Partenstein gehörte bis zum Zweiten Weltkrieg zu den ärmsten Gemeinden im Spessart. Die Einwohner mögen arm gewesen sein, aber sie waren auch heiter und liebten den Gesang, schrieb schon 1875 ein aus Lohr stammender Lehrer namens Peter Knauth. Das bestätigt auch der 89-jährige Karl Breitenbach, der früher den Edeka-Laden in der Hauptstraße führte und heute noch im Männergesangverein singt. Mit dem geistig hellwachen Partensteiner haben wir uns über „ahle Kraom“ unterhalten – nämlich darüber, wie es in Partenstein vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war und was sich seitdem verändert hat. Mit dabei bei den Gesprächen im Museum „Ahler Kram“ und bei Breitenbach zu Hause war Harald Lieber, 66, den ebenfalls die Frage beschäftigt, wie es früher war.
Früher haben alle Partensteiner das unverwechselbare Partensteinerisch gesprochen, auch wenn schon vor dem Krieg in der Schule hochdeutsch gesprochen wurde. Die, die es noch können, sprechen unterereinander heute noch selbstverständlich Dialekt, sagt Breitenbach. Aber wie anderswo in Unterfranken schwindet auch hier das Dialektbewusstsein, sprechen Eltern mit ihren Kindern meist hochdeutsch. So ist abzusehen, dass das Partensteinerisch irgendwann ausstirbt und die Leute kaum anders sprechen als etwa in Hannover.
Vielen wird etwa die Bedeutung des bekannten Spruchs „Älläwäll haod?s gaschälld“ nicht mehr geläufig sein, nämlich „Jetzt ist der Groschen gefallen“.
Partensteiner und Frammersbacher
„Eich hao mei Laawesdaoch kenn Zeedoggdr gebräüchd“, hat sein Großvater ihm einst stolz erzählt, sagt der 89-Jährige. Vor dem Krieg hat es aber in Partenstein auch noch keinen Zahnarzt gegeben, da mussten die Partensteiner „Stöckscheißer“ im Notfall ins ungeliebte Frammersbach zu den „Narrn“. Die beiden Dörfer waren sich bekanntlich in inniger Abneigung verbunden. Eine Frammersbacherin kam in Partenstein nicht ins Haus, sagt Breitenbach. „Wir hatten selber genug Mädchen.“ Erst nach dem Krieg begann ein Austausch mit Frammersbach.
Natürlich spielte, als der sonntägliche Kirchgang noch eine Selbstverständlichkeit war, auch die Religion eine Rolle: Partenstein ist zum Großteil evangelisch, Frammersbach und andere umliegenden Gemeinden katholisch. So war Partenstein lange ziemlich isoliert. Bis 1967 wurden die Kinder getrennt nach Konfessionen unterrichtet, da tanzten und heirateten die Partensteiner aber längst konfessionell gemischt.
Industrie gab es im Ort
Vor dem Krieg verließen die Bewohner das Dorf kaum. Arbeitsplätze gab es durch die mit dem Bau der Bahnlinie (1854) begonnene Industrialisierung im Ort: Schwerspatabbau und -verarbeitung, die Pappenfabrik, später noch die Kleiderbügel- und die Schuhfabrik. Der Samstag war damals noch Arbeitstag. Nach einem alten Ausbildungsvertrag, zu sehen im „Ahler Kram“, hatten Lehrlinge früher erst ab dem dritten Lehrjahr Anspruch auf Urlaub.
Neben Forst- und Landwirtschaft, die viele nebenher betrieben, gab es viele Handwerker und kleine Geschäfte. Nach dem Krieg gingen viele zum Rexroth oder auch nach Frammersbach in die Kleiderfabrik. Die über 500 Flüchtlinge brachten neben ihrem eigenen Dialekt auch viel Unternehmergeist mit und machten sich als Handwerker oder mit Geschäften selbstständig. Die Einwohnerzahl stieg von 1700 im Jahr 1939 auf 2300 im Jahr 1950.
Früher hatte jeder Kühe
Während heute im Ort selbst niemand mehr Kühe hält, hatte früher fast jeder ein paar davon, wenigstens aber Ziegen oder Schweine. Alle hatten zudem einen Garten und oft vor dem Haus noch ein kleines „Göäddche“ für Küchenkräuter. Der Gänse-, Sau- und Geißhirte wohnte im Armenhaus, dem Hirtenhaus. Landwirtschaft war vor dem Krieg noch mühselige Handarbeit. Die Breitenbachs hatten neben einer Bäckerei ein paar wenige Kühe, Hühner und Säue, erzählt er. Milch hatte man für den Eigengebrauch.
Breitenbachs Vater nahm noch das Mehl von Landwirten, gemahlen in Frammersbach, entgegen und buk für sie gegen Lohn Brot. Geschlachtet wurde je eine Sau zur Kirb und zur Fasenacht. Misthaufen und Jauchegrube waren neben dem Plumpsklo im Hof. Breitenbach selbst sagt, er hatte immer ein Klo im Haus. Der jüngere Harald Lieber dagegen erinnert sich noch an Plumpsklo und Zeitungspapier in seiner Kindheit.
