Mit ihrem Film „Das Leben ist keine Generalprobe“ hat die aus Partenstein stammende Dokumentarfilm-Regisseurin Nicole Scherg im vergangenen Jahr einen Überraschungserfolg in österreichischen Kinos gefeiert. Der Film wird am 25. März in der Alten Turnhalle in Lohr gezeigt. Das Filmemachen wurde der 40-Jährigen, die heute in Wien lebt, gewissermaßen in die Wiege gelegt: Ihr Vater Reinhold ist ein begeisterter Hobbyfilmer, der Ereignisse im Landkreis seit Jahrzehnten filmisch festhält. Trotzdem musste sie ihre eigene Leidenschaft fürs Filmemachen erst entdecken.
Gleich ihr erster eigener Dokumentarfilm erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter 2005 den für die beste Dokumentation auf dem renommierten „Next Reel International Film Festival“ in New York. Der 2003/04 entstandene Film „Großeltern“ hatte als Objekt ihre Großeltern Gerhardt und Wilhelmine Thieme und war die Abschlussarbeit ihres Dokumentarfilm-Studiums im italienischen Bozen. Fünf Wochen lang, erzählt Scherg bei einem Besuch in der Heimat, sei sie mit zwei Studienkollegen ihren Großeltern in Partenstein den ganzen Tag lang auf die Pelle gerückt.
Beruflicher Trugschluss
Erst durch Umwege kam sie zum Film. Nach dem Abitur arbeitete sie zunächst als Reiseverkehrskauffrau. „Ich habe sehr schnell gemerkt, dass das nicht meine Welt ist.“ Sie war dem Trugschluss auf den Leim gegangen, dass es lustig sei, Reisen zu verkaufen, nur weil sie selbst gern reist. Also orientierte sie sich um. Bei einem Praktikum beim Bayerischen Rundfunk in Würzburg erzählte ihr ein Kameramann von dem tollen, familiären Studium in Bozen.
„Das wär's“, dachte sie sich, bewarb sich bei der kleinen Filmschule und wurde nach einer einwöchigen Aufnahmeprüfung tatsächlich genommen. Bei nur 20, 25 Leuten alle dreieinhalb Jahre, so lange dauert das Studium, war es gar nicht so einfach, aufgenommen zu werden. Nun studierte sie Dokumentarfilm mit den Schwerpunkten Regie und Stoffentwicklung. Und ihre Abschlussarbeit war der Film über die Großeltern, den sie bei den Dreharbeiten als „Liebeserklärung“ an diese bezeichnet hatte.
Nach dem Abschluss bekam sie, was nicht selbstverständlich ist, eine Festanstellung bei einer renommierten, auf Kinodokus spezialisierten Wiener Produktionsfirma. Dort unterstützte sie Filmprojekte und war auch mit der Frage befasst, woher man Gelder für ein Projekt bekommt. Denn: „Ohne Geld gibt's auch keinen Film.“ Nach etwa sechs Jahren ging sie mit ihrem Lebensgefährten erst einmal für eineinhalb Jahre auf Reisen. Für sie stellte sich dabei die Frage: „Was will ich überhaupt mit meinem Leben machen?“ Ihr sei klar geworden: „Ich mag jetzt einen eigenen Film machen. Jetzt oder nie.“
Unternehmer Heinrich Staudinger hat sie fasziniert
Doch zunächst musste ein Thema her. Es musste eines sein, das sie über Jahre fesselt. Solange brauche die Produktion eines Kinodokumentarfilms von der Idee bis zur Fertigstellung. Irgendwann lernte sie in einem Lehrgang über nachhaltige Entwicklung – ein Thema, das ihr am Herzen liegt – den inspirierenden Unternehmer Heinrich „Heini“ Staudinger kennen. Dessen unorthodoxe Unternehmensphilosophie ist laut Scherg: „Was macht Sinn für die Gesellschaft? Geld ist nicht so wichtig.“ Sein Lieblingsspruch: „Scheiß dir nix.“
