Stimmengewirr und voll besetzte Ränge in dem pompösen, stuckverzierten Auditorium; das Orchester nimmt seinen Platz ein, der Dirigent gibt energisch den ersten Takt an. Der gigantische, rote Vorhang geht auf – unter Applaus betritt der erste Balletttänzer die Bühne des weltberühmten Royal Opera House in London.
Zur gleichen Zeit in Marktheidenfeld: Das rund 40-köpfige Publikum im Movie im Luitpoldhaus stimmt in das Klatschen ein und starrt gebannt auf die Leinwand, auf der in wenigen Sekunden die Ballettaufführungen „Rhapsody“ und „The Two Pigeons“ in Echtzeit zu sehen sein werden. Es herrscht eine Atmosphäre, „als wäre man direkt vor Ort“, beschreibt Eva Piechulek aus Remlingen die Stimmung im Saal.
Übertragungen im Luitpoldhaus als eines von 950 Kinos weltweit
Die 68-Jährige hat bisher jede Live-Übertragung aus dem Londoner Opernhaus mitverfolgt und ist „hellauf begeistert“. Als eines von rund 950 Kinos weltweit überträgt das Marktheidenfelder Movie seit September eine Reihe von Opern und Ballettaufführungen, wie die Klassiker „Romeo und Julia“, „Der Nussknacker“ und „La Traviata“.
Ein großer Bonus sind für Andrea Peter aus Michelrieth besonders die Einblicke hinter die Kulissen. Zwei Moderatoren führen live aus dem Royal Opera House durch den Abend und zeigen vor jedem Stück Ausschnitte aus den Proben sowie Interviews mit Choreographen, Trainern und Tänzern – alles wird auf Englisch mit deutschen Untertiteln übertragen.
„Man bekommt sogar mehr mit, als wenn man vor Ort wäre“, freut sich die 55-Jährige. Technisch umsetzbar geworden sei die Übertragung in Echtzeit seit der Digitalisierung des Kinos vor fünf Jahren, erklärt Inhaber Johannes Bröstler. Mit der vorher üblichen analogen Ausstrahlung wäre das nicht möglich gewesen.
Per Satellit aus London
Inzwischen werden Satellitensignale aus London empfangen, die auf einer bestimmten Frequenz ins Kino übertragen werden, fährt Bröstler fort. Die Daten kommen über eine spezielle Satellitenschüssel auf dem Dach des Kinos, die bei zwei Testübertragungen aus London, jeweils einen Tag und eine Stunde vor Beginn der Aufführungen, entsprechend ausgerichtet wird.
21 Uhr, erster Akt des zweiten Stückes „The Two Pigeons“ („Die zwei Tauben“): Die Stimmung in Marktheidenfeld steigt, es wird geklatscht und immer wieder laut gelacht. Auf der Londoner Bühne versucht ein junger Künstler, ein zappeliges Mädchen zu porträtieren. Zwei Tauben fliegen am Fenster vorbei und eine Gruppe von vorüberziehenden Zigeunern betritt die Bühne. Und schon ist es um den jungen Mann geschehen: Er verliebt sich in ein kokett tanzendes Zigeunermädchen, woraufhin ein unerbittlicher Konkurrenzkampf zwischen den beiden Ballerinas ausbricht.
Begeistert von der guten Qualität
Als „Höchstleistung“ bezeichnet Brigitte Limmerkoch die Aufführung in der Pause. Auch für sie ist es nicht die erste Live-Übertragung im Movie; sie ist zum sechsten Mal dabei, erzählt die Homburgerin. Begeistert sei die 64-Jährige von der guten Ton- und Bildqualität, durch die die Atmosphäre aus dem Londoner Opernhaus im Kinosaal spürbar werde.
Übertragen wird in Full HD (hochauflösende Bilder) und Dolby Digital 5.1 (ein Mehrkanal-Tonsystem), wodurch sehr gute Ton- und Bildqualitäten erreicht werden können, erläutert Bröstler. Der Londoner Lizenzgeber verlange rund 50 Prozent des Umsatzes pro Eintrittskarte. Für ihn sei dies ein „faires Geschäft“, da beide Seiten etwas davon haben. Bisher seien die Live-Übertragungen auf jeden Fall rentabel gewesen, meint Bröstler. Mit über 100 Zuschauern sei „Der Nussknacker“ im Dezember ein absoluter Höhepunkt gewesen.
Unkompliziert und gleich um die Ecke
Viele Zuschauer aus der Region Main-Spessart seien froh, sich die langen Strecken nach Stuttgart oder Karlsruhe zu sparen, um große Bühnen zu sehen, meint Bröstler. Über die lokale Nähe freut sich auch der Gemündener Adolf Heidenreich. „Die Tänzer des Royal Ballets fliegen regelrecht über die Bühne“, meint der 78-Jährige begeistert. „Unkompliziert“ und „angenehm“, was die Fahrzeiten angeht, empfindet auch Sabine Hofmann-Schecker aus Lohr die Aufführungen. Von „der Atmosphäre“ und „dem ganzen Flair“ vor der Aufführung ist auch Freundin Elfriede Geiger begeistert. Bei einem Glas Sekt und klassischer Musik stimmen sich die Gäste im Foyer auf die Vorstellungen ein, erzählt Movie-Mitarbeiter Oliver Hauguth.
„Die Zuschauer waren bisher alle gut gekleidet, eine Smoking- oder Abendrobenpflicht gibt es aber nicht“, betont Inhaber Bröstler. Die – anders als im Londoner Opernhaus – locker gehaltene Kleiderordnung findet auch Andrea Peter praktisch, da sie direkt von der Arbeit kommt: „Ich bin froh, dass ich mich nicht noch groß in Schale werfen musste.“
Standing Ovations in London und Marktheidenfeld
23 Uhr, Ende des zweiten Aktes, „The Two Pigeons“: Das Publikum ist ruhig geworden, die Blicke kleben auf der Leinwand, alle warten auf den finalen Tanz. Das verlassene Mädchen trauert allein, bis ihr Geliebter zurückkehrt und sie um Verzeihung bittet. Auf seiner Schulter sitzt einer Taube, in einer dramatischen Abschlussszene tanzt er um seine Geliebte. Das Paar schwebt ein letztes Mal zusammen über die Bühne, sinkt auf den Boden und der Vorhang schließt sich – Standing Ovations im Londoner Opernhaus und Marktheidenfelder Movie.