Sie ist meine rechte, meine wichtige Hand“, sagt Franz Widmann lachende und nimmt seine Schwiegermutter in den Arm. Anna Bradfisch „schmeißt“ sein Büro im Festzelt bei der Spessartfestwoche. „I mecht dabei sei. Des Bierzelt is mei Lebn“, sagt die 73-jährige Niederbayerin. Schwiegersohn und Schwiegermama verbindet nicht nur die Liebe zum Beruf, der offene und freundliche Umgang mit den Menschen und das nötige Stehvermögen, um einen 15-Stunden-Tag durchzuhalten, sondern auch tiefe Zuneigung und Vertrauen.
Ein Tresen trennt das Festbüro im Zelt von den Tischen der Gäste, links davon ist die Geschirrrückgabe, rechts die Hendl-Braterei. „Diese ist der heißeste Platz im Festzelt, der zweitheißeste ist das Festbüro“, sagt Widmann, der dort mit Ventilatoren mit Wasserzerstäuber für Kühlung sorgt. Während der zehn „tollen“ Tage in Lohr hält sich Chef Franz Widmann sehr oft im Festzelt auf, kontrolliert, teilt ein, überwacht und überprüft, dass alles passt und reibungslos läuft. „Festwirt zu sein ist eine Herausforderung“, sagt der 49-Jährige, der sein erstes Fest 1986 in Karlstadt „stemmte“. Der gelernte Koch und Küchenmeister stieg 1980 in den elterlichen Betrieb ein und ist seither von März bis Mitte Oktober auf Festplätzen im Umkreis von 500 Kilometer vom Heimatort Landshut unterwegs. Seit 1987 ist Widmann auch Festwirt bei der Gemündener Heimatwoche.
Lohr ist eines der größeren Feste, erzählt er. An den Lohrern liebt der Wirt deren „Patriotismus“. „Die Festwoche gehört zu Lohr, da geht man hin, da trifft man Freunde. Das ist ein Fest, wie wir es mögen“, sagt er, der sein ureigenstes Lob aus der Tatsache zieht, dass die Besucher bei ihm einen schönen Abend verbringen, sich mit Freunden treffen und das Leben genießen. Während er im und ums Festzelt in seinem Element und unter Menschen ist, sieht Widmann sein zweites Büro im Wohnwagen eher als „notwendiges Übel“ an. Obwohl die Bezeichnung „Wohnwagen“ tief stapelt. Der rund 57 Quadratmeter große Trailer wird nur beim Transport auf annähernde Wohnwagenbreite „verkleinert“ und per Lkw mit Sondergenehmigung von Festplatz zu Festplatz transportiert. Ausgefahren ist der Wohnwagen in 15 Minuten auf bequeme 4,80 Meter verbreitert. Dann bietet das fahrende Haus nahezu alles, was der Festwirt braucht: Schlafzimmer, Bad, Küche und das Büro, das sich Widmann in einer gemütlichen Sitzecke gegenüber der Küchenzeile eingerichtet hat.
Ein Mac, ein Scanner und Drucker sind sein Handwerkszeug auf dem Tisch. Der mobile UMTS-Anschluss bietet die Möglichkeiten, via Internet mit Ehefrau Jutta und dem Stammsitz der Firma in Landshut in Verbindung zu bleiben. Seine Termine gleicht er mit dem iPhone aktuell ab, sodass seine Frau jederzeit weiß, wo er ist. Zwar erleichtere ihm das Internet die Arbeit unterwegs enorm, jedoch ärgert sich Widmann immer wieder über den überbordenden Bürokratismus, der diese Zeiteinsparung wieder auffrisst.
Während der aktuellen Festwoche plant Widmann schon die nächste. Dabei erleichtern ihm eigens dafür geschriebenen Programme die Arbeit. Widmann ist einer, der das Handwerk noch von der Pike auf gelernt hat – mit allen Höhen und Tiefen. Aus dem Stegreif kann er, ohne seinen Laptop zu Rate zu ziehen, die komplette Einrichtung des Festzeltes bis zum allerletzten Bierkrug auflisten. „Das hab ich alles da drinnen“, tippt er sich an den Kopf und grinst verschmitzt.
Der 49-Jährige ist kein Chef mit Krawatte, sondern einer, der vor Ort stets präsent ist und der in jedem Festzelt die erste Bankreihe stets selbst ausmisst und aufstellt, denn „dann weiß ich, dass es passt“. Wenn's mal brennt, ist er sich auch nicht zu schade, Käse zu schneiden, Hendln zu tranchieren oder den Nachtwächterposten zu übernehmen. „Im Festzelt und drum herum gibt es nichts, was ich noch nicht gemacht habe“, sagt er. „Ein Festwirt kann nicht nur Chef sein, er muss vielmehr jedem seiner Mitarbeiter alles zeigen und ihn motivieren können.“
Zum Start in den Tag gehört für Widmann um 8.30 Uhr ein gemeinsames Frühstück mit all seinen Leuten. Danach macht er seine Runde durch die Kühlhäuser, kontrolliert die Bestellungen und die Ware, schaut, dass alles passt. Perfektionismus? „Nein“, winkt er ab, „das nenne ich Gewissenhaftigkeit, denn wir haben eine Verantwortung für unsere Gäste und den Anspruch, dass sie einwandfreie und ordentliche Lebensmittel bekommen“, sagt er. „Mein wesentlicher Job ist es nicht, nur vor meinem Laptop zu sitzen, sondern die Arbeit im Festzelt, die mir am Herzen liegt und die für das Geschäft auch das Wichtigste ist.“
Im Zwei-Stunden-Rhythmus kehrt er zurück ins Wohnwagenbüro, um Mails abzurufen, Bestellungen zu bearbeiten oder mit Lieferanten zu sprechen. „Ich bin meine eigene Sekretärin“, grinst er und verrät: „Ich krieg nämlich keine, weil meine Frau das nicht will.“ Ehefrau Jutta ist sein wichtiger Pol im Geschäft. Sie kümmert sich um die Finanzen und „sie ist viel fleißiger als ich“, lobt er.
Sich selbst beschreibt der Festwochenchef als umgänglich, kontaktfreudig und „pflegeleicht“. Auf die Palme bringen ihn Lügen und Unpünktlichkeit. „Ich liebe ein offenes Wort, denn man soll alles aussprechen – natürlich im richtigen Ton“, sagt er. Von seinem Vater Xaver hat er gelernt, dass „man heute einen Chefposten nicht geschenkt bekommt. Man muss ihn sich und die Akzeptanz seiner Mitarbeiter erarbeiten.“
Neue Serie
„Beim Chef – bei der Chefin – im Büro“: Unsere neue Serie wird Sie in den kommenden Monaten hinter die Kulissen beziehungsweise in die Büros von Chefs und Chefinnen in Gemünden und Umgebung blicken lassen. Im Fokus soll dabei der Mensch hinter dem Schreibtisch stehen. Viel Spaß beim Lesen.