Der ehemalige Rektor Lothar Ködel aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) hat fünf Söhne und sechs Enkel und könnte mit 71 Jahren seinen Ruhestand genießen. Und er engagiert sich nicht nur für die Familie, sondern auch sehr stark in der Seniorenarbeit. Es ist also nicht so, dass ihm die Zeit lang würde. Dennoch hat Ködel in der Pandemie seiner alten Schule seine Hilfe angeboten - in dem Wissen, dass er mit 71 Jahren zur Corona-Risikogruppe gehört. Und dass er im Kontakt mit Schülern ein höheres Ansteckungsrisiko hat als daheim. Fragen an einen Mann, der sein Leben liebt und mit Gottvertrauen handelt.
Frage: Herr Ködel, mit 71 Jahren gehören Sie zur Corona-Risikogruppe. Trotzdem unterrichten Sie. Haben Sie keine Angst?
Lothar Ködel: Nein, komischerweise nicht. Ich bin schon vorsichtig und halte mich an die Regeln. Es ist nicht so, dass ich immer die Massen suche. Ich bin eigentlich eher ein Typ, der gut mit sich alleine sein kann. Ich laufe viel allein, radle viel allein im Saaletal.

Was hat Sie bewogen, sechs Jahre nach Ihrer Pensionierung und mitten in der Pandemie wieder in die Schule zurückzukehren?
Ködel: Ich habe als Ex-Rektor noch immer sehr guten Kontakt zu meiner alten Schule und habe gespürt, dass die Lehrer dort unter einem riesigen Druck stehen. Dass sie am Limit sind. Also habe ich dem jetzigen Rektor gesagt: "Wolfgang, wenn ich Dir helfen kann, dann sag Bescheid.“ Wir haben dann ausgemacht, dass ich als Mobile Reserve fungiere. Und das war jetzt auch schon drei Mal der Fall, dass ich gebraucht wurde.
Wie haben die Kinder auf einen 71-jährigen Lehrer reagiert?
Ködel: Gut. Ein Knirps hat am Anfang zu mir gesagt: "Du bist ja ganz schön alt.“ Eine halbe Stunde später hat er dann aber auch gesagt: "Du bist aber auch ganz schön cool.“ Das hat mich gefreut.
Wie genau sieht Ihr Einsatz aus?
Ködel: Ich springe für jeweils drei bis vier Stunden pro Woche ein. Von den Fächern her kommt alles auf mich zu: Mathe, Deutsch, Heimat- und Sachkunde. Alle Kernfächer also. Aber immer in der 2. Jahrgangsstufe, weil da ein Kollege längerfristig ausfällt.
Was löst den Druck aus, unter dem die Lehrer leiden?
Ködel: Es ist schon eine große Herausforderung, diese ganzen Pandemie-Vorschriften umzusetzen. Es sind ja so viele, und da kommt jeden Tag eine neue. Zum Beispiel die gestaffelte Pausenregelung: In meiner Klasse heißt es, um Viertel nach Neun anzufangen mit den Hygienemaßnahmen. Da müssen dann die Kinder möglichst einzeln auf Toilette gehen, sich die Hände waschen und desinfizieren. Dann dürfen sie im Klassenzimmer auf ihrem Platz ihr Pausenbrot essen, bevor sie mit Masken rausgehen auf den Schulhof. Zeitversetzt gehen andere Klassen in die Pause. Sinn der gestaffelten Pausenregelung ist es natürlich, Kontakte zwischen den Klassen zu vermeiden. Das bedeutet aber auch, dass zwischen den Lehrern gar kein Kontakt mehr möglich ist. Früher hat man im Lehrerzimmer miteinander geredet. Jetzt gibt es keine Zeit mehr, wo man zusammensitzt, einem Kollegen sein Herz ausschüttet oder einfach mal gemeinsam lachen kann. Jeder händelt jetzt seinen Unterricht einsam; das ist nicht schön.

Bemerken Sie, dass Ihre jüngeren Kollegen gehetzter oder gestresster sind als früher?
Ködel: Ja, natürlich. Das kann man nicht einfach so abschütteln. Das spürt man schon, dass das nicht in den Kleidern steckenbleibt, dass das an die Substanz geht. Da sind zum einen die Erwartungen der Eltern, dass natürlich auch in Coronazeiten ihre Kinder verlässlich die Schule besuchen können und dabei bestmöglich gefördert werden. Bei dem einen oder anderen Kollegen spürt man auch die Angst, trotz aller Schutzmaßnahmen sich anstecken zu können.
Und die Kinder?
Ködel: Die Kinder sind eigentlich sehr unbekümmert. Die haben das akzeptiert, dass man Maske trägt. Sie nehmen es auch gelassen, dass sie zum Unterrichtsbeginn schon die Hände desinfizieren müssen. Das geht schon. Da sind so ein paar Leit-Kinder in der Klasse, die achten drauf und managen das und ermahnen die anderen : "Du, halt den Abstand ein!“ Auf der anderen Seite gibt es in jeder Klasse, auch in meiner, Kinder, bei denen man sich wünscht, dass man mehr Zeit und mehr Fördermöglichkeiten hätte. Wir haben ja hier in der Schule Kinder aus zehn oder elf Nationen und mit sehr unterschiedlichen Begabungen; da gibt es immer mal eins, bei dem man sich wünscht, es besser unterstützen zu können. Die Nähe zum Kind, die bleibt, glaube ich, aufgrund der Pandemie schon manchmal auf der Strecke.
Man bekommt den Eindruck, Sie gehen mit der Krise sehr gelassen um. Was ist ihr Rezept?
Ködel: Ich denke, man muss Corona ernst nehmen, aber es wäre falsch, jetzt jeden Tag Ängste mit sich herumzuschleppen. Mich persönlich hat es am meisten belastet, während des Lockdowns im Frühjahr meine Enkelkinder – wir haben sechs – nicht in den Arm nehmen zu können. Aber sonst: Ich habe Gottvertrauen. Und ich bin 71 - da denkt man auch mal an Richtung Ende. Und ich kann Gott sei Dank sagen: Ich habe mein Leben gelebt und ich habe es genossen. Vielleicht hat man mit dem höherem Alter weniger Angst. Ich denke, wir sollten alle darauf schauen, dass wir gut aus dieser Situation wieder rauskommen. Wissen Sie, mir geht es ja auch darum, anderen wieder Mut zu machen.