen.

    Die Ärztin hat ein Einsehen. Mit etwa zehn weiteren Kindern wird Popp auf das ehemalige Jagdschloss im Wald mit Blick auf das Saaletal verlagert. „Für uns war das wie im Paradies“, berichtet er. Die aus Würzburg mitgekommenen Ebracher Nonnen betreuen die Kinder: „Schwester Theobalda war für uns wie eine Mutter.“ Im Schloss sind auch weltliche „braune Krankenschwestern“, wie sie Popp aufgrund ihrer braunen Häubchen nennt, wohl Frauen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, mit denen die katholischen Schwestern „spinnefeind“ gewesen seien. Essen und Milch holen sie sich am anderen Saaleufer in Schonderfeld, wohin die Nonnen die Kinder auch in die Kirche schicken.

    Mitten in diesen Frieden hinein platzt bald doch der Krieg. Am 26. März suchen amerikanische Jagdbomber Gemünden heim. In Schonderfeld sehen sie die Flieger, hören die Bordkanonen und Einschläge, sehen Flammen und Rauch. Tage später zieht ein kleiner amerikanischer Panzertrupp mit Fußsoldaten in Tarnanzügen am diesseitigen Ufer Richtung Gräfendorf durch. Dem Treiben sieht Popp ohne Angst, aber mit gemischten Gefühlen, vom Balkon des Schlosses aus zu. Deutlich kann er sich an den weißen Stern auf den Panzern erinnern.

    In der Nacht darauf habe es den „allergrößten Rabatz“ gegeben, nahe Kampfhandlungen sind zu hören. Die Insassen des Schlosses flüchten in einen Vorratsraum im Keller. Am nächsten Tag stellen sie fest, dass die Saalebrücke in Schonderfeld in der Saale liegt. Gesprengt. Der Schonderfelder Gerhard Lutz weiß aus den Unterlagen seines verstorbenen Vaters Hugo, dass die Brücke Anfang April gesprengt wurde. Lutz erzählt, dass Einwohner des Dorfes den Wehrmachtssoldaten ein Rind anbieten, wenn diese die Brücke nicht sprengen. Das Rind nehmen sie gern, die Brücke sprengen sie trotzdem. Eine ältere Schonderfelderin erinnert sich, dass ein, zwei Tage nach der Sprengung die Amerikaner einmarschiert sind.

    Am Tag nach der Sprengung, so Popp, werden zwei neue Patienten im Schloss eingeliefert: ein Bub in seinem Alter aus Gräfendorf und eine Frau, beide leicht verwundet. Aus dem Wald schleicht sich zudem ein deutscher Deserteur mit „furchtbar ängstlichem Gesicht“ heran, bittet und bekommt auch Essen von den Nonnen, bevor sie ihn zum Hinterausgang hinausschicken. Über die Steine im Fluss können die Schlossinsassen zwar noch nach Schonderfeld gelangen, aber zum Einkaufen marschieren sie mit ihren Milchkannen nun nach Gräfendorf.

    Als die Amerikaner dann, Popps Erinnerung nach vielleicht acht Tage später, von Wolfsmünster kommend einmarschieren, sind die „braunen Schwestern“ wie vom Erdboden verschluckt. Ein amerikanischer Offizier habe perfekt deutsch gesprochen. Noch monatelang bleiben sie im Schloss. Am Brückenpfeiler der Strecke 46 klettern die Soldaten herum, in der Nähe gibt es einen Betontrog mit Wasser und Fröschen, deren Quaken man bis hinauf zum Schloss hört. Noch vor den Kriegshandlungen hat Popp eine Postkarte seiner Mutter erhalten: „Wir sind jetzt untergekommen in Lengfeld bei einem Bauer.

    “ Danach gibt es keinen Kontakt mehr zwischen Mutter und Sohn. Hinterher erfuhr er, dass seine Mutter sich immer wieder gefragt hat, was mit ihrem Buben ist.

    Anfang August 1945 werden die kleinen Patienten mit einem Bus wieder nach Würzburg gebracht. Am 3. August nimmt ihn ein älterer Junge zu Fuß mit nach Lengfeld. Dort fragt er sich nach Mutter und Schwester durch, die er schließlich auch findet. Popp geht in Lengfeld zur Schule.

    Gern hätte er das Gymnasium besucht, aber das kam damals nicht in Frage. Martin Popp lernt Spengler und Installateur, macht über das Telekolleg seine Mittlere Reife. Danach geht er als Arbeitsvermittler zum Arbeitsamt und macht mit 48 Jahren am Abendgymnasium das Abitur. Zuletzt war er erster Statistiker und stellvertretender Pressesachbearbeiter in Würzburg, bis er 1999 in Rente geht. Der Literaturliebhaber ist zweifacher Vater und mittlerweile schon Urgroßvater.

    Immer wieder kam er ins Saaletal zum Schloss Seewiese zurück, brachte Kinder und Enkel mit. So erfuhr er vor ein paar Jahren auch von der Nutzung als Swingerclub, das habe ihm ein Bahnangestellter grinsend erzählt, sagt Martin Popp.

    Schloss Seewiese Das ehemalige Jagdschloss hat eine bewegte Vergangenheit. Ein Reserveoffizier bei den Bonner Husaren ließ es 1888/89 mit Wohnhaus für Diener und Stallungen erbauen. Das Schloss Seewiese erbte anschließend sein Bruder, dann ein Onkel. 1914 erwarb es Dr. Hartwig aus Antwerpen. 1928 übernahm die Kreisfürsorge Gemünden das Gut als Erholungsstätte für Kinder und Kriegsopfer, zwischendurch war es auch ein Altersheim. Die Bundeswehr kaufte 1968 das Anwesen zur Ausbildung von Einzelkämpfern. 1976 erwarb es der Kaufmann und Fischgutbesitzer Alois Heinlein aus Frankfurt und gestaltete es zu einem Ferienhotel mit Restaurant um. Angegliedert wurde noch ein Neubau mit Hallenbad. Unter Führung des Ehepaars Heinlein wurde das Hotel schnell zu einem beliebten Urlaubs- und Ausflugsziel im Spessart. Der gelernte Krankenpfleger Karl Selig aus Sachsenheim kaufte den Komplex 1993. Selig beließ den Restaurant- und Beherbergungsbetrieb im Schloss und richtete im Neubau ein Pflegeheim ein. 1995 pachtete das Wirtsehepaar Nordis und Peter-Jürgen Schmidt für nur rund fünf Monate das Anwesen. Von Anfang 1996 bis zur Eröffnung des Swingerclubs im September 2005 blieb das Hotel mit Restaurant geschlossen. Nun, nach Schließung des Swingerclubs Ende Juni, möchte Seligs Sohn Hans das Schloss verkaufen.

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