Maria Sophia von Erthal als das Lohrer Schneewittchen aus der Märchenwelt der drei Lohrer„Fabulologen“ Karl-Heinz Bartels, Helmut Walch und Werner Loibl bedarf keiner hochwissenschaftlichen Abhandlungen und Beweise mehr. Das Lohrer Schneewittchen ist zeitlos. Für das reale Vorbild gibt es Daten, doch bisher manche Unsicherheit.
Maria Sophia, das fünfte Kind des Lohrer Amtmanns Philipp Christoph von und zu Erthal und seiner Frau Maria Eva, ist nicht ganz so zeitlos wie die Märchenfigur. Heftig umstritten ist unter anderem die Frage, ob Maria Sophia am 19. Juni oder am 19. Juli 1725 getauft wurde. Davon hängt natürlich auch ab, wann sie geboren wurde. Es geht also um einem ganzen Monat, was bei der vielleicht berühmtesten Tochter der Stadt nicht ohne Belang ist.
Viele Quellen verweisen auf den 16. Juli 1725
Auslöser für diese Kontroverse ist das „Geschlechtsregister“ für den fränkischen Adel von 1747 von Johann Gottfried Biedermann. Er nennt als Geburtsdatum von Maria Sophia den 16. Juli 1725. Der Sterbematrikel im Archiv des Erzbistums Bamberg nennt beim Tode Maria Sophias am 16. Juli 1796 ebenfalls den 16. Juli 1725. Ebenso die Todesanzeige von 1796 und schließlich auch die Gedenktafel auf dem ehemaligen Grab von Maria Sophia in Bamberg, wonach sie 1796 „am Tag ihrer Geburt“, dem 16. Juli, verstorben sei.
Diese vermeintliche Vielzahl gleichlautender Quellen aus dem scheinbar so nahen Umfeld der Familie von Erthal führte dazu, dass man bis heute nicht ausschließen will, dass sich nicht Biedermann 1747, sondern der Lohrer Pfarrer 1725 um einen ganzen Monat vertan hat. Im Taufbuch von St. Michael steht nämlich der 19. Juni als Tauftag Maria Sophias . Nicht zuletzt, weil Taufeinträge nicht immer sofort und nicht immer durch den Pfarrer selbst vorgenommen wurden und weil gerade die Monatsnamen Juni und Juli leicht verschrieben werden können, könne ein solcher Fehler möglich sein, argumentiert etwa Barbara Grimm vom Spessartmuseum. Maria Sophia soll danach am 16. Juli zur Welt gekommen und am 19. Juli 1725 getauft worden sein.
Hat sich der Pfarrer getäuscht oder jemand falsch abgeschrieben?
Fest steht: man muss einen Taufeintrag schon sehr genau unter die Lupe nehmen, ehe man weitergehende Schlüsse zieht. Auch Karl Anderlohr, langjähriger Redakteur und Vorsitzender des Geschichtsvereins, meint: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Sekundärquelle Biedermann verschrieben hat und alle anderen von ihm abgeschrieben haben, sei größer als dass sich die Primärquelle, der Lohrer Pfarrer, verschrieben hat. Auch Pfarrern könnten Fehler unterlaufen, was er keinesfalls ausschließen wolle. Das müsse aber sehr gut begründet sein. Anderlohr sollte Recht behalten.

Eine Inaugenscheinnahme des digitalisierten Originals der einschlägigen Seiten 166 und 167 des Lohrer Matrikelbandes zeigt nämlich: Es gibt zehn Taufeinträge im Juni und Juli jenen Jahres. Sie folgen chronologisch aufeinander und sind in ein- und derselben Handschrift niedergeschrieben. Was per se noch nichts besagt. Bei einer wochenlangen Zettelwirtschaft im Lohrer Pfarrhaus hätte es leicht passieren können, dass durch eine kleine Unachtsamkeit der Monatsname Juli bei Maria Sophias Taufdatum falsch notiert und so die Taufnotiz beim 19. Juni statt beim 19.Juli abgelegt wurde. So würde sich auch erklären, dass es unter dem 19. Juli in Lohr keinen Taufeintrag gibt.
Eine solche Zettelwirtschaft gab es aber im besagten Zeitraum definitiv nicht. Ein „leerer“ Eintrag am 2. Juli, auf den das Diözesanarchiv eigens hinweist, belegt eine zeitnahe, ja prompte Matrikelführung für diesen Zeitraum. Der damalige Pfarrer, Johann Caspar Schlipp, war offenbar ein sehr akribischer Mensch. So hat Schlipp in Vorbereitung auf einen für den 2. Juli vorgesehenen Taufakt bereits vorher das Datum 2. Juli ins Taufbuch eingetragen.
Leerer Eintrag beweist Akribie des Protokollanten
Es wären nur noch die Namen der Eltern, der Taufpaten und des Täuflings nachzutragen gewesen. Das Kind muss aber noch ungetauft verstorben sein. Stattdessen trauerte man in einer Lohrer Familie. Der Eintrag blieb „leer“. Daraus ergibt sich: Alle sechs Taufeinträge vor dem 2. Juli einschließlich des Eintrags für Maria Sophia mussten bereits zeitnah eingetragen worden sein. Ein Vertauschen Juli und Juni war schlicht nicht möglich. Maria Sophia wurde also am 19. Juni 1725 getauft.
Und wann wurde sie nun geboren? Im Taufeintrag findet sich dazu leider keine Angabe. Nach der einzigen dem Autor derzeit im Würzburger Staatsarchiv bekannten Quelle hat Maria Sophia aber am 19. Juni 1725 auch das Licht der Welt erblickt. So schreibt der Generalvikar und Erthal’sche Familienchronist Karl Friedrich Wilhelm von Erthal (1717-1780) um 1770 in seiner Chronik: „Maria Sophia Margaretha von und zu Ehrthal, geb. 1725, den 19. Juny. Sie wohnt als ledig Standes zu Bamberg bei den Englischen Fräulein“.
Dieses Geburtsdatum hat auch Werner Loibl in sein Werk über ihren Vater Philipp Christoph von und zu Erthal 2016 übernommen. Und auch die Lohrer haben dieses Datum auf der Infotafel zu Maria Sophia, der Schneewittchenfigur, in der städtischen Anlage! Es liegt auf der Hand: Man hat in Bamberg 1796 beim Tode Maria Sophias am 16.7.1796 von Biedermann das falsche Geburtsdatum abgeschrieben. Biedermann stand damals in jeder größeren Bibliothek.
Geburtstag jährt sich an diesem Freitag zum 300. Mal
Am 19. Juni 2025 wird sich dieser Geburtstag somit zum 300. Mal jähren. Anlass für eine große Geburtstagstorte, zu der auch das märchenhafte Schneewittchen einladen erden sollte, denn, wie eingangs festgestellt, ist es zeitlos. Im Unterschied zu Maria Sophia ist es nicht gestorben. Es lebt heute noch.
Anm. der Red.: Der Autor hat für das Jahrbuch 2020 des Geschichts-und Museumsvereins Lohr eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags mit Quellenangaben vorgesehen.