Sie gehören fast schon zum Stadtbild. Ingrid und Bruno Kamper hat jeder schon gesehen, der regelmäßig in Lohr unterwegs ist. Allerdings fallen die beiden auch auf. Die Eheleute sind für die Fortbewegung auf ihre Rollstühle angewiesen. Doch sie lassen sich durch ihr Handicap die Bewegungsfreiheit nicht nehmen.
Ganz im Gegenteil: Ingrid und Bruno Kamper kommen vermutlich mehr rum als die meisten anderen Menschen in ihrem Alter. Ihr Streifgebiet umfasst alle Stadtteile in der Reichweite ihrer Rollstühle. Nach Steinbach und Sendelbach führt die Reise ebenso wie nach Lindig, Wombach, Sackenbach oder Pflochsbach – und das täglich. Egal ob Sonnenschein oder Regen, ob Hitze oder Kälte, das Ehepaar im Rollstuhl lässt sich seine Spazierfahrten nicht nehmen. Notfalls gehen sie eben ausgerüstet mit Regenzeug oder einer Wärmflasche im Schoß auf Fahrt.
„Man kann doch nicht den ganzen Tag in der Wohnung hocken. Wir müssen raus“, sagt der 81-jährige Bruno Kamper. Seine 76-jährige Frau schiebt hinterher: „Bloß nicht zu Hause bleiben. Da müsste es schon Pflastersteine regnen.“ Und so machen sich die Kampers eigentlich jeden Nachmittag auf den Weg. Begleitet vom leisen Surren der Elektromotoren entscheiden sie spontan, in welche Richtung es diesmal gehen soll.
Während Bruno Kamper am liebsten die Schleuse in Steinbach ansteuert, um dort den Schiffsverkehr zu beobachten, zieht es seine Ehefrau Ingrid bevorzugt zum Romberg. Staunen kann man darüber, welche Pisten die beiden mit ihren Rollstühlen in Angriff nehmen. „Wir sind das Holpern gewöhnt“, lacht Ingrid Kamper, wenn sie von den Fahrten über Waldwege und sonstige Routen jenseits befestigter Strecken erzählt.
„Da müsste es schon Pflastersteine regnen.“
Ingrid Kamper zu den Umständen, die sie von der täglichen Ausfahrt abhalten könnten
Bislang ist die Abenteuerlust der beiden Rollstuhlfahrer fast immer gutgegangen. Nur einmal ist Ingrid Kamper mit ihrem dreirädrigen Gefährt umgekippt – als sie auf dem nicht ausgebauten Beilsteinweg oberhalb der Bahnlinie von Lohr Richtung Partenstein „die Spur wechseln wollte“. Mit vereinten Kräften haben die Kampers das Gefährt wieder aufgerichtet – und weiter ging die Fahrt.
Die Umgebung Lohrs ist für die beiden gebürtigen Rheinländer absolut erkundenswert. Die Lohrer wüssten teilweise gar nicht zu schätzen, wie schön sie es hier hätten, sagt Ingrid Kamper. Sie und ihr Mann sind 1998 mit langem Anlauf nach Lohr gekommen. Bruno Kamper hatte es 1943 nach einem Bombenangriff auf seine Heimatstadt Krefeld nach Sendelbach verschlagen: „Wir wurden nicht gefragt, man hat uns einfach in den Zug gesetzt“, beschreibt er die damalige Fügung des Schicksals.
Nach dem Krieg kehrte Kamper in das Rheinland zurück, heiratete seine aus Düsseldorf stammende Frau Ingrid. Das Paar bekam drei Kinder. Bruno Kamper arbeitete als Maßschneider, Ingrid in der Textilindustrie. 1984, zur Silberhochzeit, kam Bruno Kamper die Idee, doch wieder mal nach Lohr zu fahren.
Es sollte ein Urlaub mit Langzeitwirkung werden. „Ich habe hier alle getroffen, die ich aus meiner Kindheit in Lohr noch kannte. Die waren alle noch hier“, erinnert sich Kamper. Nach dem Urlaub 1984 kamen er und seine Frau jedes Jahr wieder, manchmal sogar mehrfach. Irgendwann reifte der Entschluss: „Wenn wir mal in Rente gehen, dann ziehen wir nach Lohr.“ 1998 war es soweit. Die Kampers verabschiedeten sich in Krefeld von Kindern, Freunden und Bekannten und verlagerten ihr Leben nach Lohr. Bereits im Urlaub zuvor hatten sie „eine Wohnung klargemacht“, wie Bruno Kamper erzählt.
Von dieser Wohnung am Lohrer Ottenhof starten die Kampers heute ihre täglichen Ausfahrten. Bruno Kamper ist seit einem Schlaganfall im Jahr 2002 auf den Rollstuhl angewiesen. Ingrid Kamper seit rund sechs Jahren. Ihr macht der nach Bandscheibenproblemen mit Schrauben und Drähten versteifte Rücken das Gehen schwer.
„Man kommt in Lohr ganz gut rum mit dem Rollstuhl.“
Bruno Kamper ist zufrieden mit dem Lohrer Wegenetz
Darüber, dass ihnen die Rollstühle ein ordentliches Maß an Mobilität ermöglichen, sind die Kampers heilfroh. „Ich käme sonst gar nicht mehr raus und würde den ganzen Tag vor der Glotze sitzen“, sagt Bruno Kamper. Seinen mehrere Tausend Euro teuren Rollstuhl hat die Krankenkasse bezahlt. Das Gefährt für seine Frau mussten die Kampers aus eigener Tasche bezahlen. Die Rollstühle haben je nach Fahrstrecke eine Reichweite zwischen 35 und 50 Kilometern und sind mit rund sechs Stundenkilometern unterwegs. Ausgestattet sind sie mit allem, was man für den Fahrbetrieb so braucht, zum Beispiel Blinker, Hupe und Beleuchtung.
„Man kommt in Lohr ganz gut rum mit dem Rollstuhl“, ist Bruno Kamper zufrieden mit dem Wegenetz. Nur in etliche Gaststätten komme man mit dem Rollstuhl nicht rein bemängelt er. Auch deshalb schätze er den Sommer so sehr, weil man da in so manchen Biergarten rollen könne. Mit der Rücksichtnahme mancher Radfahrer und Fußgänger hapere es mitunter, sagt Ingrid Kamper. Doch insgesamt, so die Rheinländerin, „sind das herrliche Menschen hier“.
Oft würden sie angesprochen, erzählt die 76-Jährige. Vielfach hätten sie und ihr Mann schon Menschen im Plausch sagen hören, dass ein Rollstuhl doch auch etwas für Vater oder Mutter wäre. Wenn Ingrid Kamper solche Aussagen hört, hat sie aus ihrer und der Erfahrung ihres Mannes heraus stets nur einen Rat: „Ja, dann sollen sie sich um Gottes Willen doch einen Rollstuhl kaufen.“ Sie selbst wolle die Freiheit, die sie und ihr Mann sich so erhalten haben, nicht missen.