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GEMÜNDEN: Geplatzte Städtepartnerschaft: Als Gemünden einen Korb bekam

GEMÜNDEN

Geplatzte Städtepartnerschaft: Als Gemünden einen Korb bekam

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    Kollegen: Der ehemalige Gemündener Polizist Georg Brandl (r.) im Kollegengespräch.
    Kollegen: Der ehemalige Gemündener Polizist Georg Brandl (r.) im Kollegengespräch.
    „Kalinka“ vor dem Gemündener Rathaus: Besuch aus Zella-Mehlis. Gemünden war vor 25 Jahren an einer Städtepartnerschaft mit der DDR-Stadt interessiert.
    „Kalinka“ vor dem Gemündener Rathaus: Besuch aus Zella-Mehlis. Gemünden war vor 25 Jahren an einer Städtepartnerschaft mit der DDR-Stadt interessiert. Foto: Fotos: Joe Gutbrod

    Mit fünf Bussen machten sich Gemündener im Januar 1990, vor 25 Jahren, auf den Weg in die DDR. Ihr Ziel war Zella-Mehlis (Thüringen), ihr Anliegen eine Städtepartnerschaft. Dort wurden sie schon sehnlichst erwartet. „Es war für uns ein wenig erschreckend, welche Menschenmengen uns dort empfangen haben“, erinnert sich die Gemündenerin Eleonore Schuch.

    Während der Anbahnung der Städtepartnerschaft kamen auch Gäste aus Zella-Mehlis zu Besuch nach Gemünden. Doch aus der Partnerschaft sollte nichts werden. Zella-Mehlis entschied sich für eine offenbar finanzkräftigere Stadt.

    Bereits Anfang Dezember 1989, als sich in Gemünden rund 350 „Umsiedler“ aus der DDR aufhielten, stattete Bürgermeister Hans Michelbach mit 13 Stadträten dem damals 14 000 Einwohner zählenden Zella-Mehlis einen ersten Besuch ab. Man traf sich mit Zella-Mehliser „Bürgervertretern“, die, so der Berichterstatter Günther Felbinger damals in der Main-Post, einem Treffen sogar zugestimmt hatten, ohne die Kreisleitung der SED um Genehmigung zu fragen.

    Gemündens Vertreter wurden herzlich empfangen, Michelbach rühmte die offene Aussprache und hatte den Eindruck, Zella-Mehlis habe großes Interesse an einer Partnerschaft. Stadtrat Rudolf Müller klagte hingegen über Atembeschwerden von den Abgasen in der Luft beim Halt in Meiningen.

    Zella-Mehliser Lokalpolitiker kamen noch im Dezember zum Gegenbesuch nach Gemünden, Vertreter des Neuen Forums offiziell, andere sehr überraschend. „Bitte erschrecken Sie nicht: Wir sind auf dem Marktplatz, können wir vorbeikommen?“, wurde Gemündens Stadträtin Elvira Hotz das Wochenende darauf am Telefon überrascht. Eine Zella-Mehliser CDU-Stadträtin war mit Familie privat angereist und blieb zwei Tage. Weitere Überraschungsbesuche aus dem Osten folgten.

    Zum besseren Kennenlernen wurde für den Januar unter Federführung des Komitees für Städtepartnerschaft unter seinem damaligen Vorsitzenden Günter Krutsch eine Bürgerreise nach Zella-Mehlis geplant. Der Preis für die Tages- oder Zweitagesfahrt betrug pro Person 15 Mark. Am 13. Januar war es so weit.

    Das Interesse unter Gemündens Bürgern war so groß, dass gleich fünf Busse gechartert wurden. An der deutsch-deutschen Grenze in Eußenhausen bei Mellrichstadt musste der Wessi-Tross eine Weile warten, erinnert sich der Gemündener Joe Gutbrod, weil in einem Bus eine junge Frau saß, die keinen deutschen, sondern einen französischen Ausweis hatte.

