Ein Gerichtsvollzieher muss sich behaupten können. Dafür muss er aber nicht unbedingt ein muskelbepackter Hüne sein. Der 32-jährige Matthias Herty, der sein Büro in Gemünden hat, verschafft sich auch mit einer normalen Statur Respekt. Dabei gehören zu seinen Aufgaben auch heikle Dinge: Pfändungen, Zwangsräumungen, einstweilige Anordnungen etwa bei Stalking und sogar Kindesentzug. Doch sind diese Dinge, sofern er sie überhaupt schon erlebt hat, seltene Ausnahmen. Und den berühmten „Kuckuck“, der auf gepfändete Gegenstände geklebt wird, gibt es gar nicht mehr.
Hertys Alltag als Gerichtsvollzieher ist viel ruhiger als in einschlägigen Dokus im Fernsehen, die er „sensationsgierig“ findet. Er ist auch froh, dass er seit einem Jahr schon, als in Karlsruhe ein Geiselnehmer, dessen Wohnung zwangsgeräumt werden sollte, einen Gerichtsvollzieher und drei weitere Menschen tötete, keine Zwangsräumung mehr durchführen musste. Im Zweifelsfall nimmt Herty bei einer Zwangsräumung nicht nur einen Schlosser mit, sondern auch Polizeibeamte. Die seien in Deeskalation geschult.
Im Landkreis Main-Spessart geht es aber im Allgemeinen sehr friedlich zu, berichtet der Gerichtsvollzieher, der ursprünglich aus Thüringen stammt. Beschimpfungen, Beleidigungen oder gar Handgreiflichkeiten kämen fast nicht vor. Ein einziges Mal nur habe er Anzeige erstatten müssen, weil er böse beleidigt worden sei.
„Man hat schon mit gewissen Schicksalen zu tun.“
Gerichtsvollzieher Matthias Herty über seine Arbeit
Spezielle Arbeitskleidung gebe es nicht. Ein Anzug sei ohnehin nicht so geeignet, weil es ihm passieren könne, dass er in eine Messiewohnung müsse, die vor Müll und Dreck nur so starre. „Man hat schon mit gewissen Schicksalen zu tun.“ Was aber nicht schaden kann, ist eine lange Hose, findet Herty, vor allem wenn jemand einen bösen Hund hat. Einmal habe er schon die Zähne eines Hundes zu spüren bekommen. „Man muss sehr tierlieb sein.“
Apropos tierlieb: Früher hatten Gerichtsvollzieher immer einen Vogel – aber die Zeiten sind vorbei. Das amtliche Pfandsiegel, das auf sperrige Pfandsachen geklebt wird, zeigte einst einen Adler, weshalb es der Volksmund „Kuckuck“ nannte. Heute steht in alter Schrift „Pfandsiegel“ auf der Siegelmarke.
Aber pfänden muss Herty, der für Lohr und Umgebung zuständig ist, nur ein- bis dreimal im Jahr. Warum so selten? „Es ist meistens nichts mehr da.“ Schulden habe zumeist der, der sowieso kein Geld hat – und da sei auch nichts zu holen. Und die, die Geld haben, zahlen ihre Schulden, wenn der Gerichtsvollzieher sich meldet, oder vereinbaren Ratenzahlung.
Einmal musste er im Landkreis auch ein Pferd pfänden. Da habe sich ihm die Frage gestellt: „Wo bringe ich ein Pfandsiegel an einem Pferd an?“ Ein Pferdekuss blieb ihm jedoch erspart: Statt eines Siegels stellte er eine Pfandtafel mit Identifikationsmerkmalen des gepfändeten Pferds auf. Zuchthunde habe er ebenfalls schon einmal gepfändet. Fernseher werden zwar eigentlich nicht gepfändet. Es sei aber denkbar, so Herty, dass er einen sehr teuren Fernseher pfändet und gegen einen billigeren austauscht. Das könnte sogar ein Röhrengerät sein.
Einmal die Woche ist Herty unterwegs, um Schuldner zu besuchen, darunter auch Kneipen und Geschäfte. „Den typischen Schuldner gibt's nicht“, hat er festgestellt. Jüngere hätten jedoch häufig Konsumschulden durch Einkäufe im Internet oder Handyrechnungen. Meist seien es aber keine sehr hohen Forderungen. Im Jahr, so schätzt er, kommen ihm Forderungen von ein bis zweieinhalb Millionen Euro unter.
Im Oktober berichtete die Main-Post vom Fall eines Langenprozelteners, der versehentlich durch eine Namensgleichheit ins Visier des Amtsgerichts Böblingen geriet. Während der Langenprozeltener im Urlaub war, hatte Gerichtsvollzieher Herty ihm schriftlich die Zwangsöffnung der Wohnung per richterlichem Türöffnungs- und Durchsuchungsbeschluss angekündigt. Nun sagt Herty im Gespräch, dass er nicht prüfen könne, ob eine Forderung gerechtfertigt ist.
Im Langenprozeltener Fall habe er auch kein Geburtsdatum gehabt, durch das sich das Missverständnis schnell hätte aufklären lassen. Einmal hatte er sogar den Fall, dass jemand den gleichen Vor- und Nachnamen und das gleiche Geburtsdatum wie der tatsächliche Schuldner hatte. In dem Fall half der Geburtsort. Zu den heikleren Aufgaben eines Gerichtsvollziehers zählen einstweilige Anordnungen in Gewaltschutzsachen. Der Beamte ist dann beispielsweise dafür zuständig, einen prügelnden Ehemann – oder auch die schlagende Ehefrau – aus der Wohnung zu weisen oder einem Stalker ein Kontaktverbot zu überbringen. Dabei könne er aber jederzeit auf Polizisten zurückgreifen, sagt Herty.
Auch in Sorgerechtsangelegenheiten ist der Gerichtsvollzieher gefragt, etwa wenn der nicht sorgeberechtigte Elternteil das Kind nicht herausgeben will. Wenn das Kindeswohl gefährdet ist, muss ein Gerichtsvollzieher eventuell das Kind aus der Familie holen. Das sei ihm aber noch nicht passiert, da das Jugendamt betroffene Kinder anderweitig in Obhut nehme.
Grundsätzlich gelte für ihn: „Gewalt gegen Kinder ist nicht zulässig.“ Er fügt aber an: „Außer der Richter ordnet es an.“ Dann dürfe er das Kind auch gegen seinen Willen von der Mutter wegziehen.