"Es war schon ein Schock", erinnert sich Gerlinde Heßler, als sie vor 18 Jahren erfuhr, dass ihre neugeborene Tochter Eva von PKU (siehe Stichwort) betroffen sei. Sie war bereits mit dem Baby zu Hause, als sie die Nachricht erreichte. Noch nie hatte sie etwas von der Krankheit gehört. "Man weiß nicht, was auf einen zukommt." Für ein Vierteljahr musste Eva noch ins Krankenhaus, heute werden die Säuglinge ambulant behandelt.
Eine Elterngruppe gab es damals noch nicht. Die hat Gerlinde Heßler erst ins Leben gerufen. Über Zeitungsinserate und Lokalradio suchte sie Eltern in vergleichbarer Situation. "Mit drei Familien haben wir bei uns im Wohnzimmer angefangen." Inzwischen leitet sie ehrenamtlich die Regionalgruppe Franken der Interessengemeinschaft PKU.
Jetzt besucht sie im Krankenhaus Mütter von Neugeborenen mit PKU. Dazu nimmt sie immer eine ihrer Töchter mit, denn auch der 14-jährigen Anna wurde die Stoffwechselerkrankung von Vater und Mutter, die beide gesund, aber Überträger sind, vererbt. Tröstlich sei es für die Mütter der Neugeborenen zu sehen, dass sich die Kinder bei entsprechender Diät ganz normal entwickeln. Als sie im Kindergarten war, wussten die anderen Kinder schon von ihrer Krankheit, erzählt die 18-jährige Eva. Mit ihnen ist sie dann in die Schule gekommen, daher gab es nie Probleme.
Man müsse immer Vorarbeit leisten, erzählt die Mutter: beimKinder-
geburtstag, im Kindergarten oder im Landschulheim. "Wir können überall mit", ergänzt Anna. "So lange sie klein sind, ist es noch gut zu organisieren", verdeutlicht Vater Stefan Heßler. Aber man könne nichts spontan unternehmen.
usflug und Urlaub müssten gut geplant sein. Bei Einladungen müsse man sich vorab informieren, was auf den Tisch kommt. Zu Hause werde dann Ähnliches gekocht und mitgebracht.
Eine strikte eiweißarme Diät müssen Eva und Anna einhalten, ihre erlaubten Phe-Einheiten (Phenylalamin-Menge) nicht überschreiten. Beide haben dabei nur einen geringen Spielraum, denn sie haben eine schwere Form der Erkrankung, ergänzt die Mutter.
Die Diät ist abhängig von den Blutwerten. Im Säuglingsalter wird täglich Blut abgenommen, später zweimal wöchentlich, bei Kindern dann einmal pro Woche. Eva und Anna zapfen sich einmal monatlich einige Tropfen ab. Früher mussten die Proben ins Labor nach Erlangen. "Jetzt hat Würzburg auch einen Säulenchromatographen", erklärt Gerlinde Heßler. An den Blutwerten erkennt der Arzt der Uniklinik, ob der tolerable Bereich eingehalten wurde.
Die Diätassistentin hilft weiter, wenn im Speiseplan gesündigt wurde. Und es wird gelegentlich gesündigt, gestehen die beiden Heßler-Töchter. Wenn der Messwert zu hoch ist, können unter anderem Konzentrationsprobleme auftreten. In der Pubertät sei es besonders schwierig gewesen, den strengen Ernährungsplan einzuhalten, erinnert sich Eva an ihren Frust. Anna macht es den Umgang mit ihrer Krankheit leichter, dass auch ihre Schwester von PKU betroffen ist. "Für die Psyche war es hilfreich, dass sie das Gleiche haben", betont die Mutter.
Sie muss immer doppelt kochen. Aber auch Anna schwingt gern den Kochlöffel am heimischen Herd. Für die Töchter ist ein Vorratslager angelegt mit Kartoffelprodukten, Nudelgerichten, Cornflakes und Keksen, die aus Diätkatalogen bestellt werden müssen. Inzwischen gibt es eine breite Palette geeigneter Produkte und auch entsprechende Kochbücher.
Eva erinnert sich noch an die ersten Kekse, die so hart waren, dass sie in der Familie Panzerplatten genannt wurden. Brot und Brötchen backt Gerlinde Heßler teils auch selbst, denn diätetische Lebensmittel sind teuer.
Für Kinder bis 16 Jahre erhalten die Eltern einen Steuerfreibetrag. Die Aminosäuremischung zur Nahrungsergänzung bezahlt die Krankenkasse. Und wie ist es, wenn Eva mit Freunden ausgeht? - Mit Kartoffelgerichten oder Salatteller kommt sie gut über die Runde. Außerdem mag sie Grillabende. Da kann sie ihre Gemüsebrätlinge und Maiskolben mitnehmen.
Und Anna freut sich schon auf das PKU-Treffen am Wochenende (siehe Artikel unten). Es sei etwas ganz Besonderes, wenn sie zu einem Treffen Betroffener fährt: "Es ist wie eine große Familie." Auch wenn das sehr kitschig klinge, meint sie. Zweimal jährlich trifft sich die Regionalgruppe Franken zu Seminaren, Vorträgen, Geselligkeit oder Kochkurs. Eva besucht den Jugend-Erwachsenen-Kreis (JuEK) für PKU-Betroffene ab 16 Jahre. Partnerschaft, Schwangerschaft und Beruf sind dabei auch Themen.