„Salem aleikum – Guten Morgen!“, sagt Fahri Kilic, als er am Montag um 9.50 Uhr vor seine Schüler tritt. Freundlich und im Chor grüßen die neun Erstklässler zurück. Obwohl das Wochenende vorbei ist, haben sie gute Laune, denn sie mögen ihren Lehrer und seinen Unterricht sehr gerne. „Islamische Religionslehre“ heißt das Fach, das sie jetzt zwei Schulstunden lang haben. In der ersten Stunde sollen die Kinder fleißig mitmachen, fordert Kilic sie auf, und für die zweite verspricht er ihnen einen lustigen Film mit den Schlümpfen.
Bevor Kilic den Schülern eine Aufgabe gibt, spricht er ein Du'a (Bittgebet) und lässt die Kinder Gebete aufsagen. Dann verteilt er Blätter, auf denen mehrere Formeln geschrieben stehen, die alle eine wichtige Rolle im Alltagsleben von Muslimen spielen: „Bismillah“ (Im Namen Gottes), „Alhamdulillah“ (Das Lob sei Allah) oder „Allahu Akbar“ (Gott ist am größten). Kilic erklärt den Kindern die Bedeutung, dann sollen sie die Worte ausschneiden, auf ein zweites Blatt mit einem schönen Rahmen kleben und ausmalen. Begeistert machen sich die Schüler ans Werk.
Seit 2009 unterrichtet Fahri Kilic an der Grundschule in Karlstadt. An der Mittelschule ist er auch für ältere Jugendliche verantwortlich. Insgesamt betreut der türkischstämmige Pädagoge in Karlstadt etwa 60 Schülerinnen und Schüler. Warum er den Islam-Unterricht gerade in der heutigen Zeit für so wichtig hält und welche Hoffnungen er damit verbindet, erzählte er vor Beginn seiner montäglichen Doppelstunde in einem Interview mit der Main-Post.
Frage: Was macht einen guten Lehrer für islamischen Religionsunterricht aus?
Fahri Kilic: Er muss das, was er den Kindern beibringt, selbst glauben und vorleben. Ein Beispiel: Wenn ich meinen Schülern erkläre, Alkohol sei haram, also verboten, dann darf ich mich nicht selbst darüber hinwegsetzen. Ansonsten muss ein Islam-Lehrer die gleichen Eigenschaften und Fähigkeiten mitbringen wie jeder andere Pädagoge auch: Geduld und starke Nerven. Die Erziehung von Kindern, auch in der Schule, braucht Zeit.
Sie selbst sind Sunnit. In Ihrem Unterricht sollen sich aber sicher auch Kinder anderer Glaubensrichtungen wie Schiiten und Aleviten wiederfinden. Funktioniert das?
Kilic:
Ja, weil die grundlegende Ausrichtung die gleiche ist. Bei manchen Unterrichtsinhalten, dem Gebet beispielsweise, gehe ich allerdings nicht so sehr ins Detail. Hier empfehle ich meinen Schülern, das Thema zu Hause mit den Eltern weiter zu vertiefen.
Den Islam-Unterricht gibt es in Karlstadt an Grund- und Mittelschule seit dem Jahr 2009. Vorher war es so, dass die muslimischen Kinder den katholischen oder evangelischen Religionsunterricht besucht haben. War das nicht vollkommen kontraproduktiv?
Kilic: So hart würde ich es nicht ausdrücken. Als ich selbst Schüler an einer deutschen Schule war, habe ich auch katholische oder evangelische Religionsstunden erlebt. Mir wurde da aber nichts aufgezwungen, ich wurde weder abgefragt noch musste ich Prüfungen mitschreiben. Es ging allein darum, dass die Schule ihrer Aufsichtspflicht nachkommt.
Der Bedarf für Islam-Unterricht war in Ihrer Kindheit demnach noch nicht so gegeben wie heute.
Kilic: Das ist richtig. Das Fach Ethik kannte man damals übrigens genauso wenig, weil auch da der Bedarf noch nicht da war. An manchen Schulen gab es Türkisch-Unterricht, da sind die muslimischen Kinder dann dorthin gegangen, während ihre deutschen Klassenkameraden Religionsstunde hatten.
