Wer kennt ihn nicht, den Werbespot, in dem ein kleinwüchsiger Schweizer in typischem Duktus fragt: „Wer hat's erfunden?“ Deutlich weniger bekannt als diese Werbung für Hustenbonbons dürfte sein, dass das Bergvolk auch auf einem Gebiet, auf dem wir Franken uns großer Erfolge rühmen, Bahnbrechendes geleistet hat: im Weinbau. Es ist 100 Jahre her, dass im Zusammenspiel von schweizerischem Tüftlergeist und fränkischer Weinbaukultur der Grundstein für eine Erfolgsgeschichte gelegt wurde. Und das in Sendelbach. Hier, am Fuße des heutigen Naturschutzgebiets Romberg, wurden 1913 die ersten Reben der Sorte Müller-Thurgau in Deutschland angebaut.
Was folgte, ist selbst Weinbanausen einigermaßen bekannt: Der Müller-Thurgau ist heute weltweit eine der verbreitetsten Rebsorten. In Franken rangiert die Rebsorte heute mit einem Anteil von knapp 30 Prozent an der Weinbaufläche noch vor dem Silvaner an der Spitze. Eine Erfolgsgeschichte, die am kommenden Wochenende am Ausgangspunkt in Sendelbach mit einem großen Fest gefeiert werden soll (siehe weiteren Artikel).
Am Romberg ist heute kaum mehr etwas davon zu erkennen, dass damals an den sandigen Hängen Weinbaugeschichte geschrieben wurde. Längst sind die Weinberge knorrigen Kiefernwäldern gewichen. Nur die teilweise überwucherten Trockenmauern lassen erahnen, dass dort einst etwas anderes gewachsen sein muss.
Der Müller-Thurgau-Anbau in Sendelbach nahm vor 100 Jahren seinen Anfang mit einem nicht ganz legalen Akt. Hofrat Dr. August Dern, damaliger Landesinspektor für Weinbau in Bayern, hatte, um hierzulande dem Weinbau neue Impulse zu geben, die Einfuhr von 100 Reben vom „Sämling Nr. 58“ aus den Händen des renommierten Schweizer Züchters Professor Hermann Müller aus dem Kanton Thurgau genehmigt bekommen. Die 100 Reben einer Kreuzung aus den Sorten Rieslung und Madeleine Royale ließ Dern in einer Beobachtungsstation bei Regensburg pflanzen.
Für die übrigen 300 Pflanzen, die er über das erlaubte Kontingent hinaus eingekauft hatte, musste Dern ein passendes Fleckchen suchen. In Sendelbach, abseits der fränkischen Weinbauzentren und somit auch weitab der Reblausgefahr, wurde er fündig. Wegbereiter des Müller-Thurgau-Anbaus am Rande des fränkischen Weinbaugebiets war der damalige Sendelbacher Bürgermeister und Landtagsabgeordnete Nikolaus Diel. Seine Familie besaß am Romberg mehrere Grundstücke. Auf diesen hatte Diels Vater Ende des 19. Jahrhunderts für die Messwein-Produktion Weinberge angelegt. Offenbar mit keinem allzu süffigen Erfolg. Jedenfalls waren die Flächen unweit des Friedhofs verödet, als Diel sie 1913 für Derns Weinbauversuch mit dem „Sämling Nz. 58“ für zehn Jahre an die Königliche Lehranstalt verpachtete.
Von Beginn an war dabei klar, dass die gut 800 Quadratmeter große Sendelbacher Versuchsanlage nicht für den Dauerbetrieb, sondern nur als Prüfversuch für die neue Rebsorte bestimmt war. Der Versuch verlief erfolgreich und vielversprechend. Bald bezog die Veitshöchheimer Landesanstalt die Pflanzen für die Vermehrung in ihren Weinbergen ausschließlich aus der Zuchtanlage am Sendelbacher Romberg. Und das über Jahre.
Wohl auch angesichts des sich abzeichnenden Erfolgs der neuen Rebsorte musste für diese ein Name her, der griffiger war als die Bezeichnung „Sämling Nr. 58“. Ohne Rücksprache mit dem „Erfinder“ Hermann Müller kreierte Hofrat Dern aus dessen Namen und Herkunftsregion die Wortschöpfung „Müller Thurgau“. Der Begriff, der über Jahrzehnte die Entwicklung des Weinbaus mitprägen sollte, war geboren.
Waren 1927 in Franken erst vier Hektar der Weinbergsfläche mit Müller-Thurgau bestockt, stieg der Flächenanteil in der Folge stetig. 1950 wuchsen in Franken auf 348 Hektar Müller-Thurgau-Reben, 1973 war bereits über ein Drittel (1231 Hektar) der Weinbaufläche mit Müller-Thurgau bepflanzt. Die größte Ausdehnung gab es 1995 mit 2696 Hektar.
Seither ging es mit dem Müller-Thurgau wieder etwas bergab, nicht zuletzt wegen des zunehmenden Rotweinanbaus. 2012 wuchsen jedoch immerhin noch auf 1782 Hektar in Franken Müller-Thurgau-Reben, was einem Anteil von rund 29 Prozent an der Weinbaufläche entspricht.
In Sendelbach ist es mit der Weinbauherrlichkeit längst wieder vorbei. Während die genügsamen und ertragreichen Müller-Thurgau-Reben den Siegeszug antraten, lief der Weinbauversuch am Fuß des Rombergs 1923 wieder aus. Heute sind es vor allem noch einige Flurnamen wie Sandwingert oder „In den Weinbergen“, die von der Weinbauvergangenheit des Rombergs zeugen. Nicht zu vergessen der 1970 mit diesem Namen versehene Müller-Thurgau-Weg in Sendelbach, der bis heute an die Weinbau-Vergangenheit erinnert. Am Samstag kommt ein Gedenkstein hinzu. Er erinnert am Ort des damaligen Geschehens an die Protagonisten des Weinbauversuchs. Allerhand Weinprominez, darunter die fränkische Weinkönigin, haben sich angekündigt, um den Stein zu enthüllen und auf den feierlichen Anlass anzustoßen.
Müller-Thurgau-Fest
Am Samstag, 18. Mai, wird im Lohrer Stadtteil Sendelbach in Erinnerung an den von hier ausgehenden Siegeszug der Rebsorte Müller-Thurgau ein großes Fest gefeiert. Beginn ist um 14 Uhr im eigens aufgebauten 500-Mann-Festzelt an der Sendelbacher Mainlände. Veranstalter beziehungsweise Organisatoren des Festes sind der Weinbauverband Franken, die Lohrer Ortsgruppe des Bund Naturschutz sowie der Sendelbacher Vereinsring.
Zum Auftakt gibt es eine kurze Diskussionsrunde im Festzelt mit dem fränkischen Weinbau-Präsidenten Artur Steinmann, dem Präsidenten der Landesanstalt Veitshöchheim, der fränkischen Weinkönigin Marion Wunderlich und Lohrs Bürgermeister Ernst Prüße. Schirmherr des Festes ist Staatssekretär Gerhard Eck. Vom Festzelt zieht um 15.15 Uhr ein Festzug zum Fuß des Rombergs. Dort wird, begleitet von Böllerschüssen, ein Gedenkstein enthüllt und gesegnet, bevor die Weinkönigin eine Weinrose der Sorte „Rubiginose“ pflanzen wird.
Danach zieht der Festzug zurück zum Festzelt, wo es neben einer kabarettistischen Darbietung, Blasmusik und Volkstanzdarbietungen auch eine Versteigerung von Weinen Lohrer Hobbywinzer geben wird. Ausklang des Festes soll in den Abendstunden sein.
Als Vorprogramm bieten der Bund Naturschutz und der Naturpark Spessart bereits um 10 Uhr eine Führung im Naturschutzgebiet Romberg und rund um den Stadlersee an. Treffpunkt ist um 10 Uhr am Florian-Weis-Gelände gegenüber des Stadlersees.