Mit ihrem Kaffeebecher schlendert Nanette Waidmann über den Gemündener Marktplatz. Endlich zu Hause. Gerade hat sie ihren 23. Geburtstag gefeiert – einer der seltenen Tage, an denen sie heimkehrt, um ihre Familie zu sehen. Seit zwei Jahren lebt die junge Frau in Zürich. Dort besucht sie die Hochschule für Musik und Theater, die ab August Zürcher Hochschule der Künste heißen wird.
Auf dem Weg zur Scherenburg kommen Erinnerungen hoch und kreischende Schüler die Treppen heruntergerast. „Ich liebe diesen Trubel. Ist das nicht schön, wie sie sich freuen, weil sie gerade aus dem Theater kommen?“, fragt Nanette Waidmann. Mit ihrer beigen Stoffhose und halboffenen Stiefeletten, die ihre besten Tage schon hinter sich haben, erklimmt sie die Stufen. Vor einigen Jahren hat sie selbst hier auf der Bühne gestanden – meist mit ebendiesen Stiefeln. In Pinocchio oder der Zauberflöte hat sie mitgewirkt, mit Pippi Langstrumpf ihre erste Hauptrolle gegeben („Das waren vielleicht Kopfschmerzen von dem Drahtgestänge in den Haaren.“) und in elf Jahren in ebenso vielen Stücken gespielt.
Erste Bühnenerfahrung
Ihr Leben als Schauspielerin begann auf der Scherenburg. „Nicht ganz“, sagt die 23-Jährige. „Die wirklichen Anfänge gehen zurück in unseren Garten.“ Mit ihren beiden Geschwistern und ihren Cousins hat sie dort Stücke aufgeführt: „Wir haben sogar eigene Eintrittskarten gebastelt.“ Mit zehn Jahren stand sie dann zum ersten Mal auf einer richtigen Bühne bei den Freilichtspielen. Auftritte in der Spessartgrotte folgten. Manche Klassenfahrt fiel den zeitaufwendigen Proben zum Opfer. Und wenn ihre Freunde auf dem Beatabend einen drauf machten, studierte sie Shakespeare-Stücke. „Beim Beatabend habe ich es nur ausgehalten, wenn ein Junge da war, den ich mochte.“
Sie sei einfach anders gewesen, sagt Nanette Waidmann und ein Funken Stolz darauf blitzt noch heute aus ihren stahlblauen Augen. Nach dem Abitur (Note 1,7 trotz Schauspielerei) unternahm sie den „Versuch“, Anglistik und Germanistik zu studieren. Es blieb beim Versuch. „Ich habe das total verpeilt, alleine schon diese Anmeldefristen“, sagt die 23-Jährige. Stattdessen spielte sie in Frankfurt Theater an kleinen Bühnen und tourte mit ihrer Schwester in einem kleinen roten Fiat quer durch Deutschland, um an Schauspielschulen vorzusprechen.
Ihre Schwester Angela ist heute am Max-Reinhard-Seminar in Wien. Nanette wurde in Zürich aufgenommen. „Ich möchte Geschichten erzählen und Menschen berühren“, sagt die Studentin. Die Schule bietet ihr dafür nicht nur eine qualifizierte Ausbildung, sondern auch gute Einstiegschancen in den Beruf, Kontakte zu Intendanten und Regisseuren. „Und ich lerne, auf das zu vertrauen, was ich bereits kann“, sagt Nanette Waidmann.
Master of arts in theatre
Tanz, Akrobatik, Sprechtraining, Gesang oder Improvisation gehören zu den Fächern. Im kommenden Jahr hat die junge Schauspielerin ihren Bachelor. Wenn sie weiter studiert, hat sie in zweieinhalb Jahren den „Master of arts in theatre“. „Hört sich komisch an, nicht? Ich wäre lieber ganz normal Diplomschauspielerin“, sagt sie. Überhaupt, sie stehe nicht auf dieses „ganze moderne Zeugs“. Zurück zum Eis: So neumodische Dinge wie Smarties-Eis überfordern sie. Sie hält's lieber mit den einfachen Dingen – Zitroneneis oder Erdbeer. Der bundeswehrgrüne Parker von ihrem Opa unterstreicht ihre Haltung. Kein modischer Schnick-Schnack schmückt die junge Frau. „Und ich bin stolz, heute mal eine Hose anzuhaben, die kein Loch hat.“
Im Biergarten vor der Scherenburg wird Nanette Waidmann ein wenig wehmütig: „Ich vermisse die Burg wirklich“, sagt sie. Ein Traum, hier einmal als Profi auf der Bühne zu stehen? „Schon, aber wahrscheinlich hätte ich Gewissensbisse, das Geld anzunehmen.“ Früher, sagt sie, hätte sie eher selbst bezahlt, um spielen zu dürfen. Als sie ihre erste Gage bekommen habe, sei es ein seltsames Gefühl gewesen: „Geld anzunehmen für etwas, das ich so gerne mache.“
Sie spricht über die Schauspielerei wie über eine Berufung, nicht wie über einen Beruf – mit dem Idealismus, der jungen Studenten zu eigen ist. „Bevor ich zu einer Daily Soap gehe, würde ich wahrscheinlich lieber kellnern“, sagt sie. Oder eine weitere Ausbildung machen, vielleicht als Lehrerin an einer Waldorfschule. Auf jeden Fall will sie die Liebe fürs Theater behalten – „und mich nicht verkaufen“.