Vor einem Jahr gab es strahlende Gesichter in Lohr: Dem evangelisch-lutherischen Dekanat Lohr, das sich über die Landkreise Main-Spessart und Bad Kissingen erstreckt, wurde Anfang Oktober ein neuer Bus für die Jugend- und Dekanatsarbeit übergeben. Ein paar der 25 Sponsoren, fast ausschließlich kleine Unternehmen und Handwerker, die durch Werbung den Neunsitzer finanziert haben, waren auch anwesend.
Das Dekanat hat einen neuen Bus, die Firmen einen Werbeeffekt und zugleich das gute Gewissen, ihr Geld für einen guten Zweck gegeben zu haben. Und möglich gemacht hat dies alles ein ebenfalls anwesender Vertreter der Firma MOBIL Sport und Öffentlichkeitswerbung GmbH, der die Anzeigenkunden anwarb. Eigentlich eine Win-Win-Situation für alle, sollte man meinen. Doch das Dekanat selbst hatte schon vor der Übergabe Bauchgrimmen bei der Angelegenheit.
40 000 Euro Einnahmen
Die Unternehmen haben für ihre Werbeflächen im Schnitt rund 1500 Euro netto gezahlt. Bei 25 Firmen – von 24 hat die Redaktion Auskunft erhalten – kommt so ein Gesamtbetrag von netto etwa 40 000 Euro zusammen. Für einen solchen neuen Ford Transit Custom Kombi mit Basisausstattung und Klimaanlage wie in Lohr nennt ein Fordhändler der Region als Preis etwas über 30 000 Euro. Möglich, dass die Firma einen Großabnehmerrabatt erhält, der in der Branche 35 Prozent und mehr betragen kann, und so das Fahrzeug noch günstiger bekommt.
Werbeunternehmer Richard Reitz aus Karlstadt, der den Werbeeffekt bei 25 Anzeigen bei „gleich null“ sieht, schätzt die Kosten, wenn eine Fachfirma alle Anzeigen gestaltet und dann aufklebt, auf 4000 bis 5000 Euro. Das Fahrzeug gehört jedoch nicht dem Dekanat. Nach fünf Jahren geht es wieder an die Sozialsponsoring-Firma MOBIL zurück, die es dann für den Restwert verkaufen kann.
Anwalt findet das Geschäft „unanständig“
Sozialsponsoring nennt sich das Geschäft, bei dem Werbefirmen werbefinanzierte Fahrzeuge „verschenken“ und damit kräftig verdienen. „Es ist vor allem ein Geschäft dieser Sponsoringfirmen“, sagt Rechtsanwalt Wolf-Dieter Czap aus Hirschaid bei Bamberg. Strafbar sei das Ganze nicht. „Das Unanständige ist, dass die so viel Geld damit verdienen und das aber nicht offenlegen.“
Konfrontiert man die werbenden Kleinunternehmen mit dem Rechercheergebnis, fühlen sich viele übers Ohr gehauen. „Ich habe gesagt, ich würde mich nur beteiligen, wenn das Ding sonst nicht zustande kommt“, sagt ein Unternehmer aus dem Landkreis Bad Kissingen. Ein Fliesenleger aus dem Raum Lohr sieht bei der Angelegenheit den guten Zweck nur noch als Vorwand: „Ich komme mir von denen betrogen vor.“ Von dem erhofften Werbeeffekt habe er noch nichts gespürt. Ein Dritter sagt: „Ich find es nicht in Ordnung, wenn man mit einer guten Sache noch ein Riesengeschäft machen will.“
Vorwurf: Vertreter nutzen Abhängigkeitsverhältnis aus
Manche Unternehmer beteiligten sich auch nur, weil sie befürchteten, dass es sonst womöglich geschäftlich Nachteile geben würde. Ein Gewerbetreibender, der auf dem Bus wirbt, sagt, dass man als „Kooperationspartner“ des Dekanats schlecht „Nein sagen kann“. Gerd Rauh aus Marktheidenfeld, der sich als „Haus- und Hofmaler des Dekanats“ bezeichnet, hat sich ebenfalls beteiligt. Es sei bei ihm zwar weniger Angst ums Geschäft gewesen, sagt er, er habe sich aber dennoch in einer Zwickmühle befunden.