    Und wie wurden die 250 Gemündener in Zella-Mehlis empfangen! Menschenmassen erwarteten sie. „Das war ein Mordshallo“, erinnert sich Eleonore Schuch. „Die Leute haben sich auf uns gestürzt, als ob wir Freiwild wären, jeder wollte irgendjemanden zum Übernachten haben.“ Man habe sich gefühlt wie Befreier, erzählte Partnerschaftskomitee-Vorsitzender Krutsch hinterher. Mit SED-Funktionären wollte er aber keine Städtepartnerschaft schließen, sondern die DDR-Wahlen am 6. Mai abwarten. Doch bis dahin war die Sache schon gelaufen.

    Über 100 Gemündener blieben damals in Zella-Mehlis über Nacht, genossen die Gastfreundschaft. Schuch und ihr Mann übernachteten mit drei anderen Gemündenern beim Organisator auf Zella-Mehliser Seite. „Sie sind immer nur in die Küche gerannt und haben geholt, was da war“, erinnert sie sich. „Alles, was man in Dosen essen kann, haben sie aufgemacht.“ Dabei hätten sie ihnen „ja das Zeug nicht wegessen“ wollen. „Sie hatten ja nicht viel.“

    Gutbrod erinnert sich, dass in den Schaufenstern mancher Läden Dinge standen, die es drinnen gar nicht zu kaufen gab. „Das sind Ausstellungsstücke“, habe es dann geheißen. Eleonore Schuchs erster Eindruck von der DDR: „Die Straßen holprig, durchlöchert, ein Gestank.“ Laut Zeitungsbericht bezeichneten viele Zella-Mehliser ihren damaligen SED-Bürgermeister, der die Gemündener begrüßte, offen als typischen „Wendehals“.

    Beim offiziellen Gegenbesuch mit einer 44-köpfigen Delegation aus Zella-Mehlis eine Woche später wurde die Freude schon etwas gedämpft. Der Zella-Mehliser Bürgermeister erwähnte, dass sich zehn bis 15 westdeutsche Städte um eine Partnerschaft mit der Stadt im DDR-Bezirk Suhl beworben hätten. Bei einem Besuch von 80 Zella-Mehlisern im rheinischen Andernach am Faschingswochenende Ende Februar 1990 „funkte“ es zwischen diesen beiden Städten, war in der Main-Post zu lesen. Andernach lockte mit gesammelten Spenden und der gebrauchten Ausstattung seines alten Krankenhauses.

    Auch Gemünden ließ sich nicht lumpen, sammelte Geld für Kartons mit Windeln, aber Michelbach war verärgert, weil der Zella-Mehliser Bürgermeister konkrete Geldzusagen wollte. „Ich mache die Kaufwerbung nicht mit“, sagte Michelbach. Am Tag, an dem das in der Zeitung stand, am 24. März 1990, war auch das Ergebnis einer Abstimmung von Zella-Mehliser Bürgern nachzulesen: 121 von 221 Stimmen entfielen auf das spendable Andernach, nur 38 auf Gemünden. „Die harte Mark lockte“, kommentierte Redakteur Michael Fillies damals. Unter den Abstimmenden fanden sich viele Kleinunternehmer, merkte er an.

    Doch auch nach der Absage gab es Besuche und Gegenbesuche. Gemündener schickten noch einmal einen Lkw-Transport voller Windeln in den Osten. Einige Tage nach der Absage verheiratete Michelbach im Amtszimmer sogar ein Paar aus Zella-Mehlis. Und Anfang April 1990, zum Frühjahrsmarkt, holte Gemünden mit mehreren Bussen Zella-Mehliser in die Drei-Flüsse-Stadt. Die Innenstadt war damals gestopft voll. Am Tag der Wiedervereinigung, erinnert sich Schuch, war noch einmal eine Gemündener Delegation in Zella-Mehlis und pflanzte einen Baum.

    Bis zum vergangenen Jahr gab es regelmäßigen Kontakt und gegenseitige Besuche von Gemündener und Zella-Mehliser Wanderern. Aus Altersgründen hat sich dies nun aufgelöst, erzählt der Gemündener Edgar Weippert. Man wolle die guten Beziehungen aber privat weiter pflegen.

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