Alles, was einem nicht mehr lieb und teuer ist, wird auf Versteigerungsplattformen angeboten in der Hoffnung, dass es einen neuen Liebhaber finden möge. Bei der „Jungfrauenversteigerung“ in Fellen verhält es sich umgekehrt: Alle, die noch keinen Liebhaber gefunden haben, werden in der Spessartschänke in der Hoffnung angeboten, dass sie dem einen oder anderen lieb und vor allem teuer werden mögen. Seit vielen Jahren bildet die Jungfrauenversteigerung den zünftigen Auftakt der Fellener Kirb. „Man muss Fellener sein, um das Spektakel zu verstehen“, erklärt Josef Walter, der bereits seit 38 Jahren die Versteigerung leitet. Die Spessartschänke ist voll besetzt – nur mit Männern versteht sich. Vor ihnen thront in Amtsrobe und mit federgeschmücktem Hut der Auktionator Josef Walter. In den nächsten drei Stunden bringt „der Jopp“, wie er genannt wird, alle unverheirateten Frauen, die älter als 16 Jahre sind, aus Fellen und seinen Gemeindeteilen unter den Hammer.
Für die Frauen gilt an diesem Abend Lokalverbot, damit die Männer sich nicht genieren, ihre Gebote abzugeben. Heuer stehen 63 Frauen zur Versteigerung. Die Älteste unter ihnen ist 58, die jüngsten, die diesjährigen „Platzschicksen“, zählen gerade 16 Lenze. Auf deren Ersteigerung spitzt sich der Abend zu. Denn der ursprüngliche Sinn der bald 100-jährigen Tradition der Jungfrauenversteigerung war, die brave und schüchterne Dorfjugend an der Kirb zueinanderzubringen.
Schlagkräftiges Kontingent
Nach alter Sitte mussten oder durften die Mädchen mit dem, der sie ersteigert hatte, das ganze Kirchweihwochenende durchtanzen. Die vier Platzburschen, die neben dem Auktionator sitzen, halten sich mit Geboten noch zurück. Für sie ist es traditionell Ehrensache, dass sie am Ende die Platzschicksen ersteigern. Die Vier haben zusammengelegt, um mit einem gemeinsamen Kontingent schlagkräftig mitbieten zu können.
Jetzt kommen erst die älteren Semester unter den Hammer und „der Jopp“ hat zeitweise Mühe, die Anwesenden aus der Reserve zu holen. Mit zehn Euro geht es los, nachdem der Auktionator den Namen der zu versteigernden „Jungfrau“ verlesen hat. In Ein-Euro-Schritten steigt der Preis mit jedem Handzeichen der Teilnehmer und jetzt heißt es aufgepasst: Denn wer sich nur am Kopf kratzt oder ein Bier bestellen will, den erspäht der „Jopp“ und zum Ersten, Zweiten und zum Dritten erhält er den Zuschlag.
Schweißnass klebt dem wild gestikulierenden „Jopp“ das Hemd am Körper und mit dem Klingeln einer Handglocke beendet er eine Bieterrunde nach der anderen. „Jopp“ bemerkt, dass im Vergleich zum Vorjahr – „buchungsmäßig gesagt – ein Verlust von 30 Prozent zu verzeichnen ist. Die Frauen sind im Durchschnitt sehr billig“, nörgelt er und mit heiserer Stimme feuert er die Männer zu neuen Geboten an.
„Ich habe meine Beate drei Jahre hintereinander gesteigert und dann geheiratet“
René Ulrich Gast in der Spessartschänke
Zwischendurch sorgt die Blaskapelle für Stimmung. Die Musiker, die verstreut im Saal sitzen, springen auf, schnappen sich ihre Instrumente und verschaffen dem Auktionator ein paar Minuten Erholung. Aber auch danach versanden die Gebote reihenweise bei mageren 15 Euro. Als sogar eine Runde mit null Euro endet, schimpft der „Jopp“, dass es so etwas noch nie gegeben hat. Er droht mit Abbruch der Veranstaltung. Ihm liegt etwas an einem guten Umsatz, denn schließlich kommt der Auktionserlös einer einzigen Sache zugute: Am Kirchweihmontag kommen alle Auktionsteilnehmer und die ersteigerten Frauen wieder in der Spessartschänke zusammen, um das Geld beim Essen und Trinken „auf den Kopf zu hauen“.