Sie sind in Karlstadt der erste und einzige Lehrer, der Islam-Unterricht erteilt. Sprechen Sie dabei ausschließlich Deutsch?
Kilic: Grundsätzlich ja. Hin und wieder kommt es vor, dass ein Kind einmal einen Begriff nicht versteht. Wenn ich eine rein türkische Klasse habe, erkläre ich diesen dann in türkischer Sprache. Aber dann geht es sofort wieder auf Deutsch weiter.
Fragen der Kinder auf Türkisch sind also nicht erlaubt?
Kilic: Nein. Gleiches gilt für Prüfungen. Wenn ein Schüler sich meldet und fragt, ob er ein Wort auch auf Türkisch aufschreiben kann, weil er es auf Deutsch nicht weiß, lasse ich das nicht zu.
Es gibt immer wieder Eltern muslimischer Kinder, die sich mit der deutschen Sprache schwertun. Ärgert es die, wenn Sie hier so rigoros vorgehen?
Kilic: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Alle Eltern, die ich kenne, sind froh, dass es dieses Angebot in Karlstadt gibt und sie schicken ihre Kinder sehr gerne zu mir. Bislang waren wir in all den Jahren in keiner Jahrgangsstufe weniger als zehn Schüler. Überwiegend sind das türkischstämmige Mädchen und Jungen, aber auch arabischstämmige sind dabei. Zuweilen kommen Kinder ganz anderer Herkunft zu mir, etwa aus Afrika oder Tschetschenien, aber das ist eher selten der Fall.
Rund 100 000 Kinder und Jugendliche an Bayerns Schulen sind Muslime. Es gibt aber nur 65 Lehrer, die Islam-Unterricht geben, einer davon sind Sie. Können Sie den pädagogischen Bedarf in Karlstadt als „Einzelkämpfer“ überhaupt abdecken?
Kilic: Ich unterrichte ja nur an Grund- und Mittelschule und da, denke ich, haben wir alles gut im Griff. An der Karlstadter Realschule und am Gymnasium gibt es das Angebot nicht. Dazu muss man wissen: Der Islam-Unterricht ist in Bayern bislang nur ein Modellversuch. Zwar soll das Projekt ausgeweitet werden, momentan hat die Staatsregierung aber vor allem die Grund- und Mittelschulen im Blick.
Es liegt nahe, warum die Regierung künftig mehr Islam-Unterricht an den Schulen anbieten möchte: Sie wertet ihn als Erfolg. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus? Als Lehrer sind Sie ja näher dran als jeder Politiker.
Kilic: Ich bin überzeugt, dass der Islam-Unterricht viel Positives bewirkt. Eine meiner wichtigsten Aufgaben als Pädagoge sehe ich darin, die Schüler zur Vernunft und zu einem respektvollen Umgang untereinander und gegenüber den Lehrern zu erziehen. Das gelingt mir bislang ganz gut.
Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Ihren Kollegen, speziell zu denen, die katholische und evangelische Religionslehre unterrichten?
Kilic: Sehr gut. Toleranz gegenüber meinen Mitmenschen und ihrer Religion ist mir ungemein wichtig – und meinen Kollegen auch. An allen Schulen, an denen ich unterrichte, begegnen wir uns mit großem Respekt und zeigen Verständnis für den Glauben des Anderen.
Gibt es darüber hinaus auch ein ehrliches Interesse an der Religion des Anderen?
Kilic: Ja, das gibt es. Meine persönliche Erfahrung ist: Wenn ich einen Schritt auf einen anderen Menschen zugehe, kommt mir dieser zwei Schritte entgegen. Meinen Schülern sage ich immer, dass wir in Deutschland in einem christlichen Land leben und dass die Christen unsere Nachbarn, unsere Freunde sind. Dazu ist es wichtig, dass wir das, woran die Christen glauben, näher kennen lernen. Erwachsene müssen diese Bereitschaft natürlich genauso mitbringen.
Der islamische Religionsunterricht wird von der Politik inzwischen als eine Art Heilsbringer der Integration gesehen. Kann und soll er das leisten?
Kilic: Er kann zumindest einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Ich möchte als Lehrer mithelfen, dass eine gesunde Generation muslimischer Kinder heranwächst, die gut in Deutschland integriert ist. Dazu gehört auch, ihnen deutlich zu machen, dass der Islam nicht so ist, wie er in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Terroranschlägen und Selbstmordattentaten zuweilen dargestellt wird. Ich mache meinen Schülern deshalb klar: Menschen zu töten ist auch in unserer Religion eine große Sünde, es gehört nicht zum Islam.
Sprechen Sie solche Themen auch schon in der Grundschule an?
Kilic: Nein, das wäre zu früh. Normalerweise wissen Kinder in diesem Alter von derartigen Ereignissen aber auch noch nichts. In der Mittelschule ist das anders. Da kommt es schon vor, dass Schüler mich darauf ansprechen, wenn zum Beispiel ein Terroranschlag verübt wird, wie Anfang Januar auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“. Ich bin dann gerne bereit, mit den Jugendlichen darüber zu diskutieren. Wenn sie falsche Denkansätze äußern, versuche ich, diese im positiven Sinne zu korrigieren.
Glaube und Religion sind sehr komplexe und abstrakte Themen. Wie lassen sie sich so vereinfachen, dass gerade Kinder keine verkehrten Schlüsse ziehen?
Kilic: Ich arbeite in meinem Unterricht sehr viel mit Bildern – auch dann, wenn es auf den ersten Blick schwierig erscheint. Im Islam darf man sich kein Bild vom Propheten Mohammed machen. Wenn ich also in der Grundschule eine Geschichte von Mohammed erzähle und ein Bodenbild gestalte, stelle ich den Propheten in Form einer Kerze dar. Der Prophet als Licht, das für uns scheint.
Es ist sicher sinnvoll, in der Schule bewusst und reflektiert an Texte aus dem Koran heranzugehen. Ein Allheilmittel gegen Fundamentalismus kann das aber auch nicht sein.
Kilic: Nein, unser Einfluss als Lehrer hat natürlich Grenzen. Was die Schüler zu Hause mit auf den Weg bekommen oder was sie in ihrem Freundeskreis erfahren, liegt nicht in unserer Macht. Ich möchte es metaphorisch darstellen: Ich betrachte mich als einen Sämann, der ein Samenkorn in die Erde legt, es abdeckt, düngt und immer wieder gießt. Ich tue also alles dafür, dass meine Saat prächtig gedeiht. Trotzdem kann es geschehen, dass das Samenkorn nicht aufgeht.
Fahri Kilic
In der türkischen Provinz Sakarya, etwa 120 Kilometer östlich von Istanbul, wurde Fahri Kilic geboren. Der kleine Fahri war noch keine zwei Jahre alt, da holte ihn sein Vater zu sich nach Deutschland, wo er als Gastarbeiter tätig war. Die weiteren Familienmitglieder folgten. Bis zu seinem 14. Lebensjahr wuchs Fahri Kilic in Erlangen auf, dann ging die ganze Familie in die Türkei zurück – ein schwerer Schritt für den Jugendlichen. Fahri Kilic erinnert sich, er habe „großes Heimweh“ nach Deutschland verspürt. Seinem Vater ist er noch heute dankbar, dass dieser auch in der Türkei immer wieder Deutsch mit ihm gesprochen habe. Die Kinder sollten die Fähigkeit, zwei Sprachen zu beherrschen, nicht verlieren. Fast zwei Jahrzehnte später, mit 33 Jahren, kehrte Fahri Kilic der Türkei wieder den Rücken. Er hatte inzwischen an der Universität in Konya Germanistik studiert und war als Lehrer verbeamtet worden. Die Türkei unterstützte ihn bei seinem Wunsch, im Ausland zu praktizieren. Ursprünglich wollte Fahri Kilic nur für begrenzte Zeit in Deutschland bleiben, doch schon bald reifte in ihm der Entschluss, mit seiner Familie dauerhaft hier leben zu wollen. Der Freistaat Bayern setzte Fahri Kilic zunächst in Hof ein, wo er ab 2004 an fünf Schulen unterrichtete. Seine Fächer waren Türkisch und Türkische Kultur. Fünf Jahre später wechselte er nach Unterfranken, wo er mittlerweile zwischen drei Städten pendelt: In Würzburg praktiziert er an vier Grund- und Mittelschulen, in Kitzingen an drei und in Karlstadt an zwei. Fahri Kilic ist 44 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und den fünf Kindern in Kitzingen. Text: jogi