Auf den ersten Blick funktioniert das Hausärztesystem in Marktheidenfeld und Umgebung gut. Nein, sehr gut sogar, wie ein Blick in den Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung zeigt. Mit 138 Prozent ist die Region mit Hausärzten fast überversorgt.
Doch so rosig die Zahlen jetzt noch sind – in ein paar Jahren könnte sich das schlagartig ändern: 32 Hausärzte praktizieren hier derzeit. Knapp die Hälfte von ihnen ist 60 Jahre oder älter und spielt mit dem Gedanken, bald aufzuhören. Das Problem ist bekannt: Es findet sich kaum ein Nachfolger.
Mit dieser Situation bestens vertraut sind die Marktheidenfelder Hausärzte Doktor Stephan Zieher (67 Jahre) und Doktor Edwin Albert (65). Gemeinsam betreuen sie Patienten in Allgemeinarztfragen und in der Diabetologie. „So langsam kommen wir aber in ein Alter, in dem Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tage hart werden“, sagt Dr. Zieher. Ihr Wunsch: Einen Partner, Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, der ihnen – Stück für Stück – die Arbeit und die Verantwortung abnimmt.
Vor drei Jahren haben sie mit der Suche angefangen: Sie haben bei regionalen Kliniken nach potenziellen Interessenten gefragt, bei Fortbildungen ihr Angebot verbreitet. Sie haben im Ärzteblatt inseriert und sind beide bei der Kassenärztlichen Vereinigung als nachfolgesuchend gelistet. Zuletzt haben sie sogar einen Headhunter beauftragt, der auch außerhalb der Region sucht und vermittelt. Vorgestellt hat sich bislang nur eine Person.
Auch ein Medizinisches Versorgungszentrum, wie es seit 2004 möglich ist, wurde angedacht. Doch auch diese Idee wurde verworfen: „Meinen Hausarzt“ gibt es dann nicht mehr. „Man wird von dem Arzt versorgt, der gerade Dienst und freie Termine hat“, erläutert Dr. Albert. Vor allem abschreckend: die Kosten. Neue Räume anmieten, einrichten – das ließe sich gegen Ende der Berufstätigkeit kaum stemmen. Dennoch sind sich die Mediziner sicher: Als Einzelkämpfer, wie bisher, sind die Hausärzte ein Auslaufmodell. Die Gründe? Einer sei der Generationswechsel. „Junge Menschen lassen sich unter den heutigen Voraussetzungen nicht mehr auf die Verantwortung und die Arbeitsbedingungen ein“, so Dr. Zieher. Vor allem wollen sie keine Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tage. Zudem sei die Medizin weiblicher geworden, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtiger denn je.
Katastrophal auch: die gesundheitspolitische Grundlage für Allgemeinmediziner. Was fehle, seien Konzepte. Bessere Bereitschaftsdienstregelungen, zuverlässigere Partner. „Wir werden immer älter und keiner reagiert darauf“, beschreiben die beiden Ärzte. „Man bejammert das Abwandern der Ärzte ins Ausland, versucht gegenzusteuern – aber es fragt keiner nach, warum das so ist.“
Dabei können die Allgemeinmediziner ihren Beruf nur wärmstens empfehlen. Für sie ist er die Königsdisziplin unter allen medizinischen Fachbereichen: vielschichtig, intensiv, nah dran am Menschen. „Wir überblicken ganze Generationen“, so Dr. Albert. Und oft bleibt im Nebensatz hängen, was letztlich für eine Diagnose entscheidend ist.
Dass es in ein paar Jahren in Marktheidenfeld in Sachen Hausärzte schwierig wird, darin ist sich auch die Marktheidenfelder Ärztin Dr. Caroline Hildenbrand-Nixdorf sicher. Seit 2013 ist sie die hiesige Ärzte-Obfrau, vertritt die Ärzte in der Region gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung und ist für die Wochenend-Dienstpläne zuständig. 22 Ärzte seien derzeit in der Dienstgruppe, inklusive Fachärzten. Wer über 62 ist, muss keinen Wochenend-Dienst mehr machen. Wann allerdings ein Arzt seine Praxis generell aufgibt, dafür gibt es keine Altersbeschränkung mehr.
Engpässe im Marktheidenfelder Hausärzte-Netz gebe es derzeit schon in Schollbrunn und in Hasloch, bestätigt Dr. Hildenbrand-Nixdorf. Sie bemängelt, dass es zu wenig Hilfestellung rund um die Selbstständigkeit gebe. „Wirtschaftliche Dinge, wie Personalwesen, Finanzierung und Abrechnungswesen einer Praxis kommen im Medizinstudium nicht vor“, so Hildenbrand-Nixdorf. Ebenfalls im Studium, aber auch in der Bezahlung zu kurz komme das „ärztliche Gespräch“. Dabei sei dies eigentlich das Allerwichtigste. „Manche Dinge kann man nicht in fünf Minuten lösen und es gibt auch oft keine Standardlösung.“ Das mache die Allgemeinmedizin so spannend und schwierig zugleich.
Zudem sei das Denken noch weit verbreitet, dass der Hausarzt ein sogenannter Feld-, Wald- und Wiesenarzt sei. Dabei ende die Weiterbildung wie bei anderen Fachärzten auch mit einer Facharztprüfung. Denn vor allem die Hausärzte müssten in allen Gebieten fit sein, um gut behandeln zu können.
Hinter historisch geschützten Fachwerkmauern am Marktplatz 9 in Marktheidenfeld befindet sich die Praxis von Dr. Peter Witzany. Wer hier das Wartezimmer betritt, entdeckt zunächst ein handgeschriebenes Plakat. „Mit 66 Jahren ist noch lange nicht Schluss!“, zitiert Dr. Witzany hier den bekannten Udo-Jürgens-Refrain. Und klärt auf, dass seine Praxis auch über das Jahr 2015 hinaus von ihm und seiner Assistenzärztin fortgeführt werde.
Seit 1983 betreibt der Facharzt für Innere Medizin seine Praxis. Eigentlich wollte er mit 65 Jahren aufhören. „Die Praxis läuft gut, es werden überdurchschnittlich viele Patienten hier betreut. Ich habe gedacht, dass die jungen Kollegen Schlange stehen würden, um sie zu übernehmen“, erzählt er. Aber es kam anders. Bei der Vorstellung der Praxis als abgabewilliger Arzt in einer Würzburger Großbank wurde er belehrt, dass die jungen Kollegen lieber als 35. Arzt in die Kaiserstraße nach Würzburg gehen als auf das Land nach Marktheidenfeld.
Bis Ende 2017 will er noch weitermachen, länger aber nicht. Seine Mitstreiterin, Birgit Göbel-Sauterleute, Fachärztin für Allgemeinmedizin, möchte die Praxis alleine nicht übernehmen. Aber es gibt einen ernsthaften Interessenten: Seit Mai 2014 unterstützt Dr. Kai Hetzel, Weiterbildungsassistent in der Allgemeinmedizin, seine Praxis – und fühlt sich hier genau richtig. „Ich finde, dies ist ein genialer Job“, sagt er. Für ihn ist der Hausarzt am Nähesten dran an seinem Arztbild. Dafür geht er auch gerne aufs Land – zumal er aus der Region kommt.
Warum so wenig junge Kollegen Interesse an der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin haben? „Was hier fehlt, ist die Planungssicherheit!“, beschreibt Dr. Hetzel. Wie wird sich das Gesundheitswesen verändern? Bleibt der Allgemeinmediziner in seiner jetzigen Form politisch gewünscht, wirtschaftlich rentabel und überlebensfähig? „Da bestehen viele Zweifel“, so Dr. Hetzel. Auch vonseiten der Krankenkassen kämen wenige Signale, die eine hausärztliche Praxis für den Nachwuchs attraktiv machten. Unter dem Strich aber betonen beide Ärzte, dass es für sie kein schöneres Berufsbild gibt.
Noch keine Lust, aufzuhören, hat Roland Erbelding, Allgemeinmediziner in Birkenfeld. Nächstes Jahr wird er 70 Jahre alt. Die Praxis schließen will er noch lange nicht. „Ich mache weiter, so lange es körperlich und vom Lustfaktor her geht“, sagt er. Allerdings findet er auch, dass es die Politik den Allgemeinmedizinern nicht leicht mache.
Positiv in die Zukunft der Hausärzte blickt Dr. Jürgen Cremer aus Lengfurt. „Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, sehe ich eigentlich nicht so schwarz“, sagt der 68-Jährige. Seiner Meinung nach wird die Einzelpraxis auf dem Land überleben. Der Trend gehe zwar zum Medizinischen Versorgungszentrum, mit Vorteilen, wie geregelten Arbeitszeiten und Urlaubsvertretungen. Laut Dr. Cremer könne es aber schwierig werden, Fachärzte in ein ländliches MZV zu holen.
Seine eigene Praxis wird sein Sohn Carsten Cremer übernehmen – obwohl diesem durch sein Studium in Englisch viele Möglichkeiten offenstünden. Deshalb sei die Übernahme innerhalb der Familie nicht immer klar gewesen, erklärt sein Vater. Zudem habe sein Sohn als Kind das Landarztleben mit allen Schwierigkeiten mitverfolgt. „Zu einer Übernahme hat er sich entschieden, weil er ein Mensch mit sehr hoher sozialer Kompetenz ist“, so der Vater. „Und er sagt, dass man dorthin geht, wo man gebraucht wird.“