Der in Österreich wie ein bunter Hund bekannte Staudinger leitet eine Schuhfabrik mit 250 Mitarbeitern im österreichischen Waldviertel. Außerdem führt er eine eigene Ladenkette, in der er hochwertige Möbel, Taschen und Textilien verkauft, und hat eine eigene Gazette. Laut der 40-jährigen ist Staudingers Unternehmen ein Unternehmen, das die Gesellschaft verändern will. Scherg war fasziniert. Erst recht, weil ihr Großvater in Hausen Schuhmacher war und sie das Waldviertel an den Spessart erinnert. Staudinger war dabei. 2012 fingen die Dreharbeiten an. Dabei habe er anfangs nicht gewusst, auf was er sich eingelassen hat. Vier Jahre dauerten die Arbeiten. Scherg: „Um eine Entwicklung zu zeigen, um einen Menschen näher kennenzulernen, muss man einfach lange dabei sein.“
Kleines Team, turbulenter Start
Dass sie selbst die Kamera führte, hat einen einfachen Grund: Anfangs stand die Finanzierung noch nicht, die Dreharbeiten mussten aber schnell beginnen. Denn damals wurde Staudinger wegen „illegaler Bankgeschäfte“ verurteilt, weil ihm die Bank benötigte Kredite für seine Firma nicht geben wollte und er kurzerhand bei Kunden und Freunden drei Millionen Euro eingesammelt hatte.
Er wurde von der Finanzmarktaufsicht angezeigt. Doch Staudinger weigerte sich, die verhängte Strafe zu zahlen. „Das war in allen Medien“, so Scherg, und sollte unbedingt mit in den Film. Also griff sie selbst zur Kamera.
Später erst bekam das Projekt von der österreichischen Filmförderung, vom österreichischen Bundeskanzleramt und vom ORF ein Budget von 160 000 Euro. Reich, sagt sie, werde sie nicht als Dokumentarfilm-Regisseurin. „Wenn's unterm Strich reicht, ist es gut.“ Für „Das Leben ist keine Generalprobe“ gab sie die Kamera trotzdem nicht mehr her. Sie und eine Tonfrau waren das gesamte Team. Mit Staudinger reisten sie sogar nach Tansania, wo er Projekte unterstützt.
Scherg nimmt gern die Rolle eines Beobachters ein
Scherg sagt von sich, dass sie gerne beobachtet. So sei auch der Film aus der Perspektive eines Beobachters entstanden. Nur selten greift sie mit Fragen ein. Während des Filmprojekts bekam Scherg einen Sohn – der letzte Drehtag war der erste Tag ihres Mutterschutzes. Nach fünf Monaten Pause begann sie mit dem Schnitt. Im April 2016 dann hatte „Das Leben ist keine Generalprobe“ Premiere in Wien. Selbstverständlich wurde das gefeiert. Es gab eine kleine Tournee durch Österreich.
Im Mai hat Scherg schon die nächste Premiere: Der Film „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“, an dem sie als eine von vier Regisseuren mitgewirkt hat, kommt in die Kinos. Dabei geht es, ähnlich wie im Staudinger-Film, um die Frage, was man als Einzelner bewirken kann.
Gemeinsam mit Partner Architekturbüro eröffnet
Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Günter Hanninger, einem österreichischen Architekten, hat sie ein Architekturbüro gegründet, in dem sie die Projektentwicklung übernimmt. Eine Baustelle des Büros ist gerade neben dem Lohrer Schloss zu besichtigen. Wo vorher eine alte Scheune stand, entsteht jetzt ein Wohnhaus. Bis zum Abriss hatte Hanninger am Giebel der Scheune ein Transparent mit Blick in den Sternenhimmel hängen. Noch dieses Jahr soll eine Partensteiner Filiale des Architekturbüros entstehen. Deshalb ist Nicole Scherg momentan wieder häufiger in Partenstein.
„Das Leben ist keine Generalprobe“ läuft in Lohr
Die Vhs Lohr zeigt „Das Leben ist keine Generalprobe“ am Samstag, 25. März, um 19.30 Uhr in der Alten Turnhalle in Lohr. Die Regisseurin steht für ein Publikumsgespräch zur Verfügung.