Schon vor dem Ersten Weltkrieg, weiß Josef Walter, entstand das Ritual der „Jungfrauenversteigerung“ in Fellen. Anfang der 60er rief Bruno Blank die Tradition wieder ins Leben. Seit 1970 leitet „Jopp“ Walter die Auktion. Dass sogar die Frankfurter Allgemeine kürzlich über die einzigartige Kirchweihtradition berichtete, erfüllt die Fellener mit Stolz. Allerdings vermittelt der Titel „Das Irrenhaus im Spessart“ einen falschen Eindruck über das lustige, aber stets anständige Treiben in der Spessartschänke.
Denn bei allem Spaß, den die Männer haben, und trotz mancher Flasche Bier, die Stimmung im Saal rutscht nie ins Derbe ab. Da die Jugendlichen zum Kennenlernen schon lange keine Versteigerung mehr brauchen, ist die Veranstaltung heute vor allem eins: eine Riesengaudi. Dennoch gibt der Auktionswert der „Platzschicksen“ heute noch Auskunft über deren Beliebtheit und „wenn am Samstag die Kirbbäume in der Ortsteilen aufgestellt werden, fragen die Leute immer zuerst, wie teuer die Mädchen ersteigert wurden“, erklärt Walter.
Auf die Frage, was der neue „Besitzer“ eigentlich mit der erworbenen Frau tun dürfe, sagt Walter augenzwinkernd „Was er will“, und fügt betont hinzu: „Wenn SIE will!“ Ob aus der Auktion schon Verbindungen über die Kirb hinaus entstanden sind? „Ja, vereinzelte Treffer“ habe es gegeben, sagt Walter und René Ulrich bestätigt: „Ich habe meine Beate drei Jahre hintereinander gesteigert und dann geheiratet“.
Erbitterter Wettstreit
Gegen 23 Uhr steigt die Stimmung im Saal. Die Platzschicksen werden aufgerufen. Um Nicole Burdig entbrennt schnell ein erbitterter Wettstreit zwischen den Burschen und der Musikkapelle. Der „Jopp“ ist jetzt in seinem Element und mit Begeisterung registriert er die wechselseitigen Gebote, bis er am Ende den Zuschlag mit 80 Euro an die Platzburschen erteilt.
Noch lebhafter geht es zu, als Christine Pfeifroth aufgerufen wird. Unerbittlich überbieten sich die Burschen und die Musiker gegenseitig. Doch plötzlich schwächeln die Burschen. „So macht man das, Ihr Burschen“, ruft Klaus, der Trommler aus der Musikkapelle, den Mitbietern triumphierend zu, nachdem er eine Sekunde vor dem Zuschlag mit einem neuen Höchstgebot den Anspruch auf die Platzschickse wieder auf die Seite der Musiker gezogen hat.
Der „Jopp“ ist außer sich: Das habe es noch nie gegeben, dass eine Schickse nicht von den Burschen ersteigert wurde. Er werde sein Amt niederlegen, falls er das heute erleben müsse, droht der Auktionator. Bei 170 Euro steht das Gebot und der „Jopp“ hat bereits „zum Zweiten“ gerufen, als er die Spannung nochmal erhöht und die Kapelle erneut zu einer musikalischen Einlage auffordert. Jetzt ist richtig Stimmung im Saal. Man spürt, dass die Jungfrauenversteigerung in Fellen nicht – wie Kirchweihbräuche es mancherorts vermuten lassen – zu einer Alibiveranstaltung für ungestörten Alkoholkonsum verkommen ist. Hier wird authentische Dorftradition gelebt. Am Ende geht der Zuschlag für Christine Pfeifroth mit 175 Euro an die Platzburschen. Traditionen sind schließlich zu wahren.