So war das Ganze nicht geplant. Eigentlich sollte der kleine Jonathan wie sein älterer Bruder Lukas in der Uniklinik zur Welt kommen, aber er hatte es etwas eilig. Anstatt geduldig die Fahrt nach Würzburg mit derzeit nötigem sperrungsbedingtem Abstecher auf die andere Mainseite abzuwarten, kam er am 10. Oktober schnell im frisch renovierten Badezimmer der Großeltern Ralf und Michaela Zötzl in Gemünden (Lkr. Main-Spessart). Mutter Viviane und der Rest der Familie wussten nicht, wie ihnen geschah. Und Vater Nico verpasste alles. Aber der kleine Jonathan musste dann doch noch ins Krankenhaus – wo einiges los war.
„Viviane, du darfst nicht pressen!“ Michaela Zötzl, Mutter der schwangeren Viviane
Während Lukas, 4, mit einem roten Hüpfball herumtollt, liegt die Hauptperson der schier unglaublichen Geschichte, die die Eltern Viviane Zötzl und Nico Ressin-Zötzl daheim im Wohnzimmer im Gemündener Stadtteil Schönau erzählen, ruhig auf einer Babydecke, lässt sich dann von der Mama, 24, die Flasche geben. Im wahrsten Sinne des Wortes minutiös erzählen die beiden glücklichen Eltern die dramatischen Minuten nach.
„Alles in Ordnung, gehen Sie heim, es passiert noch nix“
Die Geschichte beginnt bereits morgens. Da war die junge Mutter hochschwanger zu einem normalen Kontrolltermin in der Uniklinik. „Alles in Ordnung, gehen Sie heim, es passiert noch nix“, habe man ihr dort gesagt, erzählt Viviane Zötzl. Also fuhr sie mit bereits regelmäßigen, aber nur leichten Wehen wieder heim nach Schönau. Da die erste Geburt 14 Stunden gedauert hat, hat sie sich deswegen auch keinen Kopf gemacht.
Um 14.30 Uhr an jenem Montag vor zwei Wochen dann wurden die Wehen etwas stärker. Also rief sie ihren Mann Nico an, der für eine Lohrer Wassertechnik-Firma gerade auf der Baustelle in Tauberbischofsheim stand. Weil der errechnete Geburtstermin am 14. Oktober sein sollte, wurde ihr Mann extra nur nach Tauberbischofsheim geschickt, damit er im Notfall schnell daheim oder in der Uniklinik sein könnte. Die erste Geburt hat er dort, wie es ein moderner Vater macht, voll miterlebt.
„Ich geh noch mal baden, es wäre gut, wenn du heimkommst“, sagte Viviane Zötzl am Telefon. Ihr Mann machte sich gleich auf den Weg. Um 15.38 Uhr dann rief sie ihn wieder an, die Wehen waren noch einmal stärker geworden. Sie dachte sich: „Das schaffe ich noch zur Mama, es sind ja nur drei Kilometer.“ Also setzte sie sich ins Auto und fuhr nach Gemünden. Ihre Eltern wollten sowieso zum Einkaufen nach Würzburg fahren und konnten sie mitnehmen.
Und plötzlich ging alles ganz schnell
Um 15.45 Uhr kam sie bei ihren Eltern an. „Ich kann bald nicht mehr, fahren wir?“, fragte sie ungeduldig. Aber vorher musste sie noch mal schnell auf die Toilette. Doch Vater Ralf dachte nicht daran, seine Tochter in dem Zustand selbst in die Klinik zu bringen. „Ich fahr sie keinen Meter nach Würzburg“, sagte er und rief den Rettungsdienst. Mutter Michaela konnte gerade noch rufen: „Viviane, du darfst nicht pressen!“, da platzte schon die Fruchtblase der Tochter, erzählt Ralf Zötzl. Die 24-Jährige legte sich auf den Badboden – und da kam auch schon der Kopf zum Vorschein.
Es ging alles rasend schnell. Ralf Zötzl brachte Handtücher, rief noch einmal den Rettungsdienst an und gab den neuesten Stand durch. Als er wieder zurück ins Bad kam, flutschte Enkel Jonathan geradewegs in die Hände seiner Frau Michaela. Jetzt war es 15.57 Uhr. Zwei Minuten später erschien auch schon der Notarzt. Der schnelle Jonathan wurde in eine Goldfolie gepackt, bis der Rettungsdienst kam. Er hing mit der Nabelschnur noch immer an seiner Mutter. Wer sollte die jetzt durchtrennen? Sein Vater Nico war noch unterwegs, also durfte Großvater Ralf zur Schere greifen. Von Jonathan in der Goldfolie gibt es ein „Beweisfoto“. Viviane Zötzl: „Das glaubt dir ja sonst keiner.“
Um 16.05 Uhr rief Großmutter Michaela ihren Schwiegersohn Nico an: „Du kannst dir Zeit lassen, das Kind ist schon da.“ Nico Ressin-Zötzl, da gerade in Lohr, dachte im ersten Moment, man wolle ihn auf den Arm nehmen. „Verarschen kann ich mich selber.“ Also habe der Notarzt den Tipp gegeben, man solle doch dem Vater ein „Beweisfoto“ schicken. Der ließ sich danach erst einmal Zeit und regelte Angelegenheiten in der Firma. „Dann hat's ja nicht mehr pressiert“, sagt der 38-Jährige, der ursprünglich aus Waldbüttelbrunn (Lkr. Würzburg) stammt.
„Es ist egal, wohin du von Gemünden aus fährst, es ist einfach weit.“ Viviane Zötzl über eine fehlende Geburtsstation in Main-Spessart
Lukas, der ältere Bruder, wartete während der Geburt ungeduldig im Wohnzimmer der Großeltern, bis ihn sein Opa ins Bad zu seinem Bruder holte. Richtig stolz sei er gewesen, sagt der Opa. Mutter Viviane und Söhnchen Jonathan wurden dann getrennt in zwei Rettungswägen nach Würzburg gebracht, der Kleine im Inkubator.
In der Geburtsklinik sei die Hölle losgewesen, an dem Tag alle Kaiserschnitte und Geburtseinleitungen abgesagt worden. Gegen 18 Uhr waren sie in der Klinik, wo man große Augen gemacht habe. „So war das aber nicht geplant, Frau Zötzl.“ Um 19.30 Uhr schließlich wurde der kerngesunde Kleine vermessen: 3370 Gramm, 50 Zentimeter, 35 Zentimeter Kopfumfang.
Das Fazit der Zötzls: „Es funktioniert auch ohne Geburtsstation, ein Kind auf die Welt zu bringen.“ Den Großeltern, dem Notarzt und dem Rettungsdienst sind sie dafür dankbar. Vielleicht, so überlegen sie, hätte es Viviane Zötzl noch rechtzeitig in eine Geburtsstation nach Lohr oder Karlstadt geschafft, aber weiter nicht. „Es ist egal, wohin du von Gemünden aus fährst, es ist einfach weit“, sagt sie. Eigentlich bräuchte es eine Geburtsstation im Landkreis, finden die glücklichen Eltern. Überallhin, so rechnet Nico Ressin-Zötzl vor, brauche man von Gemünden mindestens eine dreiviertel Stunde – wenn man rase. Für viele ist das zu lang.