Als die Straßen geteert wurden
Der ehemalige Bürgermeister Heinz Steigerwald schreibt im Vorwort des 1998 erschienen Bildbandes „Ohsichda von Partenstein“, die Häuser seien „ärmlich“, die Gassen und Straßen „unwirtlich“ gewesen. Breitenbach, Jahrgang 1928, entsinnt sich noch, wie die Hauptstraße 1934/35 asphaltiert und die Kanalisation verlegt wurde. Geheizt wurde mit Holz und oft nur im Wohnzimmer, von wo aus ein Durchlass in der Wand auch warme Luft ins Schlafzimmer ließ. Ab 1920/21 gab es Strom aus dem eigenen Elektrizitätswerk. Breitenbach erinnert sich, dass die Häuser zwei Lampen im Haus hatten – eine in der Küche, eine im Wohnzimmer. Sonst brauchte man im Haus keinen teuren Strom. Auch nach dem Krieg konnten sich viele lange keinen Kühlschrank leisten.
Schuhe hielten früher notgedrungen länger, waren sie kaputt, wurden sie repariert. Im Winter trug man gefütterte Holzschuhe. Lieber selbst musste seine Schuhe noch drei Jahre lang tragen. Auch die Kleidung war, von einheimischen Schneidern wie Liebers Großvater geschneidert, langlebiger als heute, es gab „Sonnichs-“ und „Waddichs“-Kleider, also Kleidung für Sonntag und für Werktag.
Die montäglichen Waschtage bedeuteten für die Frauen einen ganzen Tag Arbeit, schon früh um 5 oder 6 wurde der Waschkessel angeschürt. Breitenbachs Mutter hat aber auch noch am Bach gewaschen.
Im Keller lagerte der Apfelmost, Bier gab es nur in den Gastwirtschaften. Breitenbachs Vater betrieb eine Kelterei. Fleisch kam nur sonntags auf den Tisch, ansonsten viel Sauerkraut, das meist selber gemacht wurde, und im Sommer Grumbernzemmede mit Sauermellich. Früher lebten oft sechs und mehr Kinder mit den Eltern und Großeltern unter einem Dach. Mit Stein gebaut wurden normale Häuser erst ab Ende des 19. Jahrhunderts. Früher wurde das Erdgeschoss aus Sandstein gemauert, darüber gab es mit Lehm und Stroh gefülltes Fachwerk, entweder verputzt oder mit Holzschindeln bedeckt. Auch heute noch sieht man in Partenstein viele Fachwerkhäuser. Bis kurz vor dem Krieg war nur das Tal besiedelt, erst dann entstanden an den Hängen Häuser.
Holzvergaser-Laster
Zur Fortbewegung dienten neben der Bahn Fahrräder und Motorräder. Autos hatten zunächst nur der Arzt aus Frammersbach, der damit auf Hausbesuch kam, und der Schneidersch Philipp, der Pate von Karl Breitenbachs Frau, der Handelsreisender war. Fuhrunternehmer hatten Holzvergaser-Laster, die einfachen Leute Pferde oder Rinder und Leiterwagen. 1939 öffnete die erste Tankstelle (Weigand). Eine Müllabfuhr gab es vor dem Krieg noch nicht, Müll flog damals in die Sträucher, sagt der 89-jährige Breitenbach.
„Das war ein richtiger Zusammenhalt“, erzählt Breitenbach. Alle halfen zusammen, wenn gedroschen oder Korn geschnitten wurde. Die Jüngeren grüßten die Älteren, sprachen die Männer mit „Vedder“, die Frauen mit „Baos“ an. Heute grüßen nicht mehr alle. Im Winter saß man abends mit Nachbarn und Bekannten, die im Dorf oft eher mit ihrem Haus- als mit ihrem richtigen Namen bekannt waren, gemeinsam in der Spillstube und plauderte. Und sang. Von den einst zwei Gesangvereinen ist heute nur noch einer übrig. Dorfneuigkeiten erfuhr man früher im Laden oder beim Friseur. Die ersten Fernseher kamen zu Kriegsbeginn, den ersten Radio hatte schon vor dem Krieg ein Elektriker.
Feste früher
„Feste waren früher richtig besucht“, erinnert sich Lieber. Heute komme kaum noch einer. Auf die vier großen Feste im Jahr freute sich früher jeder. Bei Hochzeiten wurden früher noch Geldstücke verstreut, auch 1953 bei den Breitenbachs. Vor dem Krieg heirateten manche Bräute in Schwarz, solche mit ledigen Kindern durften nicht in Weiß heiraten.
Einst gab es 18 Geschäfte, darunter 14 Lebensmittelgeschäfte in Partenstein, heute gibt es gerade noch ein selbstständiges Lebensmittelgeschäft, zählt Lieber auf. Von fünf Bäckern und vier Metzgern, blieben ein Bäcker (und zusätzlich eine Filiale einer regionalen Kette) und zwei Metzger. Dennoch sagt Lieber: „Wir haben alles in Partenstein, wir sind versorgt.“