„Die Deutschen sind sehr warmherzig“, sagt Halil ªanli. Eine überraschende Aussage von einem jungen Mann, der erst knapp drei Wochen in Unterfranken lebt. ªanli ist der neue Imam der türkisch-islamischen Gemeinde in Marktheidenfeld und widerspricht mit seiner Aussage dem Klischee der eher grantigen Unterfranken.
Der 32-Jährige kommt aus der türkischen 200 000-Einwohner-Stadt Afyon, etwa 250 Kilometer südwestlich von Ankara. Mit 18 Jahren war er schon einmal für zwei Jahre in Deutschland im nordrhein-westfälischen Oberhausen, um dort Deutsch zu lernen. Sehr gut spricht er die Sprache noch nicht, ist aber bemüht, seine Kenntnisse wieder aufzufrischen und zu erweitern. Beim Gespräch dieser Redaktion mit Halil ªanli standen dem jungen Imam sowohl Vedat Karakoç als auch Senol Kiliçarslan vom Vorstand der türkisch-islamischen Gemeinde Marktheidenfelds als Übersetzer bei schwierigen Fragen zur Seite.
Nach dem Sprachkurs in Oberhausen ging es für ihn zurück in die Türkei, nach Izmir, wo er islamische Theologie studierte. In seiner Familie keine überraschende Berufswahl. „Mein Vater ist Imam und mein Bruder ist Imam in Hamburg“, erzählt ªanli. Dass er nun Imam in Marktheidenfeld ist, lag am türkischen Konsulat in Nürnberg. Das organisiert und koordiniert die geistliche Versorgung der bayerischen Gemeinden der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion). Er wollte gerne ins Ausland, sagt der 32-Jährige. Um das zu dürfen, musste er als bereits fertiger ausgebildeter Imam noch eine Prüfung bestehen – was er auch schaffte.
Seit Ende Januar ist Halil ªanli nun Geistlicher für etwa 320 Muslime im Raum Marktheidenfeld. „Von denen sind allerdings nur 97 Mitglied im Verein der Gemeinde“, erklärt Senol Kiliçarslan, der im Vorstand mitwirkt. Dazu kommt eine wechselnde Anzahl von muslimischen Flüchtlingen. Und die sind ein weiterer Grund, warum der Imam besser Deutsch lernen will. Viele der Flüchtlinge oder anerkannten Asylanten muslimischen Glaubens kommen aus Syrien oder Afghanistan.
„Ein paar wenige können ein paar Brocken Türkisch“, sagt Kiliçarslan, der schon seit 40 Jahren in Marktheidenfeld und Umgebung lebt. Viele Flüchtlinge hätten schon einen Sprachkurs gemacht. „Da ist Deutsch oft die einzige gemeinsame Sprache“, erklärt Kiliçarslan.
Halil ªanli ist mit seiner Frau nach Marktheidenfeld gezogen – und seinen drei Mädchen, die zwischen drei und sieben Jahre alt sind. Kein Wunder, dass ihm auch als Imam die Arbeit mit Kindern wichtig ist, wie er sagt. Einmal die Woche – in den Ferien auch öfter – unterrichtete er in einem kleinen Klassenzimmer im türkischen Gemeindezentrum in der Udo-Lermann-Straße junge Muslime im islamischen Glauben. Zu seinen Aufgaben gehört vor allem auch das Gebet fünfmal am Tag im Gebetssaal im ersten Stock des Gebäudes. Während der Woche kommen allerdings nur wenig Muslime zum Gebet mit dazu in den Raum. „Die meisten müssen da arbeiten“, sagt Senol Kiliçarslan. Doch beim Freitagsgebet sind meist über 50 Gläubige anwesend – und der kleine Raum damit ziemlich voll.
Religionsunterricht, Gottesdienst – auch sonst unterscheidet sich die Arbeit ªanlis als Imam nicht sehr von der eines christlichen Pfarrers. Er besucht Alte und Kranke, liest Erwachsenen aus dem Koran vor und spricht mit ihnen darüber – ein Pendant zu den christlichen Bibelkreisen –, betreibt Gefängnisseelsorge und auch Jugendarbeit.
Der türkische Kulturverein Marktheidenfeld ist froh über den neuen Imam. Auch darüber, dass er nicht so alt ist. So könne der Imam besser mit Jugendlichen über Themen sprechen, bei denen es deren Eltern nicht so leicht fällt, beispielsweise über Vorschriften zur Sexualität im islamischen Glauben.„Solche Gespräche gehen mit einem jungen Imam besser als wenn der schon recht alt ist“, sagt Senol Kiliçarslan und lacht.
Eines ist für den jungen Imam klar: politisch hält er sich heraus. „Ich bin nur für den Glauben da und muss darum neutral bleiben“, sagt der 32-Jährige.
Vedat Karakoç, der Vorsitzende des türkischen Kulturvereins Marktheidenfeld, zeigt an dieser Stelle des Gesprächs auch energisch auf ein Schild im Aufenthaltsraums des Kulturzentrums, auf dem sinngemäß steht: Politik bleibt draußen vor der Tür. Darauf werde im Kulturverein geachtet.
Zwei Jahre wird Halil ªanli vermutlich als Imam in Marktheidenfeld arbeiten. Wie bei seinem Vorgänger Duran Yalçin ist auch seine Zeit in der deutschen Gemeinde befristet. Danach wird er vermutlich wieder in die Türkei zurückberufen. Doch solange genießt er die Arbeit und die Zeit mit seiner Familie in Marktheidenfeld. Denn wie er sagt: „Die Stadt ist sehr schön und sehr ruhig.“
„Ich bin nur für den Glauben da und muss darum neutral bleiben.“
Halil ªanli, Imam