Ein heikler Punkt: Mehrere Firmen kamen erst bei unserer Recherche dahinter, dass sie die 1500 Euro in mehreren Raten, in der Regel zwei, zahlen müssen – und damit doppelt so viel, wie sie eigentlich dachten. Warum – ob sie sich falsch erinnerten oder die tatsächlichen Kosten bei der Vermittlung nicht klar kommuniziert worden waren – konnten sie nicht sagen.
Unangenehme Situation für das Dekanat
Dekan Till Roth ist die Angelegenheit unangenehm. Er und seine Sekretärin Hiltrud Zadra betonen, wie dankbar sie den werbenden Firmen sind, dass sie den Bus möglich gemacht haben. „Wir haben etwas gekriegt, was wir uns normalerweise nicht hätten leisten können“, so formuliert es Zadra. Ja, der Dekan habe in einem „Bittbrief“ dargestellt, wofür der Bus gebraucht wird. Aber: „Wir haben nicht auf die Tränendrüse gedrückt“, sagt Roth. Zu dem Empfehlungsschreiben sei das Dekanat vertraglich verpflichtet gewesen. „Vermutlich wäre man heute kritischer, wenn man so ein Angebot von einer Sozialsponsoringfirma bekommt.“
Das Dekanat Lohr hat sich 2004 auf 20 Jahre an die MOBIL Sport- und Öffentlichkeitswerbung aus dem rheinland-pfälzischen Neustadt an der Weinstraße gebunden. Im Vertrag ist festgelegt, dass das Dekanat alle fünf Jahre ein neues Fahrzeug bekommt. Durch Verzögerungen gab es 2017 das vierte Fahrzeug, 2023 stünde dem Dekanat laut Vertrag also noch einmal ein weiteres zu. Nun sei man jedoch bestrebt, den Vertrag 2024 auslaufen zu lassen, sagt der Dekan, möglichst ohne, dass noch einmal Gewerbetreibende für Anzeigen auf einem weiteren Fahrzeug geworben werden.
Firma pochte auf Vertragserfüllung
Laut Zadra habe man schon vor Jahren versucht, aus dem Vertrag herauszukommen, etwa indem man ein Fahrzeug für den Restwert abkauft, aber die Firma MOBIL habe abweisend reagiert und auf Erfüllung des Vertrags gepocht. Alle laufenden Kosten wie TÜV, Reparaturen oder die etwas höhere Versicherung, um Schäden an den Werbeanzeigen abzudecken – trägt das Dekanat selbst.
Dass es noch lukrativer als in Lohr geht, zeigt der von der Redaktion vor drei Jahren recherchierte Fall, bei dem ebenfalls die Firma MOBIL ein solches Ford-Modell wie in Lohr an das Gesundheitszentrum Gemünden (Lkr. Main-Spessart) vermittelt hat und dabei knapp 80 000 Euro netto einnahm. Der Fall schaffte es auch ins Fernsehen.
MOBIL, eine von mehreren Firmen der Unternehmensgruppe Niederberger, hat der 2013 gestorbene Achim Niederberger gegründet. Seine Sponsoring-Firmen, die auch werbefinanzierte Anhänger, Tempo-Mess-Geräte, Vitrinen, Informationskästen und Ortstafeln vermitteln, hatten ihn zum Multimillionär und größten privaten Weinerzeuger Deutschlands gemacht. Laut Bilanz macht der Konzern im Jahr rund 50 Millionen Euro Umsatz.
Vertreter: „Die wussten vorher, auf was sie sich einlassen“
Den neuen Dekanatsbus hat ein Mann aus Mittelfranken vermittelt, der im Hauptberuf Friseur und nebenher als freier Vertreter für MOBIL tätigt ist. Er sagt auf Anfrage über die werbenden Firmen: „Die wussten vorher, auf was sie sich einlassen.“ Er habe niemanden „mit der Pistole bedroht, dass er was abschließt“.
Rechtsanwalt Czap sagt, die Zahl der Fälle, bei denen er mit Sozialsponsoring zu tun hat, sei in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Seine Vermutung ist, dass sich inzwischen einfach weniger Unternehmen als „Sponsoren“ finden.
Die Firma MOBIL hat auf mehrere Anfragen dieser Redaktion, schriftlich wie telefonisch, nicht reagiert.