Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Main-Spessart
Icon Pfeil nach unten
Gemünden
Icon Pfeil nach unten

RIENECK: Kultlokal: Die ganze Region traf sich im Rienecker Bluff

RIENECK

Kultlokal: Die ganze Region traf sich im Rienecker Bluff

    • |
    • |
    Eva Oberklammer mit geselligen Bekannten im Bluff.
    Eva Oberklammer mit geselligen Bekannten im Bluff. Foto: Sammlung Eva Oberklammer

    Hoch her ging es einst im Rienecker Tanzcafé Harmonie, besser bekannt unter seinem inoffiziellen Namen „Bluff“ (kernig mit „u“ gesprochen). Der Kultladen war weit über den Raum Gemünden hinaus bekannt. Die Jugend musste damals noch nicht nach Würzburg fahren zum Ausgehen. In dem 250 Quadratmeter großen Saal drängten sich die Leute ab den 60ern erst zu Live- und später zu Discomusik von DJs. Ehemalige Bluff-Gänger erzählen von schönen Zeiten, aber auch von wüsten Schlägereien, Stammgästen aus Übersee, Fluchtwegen vor der Polizei und der zwischenzeitlichen Nutzung als Striplokal. Auch so manche Ehe hat sich dort angebahnt.

    „Im Bluff war immer die Hölle los“, erinnert sich Stefanie Bauer, die Tochter des Bluff-Gründers Anton Schneider. Aus der ganzen Gegend strömten die Leute zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Moped oder auch mal zu zehnt im VW Käfer zum Bluff. Übernachtet haben sie mitunter sogar in Scheunen – wenn sie nicht den Bus um halb zwei hoch in den Sinngrund nahmen, der stets voll war. Um 19 Uhr, wenn der Bluff wochenends seine Türen öffnete, standen die Leute schon Schlange. Dafür war aber auch, anders als heute, um ein Uhr schon wieder Schluss.

    Bonanza und Ratzeputz

    Selbst unter der Woche war der Bluff immer voll, erinnert sich Eva Oberklammer, Jahrgang 1954. Sonntags wurde früher geöffnet. „Wenn um 18 Uhr Bonanza lief, war es gerammelt voll“, so Oberklammer. Sie kann sich auch noch an die vielen bunten Liköre über der Theke erinnern. Und an einen Schnaps namens Ratzeputz. „Den konnte man bloß mit Eiswürfeln trinken.“ Rienecks Bürgermeister Wolfgang Küber war früher ebenfalls Stammgast im Bluff. Egal, wo man an einem Wochenende noch hingewollt habe, getroffen habe man sich zuvor auf jeden Fall im Bluff, sagt Küber. „Da haben wir unsere Jugend verbracht.“ Während sich im Tanzcafé die Jugend amüsierte, trafen sich die Älteren zum Essen und Kartenspielen in der zugehörigen Wirtschaft.

    Wenn die Polizei die Einhaltung des Jugendschutzes kontrollieren wollte, seien die Jugendlichen regelmäßig durch ein Fenster in der Bar nach draußen geklettert. Und wenn die Luft wieder rein war, seien sie wieder zurück in den Bluff, erzählt Stefanie Bauer.

    Jedes Wochenende habe es damals eine Schlägerei gegeben. „Was haben wir viel Blut weggeputzt“, so die Tochter des Gründers. Weil amerikanische Soldaten aus Aschaffenburg, Wildflecken und von der Radarstation in Langenprozelten zu den Stammgästen und auch -schlägern zählten, habe öfter die Militärpolizei auf der Matte gestanden. Während die deutsche Polizei nie eingegriffen habe, habe die Militärpolizei der Amerikaner mit Gummiknüppeln ordentlich zugeschlagen, erinnert sich Stefanie Bauer, Jahrgang 1949. Sie seien aber alle wiedergekommen.

    Eva Oberklammer erzählt von einer streitsüchtigen Rienecker Junggesellenschar, die es immer auf die Amerikaner abgesehen habe, da die im Verdacht standen, ihnen die Mädels wegzunehmen. Auch Walter Konrad erinnert sich an Schlägereien mit Amerikanern. Einmal habe bei Krawallen deren Kompaniechef in der Tür gestanden und habe die jungen Schläger in den Krieg nach Vietnam und damit in den Tod geschickt, erzählt man sich. Vermutlich waren diese Einsätze aber ohnehin geplant.

