Er hatte Gänsehaut, als er das Haus nur mit einer Taschenlampe betrat. Das Haus im Landkreis Main-Spessart war Schauplatz eines Mordes gewesen. Auf dem Sofa befand sich ein Blutfleck, Pfeile der Polizei zeigten auf kriminaltechnisch interessante Details. „Im Haus war alles so wie am Tag des Mordes“, sagt Viktor Grünwald. Seine Aufgabe war, das Haus, bei dem der Strom längst abgestellt worden war, auszuräumen. Gegruselt hat ihn auch der dunkle Keller, der nur über eine Luke im Boden zu erreichen war. In einer Kiste befand sich Wäsche voller Blut.
Grünwald, ein 33-jähriger Gemündener mit jungenhaftem Gesicht, hat bei Wohnungsauflösungen schon einiges erlebt. Seit fünf Jahren betreibt er sein Geschäft. Auch im Fernsehen, in der Sendung „Der Trödeltrupp“, war er schon mehrfach zu sehen. Er kann die schönsten Messie-Geschichten von Wohnungen erzählen, bei denen man die Tür kaum aufgebrachte, weil dahinter alles vollgemüllt war.
Bei einem krassen Fall im Landkreis habe ein nach außen normaler etwa 45-Jähriger, der einer geregelten Arbeit nachgegangen sei, seine Wohnung völlig zugemüllt. Am übelsten sei jedoch das Klo gewesen, wo sich am Boden und auf der Klobrille eine mehrere Zentimeter dicke schwarze, stinkende Schicht befunden habe. Der Mann muss sich seit Jahren nicht darum gekümmert haben, wenn die Toilette überlief. Der Auftrag zur Wohnungsräumung kam in dem Fall vom Vermieter, aber beim Klo hätten er und seine Mitarbeiter sich geweigert, das wäre zu weit gegangen. Wo der Fall genau passiert ist, möchte Grünwald aus Gründen der Diskretion nicht veröffentlicht sehen.
In Würzburg habe in einer Wohnung einmal ganz anderer, nämlich Leichengeruch gehangen. Dort lag im Hochsommer rund eine Woche lang unentdeckt eine Leiche. Vorsicht lässt Grünwald bei Wohnungsauflösungen inzwischen bei Chemikalien walten. Nachdem er einen Teil einer Villa ausgeräumt habe, in der ein Chemiker gewohnt habe, habe es beim Abladen auf dem Wertstoffhof auf einmal zur rauchen angefangen, und eine Wolke habe sich gebildet.
Auch eine Handgranate habe er kürzlich im Landkreis gefunden. Dass er die besser nicht angefasst, geschweige denn aus dem Haus getragen hätte, sagte ihm ein verständigtes Sprengkommando: Die Splittergranate sei innen schon kristallisiert gewesen. Grünwald: „Die hätte jederzeit hochgehen können.“
Was er immer wieder in großen Mengen findet, sind Familienfotos. Er findet es traurig, wie wenig manchen Angehörigen offenbar an den Erinnerungen von Verstorbenen liegt. Unter den Fotos seien auch solche aus der NS-Zeit, etwa mit dem Opa in SS-Uniform. Einmal habe er ein Foto mit Duplikaten gefunden, auf denen die SS-Runen wegretuschiert waren. Fotos werfe er in der Regel weg, damit könne er nichts anfangen.
Zu den interessanteren Sachen, die Grünwald findet, gehören Sexspielzeuge aus Omas Zeiten. Er habe auch Dutzende Weinflaschen aus den 60er/70er Jahren. Bei ein bis zwei Wohnungsauflösungen in der Woche erlebe er viel. Sehr gefreut hat sich einmal ein Mann in Marktheidenfeld, dessen goldener Ehering beim Entrümpeln der Wohnung nach über 20 Jahren wieder auftauchte. Er fand sich im Keller in einer Bananenkiste mit Elektrozeug. Grünwald sagt, ihm gefalle der Kontakt mit Menschen und deren Dankbarkeit.
Bei seinem zweiten Standbein geht es mehr um das Geschäft. Von den Entrümpelungen fast losgelöst, handelt er mit antiquarischen und gebrauchten Designermöbeln. Der gelernte Metallbauer, der 1992 als kleiner Junge mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Gemünden kam, sucht den Erfolg in der Selbstständigkeit. Vor den Wohnungsauflösungen hatte er sich darin versucht, in großem Stil elektrische Haushaltsgeräte zu reparieren.
Eine Zeit lang verkaufte Grünwald in seinem „Kaufhaus Viwald“ in Gemünden, zuvor in Rieneck, gebrauchte Möbel, der Aufwand war im Verhältnis zum Umsatz jedoch zu groß. Interessant sei gewesen, wer welche Möbel gekauft habe. Osteuropäer etwa stünden auf luxuriöse Möbel mit „Barock-Touch“. Während deutsche Kunden „Eiche rustikal“ aus den 80er Jahren heute links liegen ließen, sei solche Qualität in Polen und Tschechien noch gefragt. 99 Prozent der Möbel aus den 60er/70er Jahren seien aufgrund des Designs heutzutage fast unverkäuflich, obwohl die Qualität höher sei als heute.
Beim Verkauf von Gebrauchtmöbeln hat Viktor Grünwald gemerkt, was wirklich geht. Antike Möbel aus der Zeit vor 1910, Stilmöbel, Designerstücke. Solche Möbel kauft er inzwischen auch bei Kollegen in Großstädten wie Nürnberg oder Frankfurt gezielt an und verkauft sie übers Internet weiter oder lässt sie von einer Gemündener Agentur verkaufen.
Grünwald führt durch Lagerräume, insgesamt hat er 800 Quadratmeter Lagerfläche. Ein Raum steht voller alter Büffets, aus Platzgründen stehen auf manchen Tische und Stühle. In einem anderen Raum stehen mehrere Sofas, darunter Designerstücke. Grünwald liefert selbst aus – deutschlandweit. Alle drei Wochen gehe eine Tour nach Norden und eine nach Süden. Kunden für teure Möbel sind, so der 33-Jährige, nur Deutsche.
Um die qualitativ zwar hochwertigen, aber in Deutschland kaum nachgefragten Gebrauchtmöbel a la „Eiche rustikal“ wieder sinnvoll zu verwerten, will er diese künftig über einen Verwandten in Lettland verkaufen. Dort ist Qualität noch gefragt. Bei Wohnungsauflösungen rechne er noch verwertbare Dinge an. Oft sei jedoch nichts mehr zu gebrauchen.