Das Jahr 2020 hat für die kleine Türkisch-Islamische Gemeinde von Marktheidenfeld über die Covid-19-Krise hinaus Veränderungen gebracht. Zunächst schickte im Februar der Dachverband DITIB, die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion, einen neuen Imam an den Main. Der 42-jährige Can Nuh, dessen Nachname dem biblischen Urvater Noah entspricht, war bis dahin in Stade bei Hamburg tätig und schließt seinen Aufenthalt in Deutschland bis November 2020 in Marktheidenfeld ab.
Er stammt aus Samsun, der größten Stadt in der türkischen Schwarzmeerregion, wo seine Frau mit ihrem 19-jährigen Sohn und ihrer 15-jährigen Tochter lebt. In seiner Heimatstadt hat der Vorbeter an der Universität studiert. Er ist nicht nur ein islamischer Gelehrter, der sich seit frühester Jugend intensiv mit der Auslegung des Korans beschäftigte, sondern auch Wirtschaftsinformatiker. Seine Stimme beim Vortragsgesang aus den Schriften gilt als außergewöhnlich gut klingend.
Gut in Marktheidenfeld eingelebt
In Marktheidenfeld hat sich Nuh sofort gut eingelebt. Er empfindet das Städtchen als durchaus ländlich, grün und ruhig. Die Nähe zur freien Natur nutzte er gerade in der jetzigen Zeit der Kontaktbeschränkungen zu ausgedehnten und besinnlichen Spaziergängen. Menschen ist er aber auch begegnet. Er hat die Marktheidenfelder als ausgesprochen warmherzig und hilfsbereit erfahren, wenn er zum Beispiel zum Einkaufen ging.
Und weil gerade der Muttertag vorbeigezogen ist, ist es ihm im Gespräch wichtig, einmal allen Müttern zu danken. Sie durchlebten in der Covid-19-Krise eine besonders belastende Zeit in der Sorge um ihre Familien. Er habe den Eindruck, dass diese großen Herausforderungen aber bestens von den Müttern gemeistert würden.
Im Februar hatte der Anschlag von Hanau, bei dem ein rechtsradikaler Täter neun Menschen mit vermutetem Migrationshintergrund erschoss, die Türkisch-Islamische Gemeinde in Marktheidenfeld bewegt. "Hanau liegt nicht weit weg", sagt der Vorsitzende Vedat Karakoc, "da kommt man schon mal ins Grübeln". Sein Stellvertreter Ömer Özbay bestätigt das: "Wenn du Kinder hast, die auch einmal gerne in eine Shisha-Bar gehen, hat dich das besonders betroffen." Karakoc ist sich aber sicher, dass dies ein wohl unvermeidlicher Einzelfall gewesen sei. "Der deutsche Staat ist stark genug, seine Bürger zu schützen und will dies auch."
Viele Frauen in der Führung der Gemeinde
Die Türkisch-Islamische Gemeinde hat außerdem in diesem Frühjahr ihre Führung neu gewählt, darunter auffallend viele Frauen. Vedat Karakoc blieb als Vorsitzender an der Spitze von rund 110 Mitgliedern. Seine Stellvertreter sind Ömer Özbay und als weibliches Pendant Mehtap Güngör. Katide Karaveli hat die Funktion als Sprecherin der Frauen inne. Die Kasse wird von Nese Sueri verwaltet, während Turgay Aktas als Sekretär aktiv ist. Nilgün Silahtar vertritt die Interessen der Eltern und Sena Karakoc die junge Generation.
Die Arbeit für Jugendliche soll nach dem Willen von Vedat Karakoc künftig stärker in den Mittelpunkt der Gemeindearbeit rücken. Man will die religiösen, sozialen und kulturellen Werte der Türkei und Deutschlands gleichermaßen vermitteln, dazu könne man vielleicht auch Ferien- und Freizeitangebote des Dachverbands DITIB in Anspruch nehmen.
Eines macht dem Vorsitzenden aber auch Kopfzerbrechen. "Wir müssen unsere kleine Gemeinde finanziell stabilisieren. Es fließen weniger Spenden und Beiträge, Covid-19 reißt auch in unsere Kasse große Löcher", weiß Vedat Karakoc durchaus sorgenvoll.