Eis auf der B 26 in Gemünden? Autofahrer, die die Baustelle in der Bahnhofstraße passierten, staunten am Montag und Dienstag über die Eishaufen neben der Fahrbahn. Doch was auf den ersten Blick wie eine Kapriole des Frühlingswetters wirkte, entpuppte sich als Hilfsmittel für die Sanierung des Mischwasserkanals im Rohr-in-Rohr-Verfahren (Schlauchlining). Dabei wird ein mit Kunstharz getränkter Kunststoffschlauch (der Schlauchliner oder Inliner) in den Kanal eingezogen oder umgestülpt, der anschließend aushärtet.
Die zweitägige „Eiszeit“ an der Gemündener Baustelle sieht nur Gewinner: Auf der einen Seite die Verkehrsteilnehmer, denen übermäßig lange Wartezeiten an den Baustellenampeln erspart bleiben, sowie das Kommunalunternehmen (KU) der Stadt, das eine beträchtliche Summe Geld einsparen kann. Aufgrund der Schadensbilder habe das Kommunalunternehmen im Einvernehmen mit den Ingenieurbüros entschieden, den Mischwasserkanal mit einer grabenlosen Bauweise zu sanieren, erklärten Hans Schneider und Holger Brüssow vom KU.
„Mindestens 50 Jahre wird die Nutzungsdauer des sanierten Kanals betragen.“
Hans Schneider Vorstand des KU
Das hat den Vorteil, dass die Straße nicht bis zu einer Tiefe von rund vier Metern aufgegraben werden muss. Zudem müsste bei einem Ersatzbau erst der alte Kanal entfernt und ein neuer eingebaut werden. Statt einiger Monate bei offener Bauweise beträgt die Bauzeit nur etwa eine Woche. Und die Sanierung kostet rund 150 000 Euro und damit weniger als ein Drittel sonst üblich.
Die Entscheidung zugunsten der Sanierung im Schlauchlining fiel nach einer ausführlichen Kamerauntersuchung, bei der nur geringe Schäden in dem eiförmigen, 600 auf 900 Millimeter Innendurchmesser großen Kanal festgestellt wurden. Diese beseitigten Mitarbeiter der Sanierungsfirma Aarsleff als Voraussetzung für das folgende Rohr-im-Rohr-Verfahren mechanisch.
„Sehr vielseitig“ ist das Inlinerverfahren nach den Worten von Timo Breitenbach, der als zertifizierter Kanalsanierungsberater die Arbeiten begleitet. Bögen und Schwenkungen im Kanalverlauf sind kein Problem. Ein weiterer Vorteil: Eindringendes Grundwasser behindert die Arbeiten nicht. Das Verfahren wurde auch im Sommer 2012 bei der Kanalsanierung in Hofstetten angewendet.
Am Montag rückten die Spezialisten der Firma Aarsleff an; das Unternehmen hat sich seit mehr als 50 Jahren mit Kanalsanierungen einen Namen gemacht. Auf einer Länge von 300 Metern entsteht aus dem alten ein neuer Kanal. „In zwei Abschnitten“ werden sie nach den Worten von Breitenbach vorgehen.
Dazu wurde von einem Schacht vor der Autowerkstatt von Bernd Forster in Richtung Grundbuchamt der neue Kanal eingebracht. Daran anschließend geht es in die umgekehrte Richtung bis zur Einmündung des Baumgartenwegs.
Auf einem Lkw-Anhänger wurde ein mit einem speziellen Harz getränkter Synthesefaserliner angeliefert. Damit das Harz nicht vorzeitig aushärtet, wird er mit einer dicken Eisschicht abgedeckt. Beim Einziehen des Inliners in eine vorbereitete Spezialfolie fällt das Eis auf die Straße. „Ähnlich dem Umstülpen eines Sockens“, sagte Brüssow, wird die noch sehr flexible Synthetikfaser mit Hilfe von Wasserdruck in den zu sanierenden Kanal eingespült. Rund 0,9 Bar Wasserdruck sind dafür nötig. Sobald der künftige Kanal seine Endlage erreicht hat, wird das zum Einspülen verwendete Wasser auf etwa 80 Grad Celsius aufgeheizt und die Temperatur rund sechs bis sieben Stunden aufrechterhalten.
Anschließend folgt über eine Dauer von bis zu acht Stunden die Abkühlphase, in der das Material schließlich aushärtet und damit den neuen Kanal bildet. „Mindestens 50 Jahre“, sagt Schneider, „wird die Nutzungsdauer des so sanierten Mischwasserkanals betragen“.
Nach Abschluss dieser Sanierungsarbeiten wird in den weiteren Bauabschnitten die im Herbst verlegte neue Trinkwasserleitung an das Netz angeschlossen. Danach folgt die Verlegung der Gasleitung. Im Herbst sind wieder die Kanalsanierer gefragt. Nach Fertigstellung der Straßenbauarbeiten folgt die Sanierung der einzelnen Schächte.