    Tablett auf den Kopf

    Stefanie Bauer hat als Wirtstochter auch öfter bei Schlägereien mitgemischt. Sie weiß noch gut, wie sie einst mit einem Tablett einem Rienecker auf den Kopf schlug, der gerade einen Engländer bearbeitete. „Es war eine schöne Zeit“, findet sie. Die russischen Eier ihrer Mutter Greta, die damals in der Küche stand, würden heute noch gelobt.

    Die Bluff-Besucher kamen sich aber nicht nur bei Schlägereien näher. Allerhand Ehen wurden dort auch gestiftet, darunter die von Eva Oberklammer. Auch die Amerikaner poussierten gern mit den einheimischen „Mädlich“. Daraus gingen einige Ehen hervor, auch wenn sie meist nicht für die Ewigkeit waren.

    Irgendwann verpachtete Schneider seinen Club, der in den 70ern und bis zu seinem Ende 1985 mehrere Pächter erlebte. Einer machte zwischendurch aus dem Bluff für etwa ein Vierteljahr ein Striplokal, erinnert sich Walter Konrad. „Ich selber war nicht drin“, beteuert er, „und wenn, tät' ich's nicht erzählen.“ Die Nachbarn hätten sich gefreut, dass es weniger Lärmbelästigung gebe. Sonst ist es laut einem Zeitungsbericht von 1976 nämlich immer recht laut zugegangen dort. In einer Bürgerversammlung hatte sich ein Rienecker beschwert, dass der Bluff eine „wahre Belästigung Rienecker Bürger und eine Zumutung für die direkten Anlieger“ sei. Schlägereien, nächtlicher Motorlärm, Pöbeleien und Drohungen seien keine Seltenheit gewesen. Ein Lehrer nannte den Bluff in der Versammlung einen „Schandfleck“.

    Doch es ging weiter. Seit etwa 1970 legten DJs die neuesten Hits auf. Nur wenn „Talentschuppen“ angesagt war, traten Livebands, häufig aus der Gegend, auf, erinnert sich Liane Lind, Jahrgang 59. Vor ihrem Durchbruch kamen sogar „Baccara“ („Yes Sir, I Can Boogie“) nach Rieneck.

    Einer der ersten DJs im Bluff war ab 1970 Ulli Knüttel. Knüttel betrieb mit seiner Frau die Disco von 1979 bis 1985 selbst und gerät bei der Erinnerung so richtig ins Schwärmen. Als der Bluff Ende der 70er – auch wegen der Konkurrenz durch die zweite Rienecker Disco, das „Why Not“ – ziemlich am Boden lag, übernahm Knüttel das Ruder als Betreiber und DJ. Er musste dabei die unterschiedlichen Musikgeschmäcker bedienen – von AC/DCs „Highway to Hell“ bis zu Michael Holms „Mendocino“. Offenbar erfolgreich, denn plötzlich waren der Bluff und das Why Not voll. Aber Mitte der 80er gingen im Bluff die Lichter aus.

    Heute ist es dunkel im Bluff. Staub hat sich auf den Saal gelegt. Die Sitznischen, in die sich einst mitunter zehn Leute quetschten, sind noch da, Tische und Stühle aber sind weg. In der Mitte verläuft die lange Theke, die irgendwann in den 70ern eingezogen wurde. Vor knapp zehn Jahren hat Stefanie Bauer, die jetzt im Nebengebäude, wo einst das Café war, wohnt, den Bluff abdecken und die Eternitplatten entsorgen lassen.

    Das Tanzcafé Bluff

    Kaufmann Anton Schneider, der früher einen Laden in Rieneck hatte, baute in den Jahren 1952/53 ein Kino in der Haaggasse. Später baute er ein Haus an, in dem oben ein Café und unten eine Wirtschaft untergebracht war – er nannte das ganze „Harmonie“. Da Schneider in Rieneck unter dem Spitznamen „Bluff“ bekannt war, ging dieser Name auf sein Lokal über.

    Aus dem Kinosaal machte Schneider in den 60ern ein Tanzcafé. Die Sitzreihen des Kinos kamen raus, an die zwei Saalseiten kamen je vier Sitzecken, vor der Theke am Saalende stand eine weitere große Sitzecke, in der Mitte Tische und Stühle. Unten gab es eine Tanzfläche vor der Bühne am Kopfende des Saals. Über dem Eingang und entlang der zwei Seiten verlief ein Balkon.

    In den 70ern wechselte der Bluff mehrfach den Pächter und den Charakter. Kurzzeitig wurde es ein Erotikkino und Striplokal mit roten Sesseln. Später wichen die Tische und Stühle im Mittelteil einer lang gezogenen Theke – aus dem Tanzcafé wurde eine Disco. Mitte der 80er war es vorbei mit dem Bluff.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden