Seine Reden haben schon früher für Aufsehen gesorgt, und auch in Wertheim hielt der evangelische Pfarrer Johannes Bräuchle mit seiner Meinung zu den Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21 nicht hinterm Berg. Seine Äußerungen brachten ihm sogar zwei Anzeigen wegen Volksverhetzung und Beleidigung ein. Die Staatsanwaltschaft Mosbach hat jedoch die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen Bräuchle wegen dieser Tatbestände abgelehnt.
Am 10. November war der Stuttgarter Pfarrer, der als glühender Verfechter des Bahnprojekts bekannt geworden war, als Gastredner bei einer Veranstaltung des Wertheimer CDU-Stadtverbandes in Sachsenhausen aufgetreten. Dort fielen dann die Worte, die so manchem Stuttgart-21-Gegner sauer aufgestoßen sein dürften. Einem Zeitungsbericht zufolge bezeichnete Bräuchle das Ausstiegsgesetz, über das in der Volksabstimmung am 27. November zu entscheiden war, als „Ermächtigungsgesetz“.
Die Besetzung des Stuttgarter Schlossparks und die Demonstrationen der S21-Gegner erinnerten ihn gar an „Terror“ aus der SA-Zeit, soll Bräuchle gesagt haben. Die Evangelische Landeskirche hatte den Pfarrer nach diesen umstrittenen Äußerungen mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. Man wolle eine abschließende Klärung der Angelegenheit ermöglichen, heißt es dazu in einer Mitteilung der evangelischen Kirche.
Bräuchle arbeitete zuletzt bei den missionarischen Diensten der württembergischen Landeskirche. Als die Planungen für das Bahnprojekt seinerzeit vorgestellt wurden, saß der Pfarrer für die CDU im Stuttgarter Gemeinderat.
Bräuchle: „Fehlinterpretation“
Bräuchle selbst spreche im Zusammenhang mit seiner Wertheimer Rede von einer „Fehlinterpretation“, heißt es in einem Bericht des „Schwarzwälder Boten“. Er ließ demnach über seinen Anwalt erklären, er bedaure, dass der Eindruck entstanden sei, er habe die Aktivitäten der S21-Gegner mit den Methoden der Sturmabteilung (SA) im Dritten Reich verglichen.
Die Staatsanwaltschaft Mosbach teilte der Presse nun mit, sie halte ein strafbares Verhalten des Angezeigten für nicht gegeben. Der Tatbestand der Beleidigung sei nicht erfüllt, weil die Äußerungen des Pfarrers von der verfassungsrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit geschützt seien, heißt es in der Mitteilung. Ob solche Äußerungen aus der Sicht Dritter nun wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch seien, spiele bei der Bewertung keine Rolle. Konkret: Die Meinungsfreiheit wiege in diesem Fall schwerer als etwaige Ehransprüche Betroffener.
Politischer Meinungskampf
Dies gelte umso mehr, wenn die Äußerung im Zusammenhang mit einem politischen Meinungskampf erfolge, so die Staatsanwaltschaft. Eine auf bloße Herabsetzung des Gegners abzielende Schmähkritik, die eine Beleidigung darstellen könne, vermochte die Staatsanwaltschaft in den Worten Bräuchles nicht zu erkennen.
Auch mit dem Vorwurf der Volksverhetzung kamen die Anzeigeerstatter nicht weiter. Volksverhetzung ist zwar laut der Mitteilung aus Mosbach auch im politischen Meinungskampf nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt. Allerdings greife der Tatbestand nur dann, wenn die angegriffene Gruppe ausreichend individualisierbar sei, heißt es weiter. Bei den S21-Gegnern sei das nicht der Fall. Auch einen Angriff auf die Menschenwürde sieht die Staatsanwaltschaft nicht. Bräuchle habe nicht das Recht der Angegriffenen bestritten, als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft zu leben.
Öffentlicher Friede nicht gestört
Die Äußerungen des Pfarrers könnten auch nicht den öffentlichen Frieden stören, heißt es auch von der Staatsanwaltschaft Mosbach. Es komme nämlich für die Bejahung dieser Frage nicht darauf an, wie stark die öffentliche Erregung sei. Es sei vielmehr so, dass die Strafjustiz nicht allein deshalb einschreiten dürfe, um das „allgemeine Friedensgefühl“ zu schützen oder die „Vergiftung des geistigen Klimas“ oder eine falsche Interpretation der Geschichte zu verhindern.
Den Anzeigeerstattern stehe nun trotzdem noch die Möglichkeit offen, gegen die Nichteröffnung des Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Mosbach oder bei der Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe Beschwerde einzulegen, teilte Oberstaatsanwalt Franz-Josef Heering auf Anfrage der Main-Post mit.
Volksverhetzung
Das Strafgesetzbuch stellt die Beleidigung in Paragraf 185 unter Strafe (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe). Im Gesetz sind die Voraussetzungen für die Strafbarkeit nicht genannt. Die Gerichte verstehen unter Beleidigung eine Äußerung, die darauf abzielt, die persönliche Ehre des Angegriffenen zu verletzen.
Die Volksverhetzung ist ein umfangreicher Tatbestand und in § 130 Strafgesetzbuch geregelt. Unter anderem macht sich strafbar, wer „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschen- würde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.“ Es droht in diesem Falle Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren.