Drei Umstände komplizieren die Wahrheitsfindung: Die angeblichen Taten liegen mindestens fünf bis acht Jahre zurück, das Erinnerungsvermögen einiger Beteiligter ist mangelhaft, und die Hauptbelastungszeugin – das 17-jährige Mädchen – wird vom Angeklagten, vom Vater und von seiner ehemaligen Lebensgefährtin übereinstimmend als „schwieriges Kind“ und als notorische Lügnerin dargestellt.
Hat die 17-Jährige die sexuellen Übergriffe also erfunden, obwohl es dafür bislang kein erkennbares Motiv gibt, oder rührt ihr „schwieriges“ Verhalten vom Trauma des Missbrauchs her, wie es beispielsweise der Staatsanwalt für möglich hält. Der Verhandlung wohnt als erfahrene Sachverständige Diplom-Psychologin Rita Hassan bei; sie wird vermutlich für das Gericht ein Glaubwürdigkeitsgutachten über die 17-Jährige erstellen.
Angeklagt sind „mindestens neun Fälle des Missbrauchs und sechs Fälle der Misshandlung“. Etwa von 1999 bis 2003 lebte der Beschuldigte zeitweise mit der Mutter des Mädchens im Raum Gemünden/Karlstadt zusammen. Zum Haushalt gehörten außerdem noch zwei jüngere Geschwister. Das Mädchen, damals acht oder neun Jahre alt, und ihren drei Jahre jüngeren Bruder habe der Mann mehrmals in der Woche geschlagen, so die Anklage, das Mädchen sogar dreimal mit einem Kochlöffel.
Schwerer wiegt der Vorwurf, der Mann habe das Mädchen mehrfach – sogar am Kommuniontag – gezwungen, ihn unsittlich zu berühren. Als es zwölf Jahre alt war, habe er auch selbst das Mädchen betatscht.
Zunächst befragte das Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richter Matthias Wienand den Angeklagten. Der wies die Vorwürfe weit von sich. Er habe sich um die Kinder kaum gekümmert, da es nicht seine waren. Nur zur Unterstützung seiner Lebensgefährtin habe er bei Auseinandersetzungen mit den Kindern ab und an die Stimme erhoben und ihnen in einigen, wenigen Fällen Klapse auf die Hände gegeben. Von Schlägen könne keine Rede sein, schon gar nicht gegen den Kopf oder mit einem Kochlöffel.
Der Richter hielt dem 50-Jährigen die Aussage des Sohnes der ehemaligen Lebensgefährtin vor: Der Mann habe hauptsächlich auf die Hände geschlagen, „ganz selten eine Schelle ins Gesicht“. Auch das stritt der Angeklagte ab: „Ich habe nie geschlagen, ich mach' sowas nicht.“ Die Beschuldigungen des Mädchens seien ebenso unwahr und er könne sie sich nicht erklären. Wann immer er das Mädchen auch später, nach der Trennung von der Mutter, traf, habe es ihn freudig begrüßt und umarmt.
Wenig erhellend war die Aussage des Vaters des Mädchens. Ihm hatte das Kind wohl frühzeitig von Schlägen auf die Finger berichtet, und dass der Mann sie einmal angefasst habe – ob am Bein oder an der Brust, wusste er nicht mehr zu sagen. Bei einem zufälligen Treffen habe er den Mann darauf angesprochen, der geleugnet habe. Auch die Mutter habe die Vorwürfe als eine der vielen Lügen der Tochter abgetan. Später vertraute sie sich der Lebensgefährtin ihres Vaters an. Sie glaubt ihr noch heute, obwohl das Mädchen sonst „viel gelogen“ habe.
Zwei Stunden und zehn Minuten befragte das Gericht die Hauptbelastungszeugin unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zwischendurch benötigte die in Tränen aufgelöste 17-Jährige eine Pause. Sie hatte den ehemaligen Lebensgefährten ihrer Mutter Anfang des Jahres selbst bei der Polizei angezeigt. Ihrer Aussage maß der Staatsanwalt allerdings nach der Befragung „keinen besonders hohen Beweiswert“ zu.
Die Verhandlung wird am 14. Oktober fortgesetzt.