Sexualität gehört zu einem normalen Leben dazu. Doch was, wenn das Leben nicht normal verläuft? Die Potsdamer Sexualassistentin Nina de Vries hilft Menschen, die keine sexuellen Erfahrungen mit einem Partner machen können.
Frage: Frau de Vries, was genau macht eine Sexualassistentin?
Nina de Vries: Ein Sexualassistent ist jemand, der aus einer transparenten und bewussten Motivation heraus eine bezahlte sexuelle Dienstleistung anbietet für beeinträchtigte Menschen. Sei es körperlich, kognitiv, psychisch oder durch chronische Krankheit oder Alter. Wie das Angebot genau aussieht und für wen es gemeint ist, entscheidet jeder Sexualassistent selbst.
Wie grenzen Sie Ihre Arbeit von der Prostitution ab?
de Vries: Ich habe nicht das Bedürfnis, mich abzugrenzen von der Prostitution. Ich spreche in jedem Vortrag an, dass Prostitution ein negativ konnotierter Begriff ist. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: preisgeben. Man könnte sagen: sich zu einem Preis hingeben. Heutzutage spricht man übrigens von Sexarbeit. Solange dies freiwillig und mit Freude an der Begegnung passiert, ist es eine positive Sache, was mich betrifft. Wenn es unter Zwang oder aus finanzieller Not passiert, ist es abscheulich.
Warum üben Sie diesen Beruf aus?
de Vries: Diese Arbeit bedeutet eine große Freude für mich. Das hat einerseits damit zu tun, mich gebraucht zu fühlen, etwas Ureigenes von mir geben zu können. Andererseits gibt sie mir der Möglichkeit, wesentliche, sehr menschliche Begegnungen zu haben, jenseits von Verstellung, Oberflächlichkeit und Unechtheit, unter denen wir meiner Meinung nach leiden.
Wer sind Ihre Klienten?
de Vries: Mittlerweile sind es nur noch Menschen, die man schwerst mehrfachbehindert nennt. Auch Menschen mit Demenz. Sie sind weniger kopflastig, aber oft präsenter als wir. Die Kontaktaufnahme ist spannender und braucht Kreativität. Da gibt es kein höfliches Geplänkel.
Wie können Sie die Bedürfnisse eines Klienten denn herausfinden, wenn er sich nicht äußern kann?
de Vries: Man kann nur Menschen Sexualassistenz anbieten, die sich äußern können: durch Töne, Gebärdensprache, Gesichtsausdrücke. Die Menschen, mit denen ich arbeite, haben oft einen passiven Wortschatz; das heißt, sie können mich verstehen. Sie sind starke Charaktere, die klar ihre Grenzen und Bedürfnisse angeben können und angeben. Das brauche ich auch, weil sonst die Gefahr eines Übergriffs zu groß wäre.
Geht es Ihren Klienten in erster Linie um Sex?
de Vries: Wenn man darunter nur Genitalsex verstehst, dann nicht. Mein Angebot beinhaltet: Massage, streicheln, sich umarmen, nackter Körperkontakt, Hautkontakt, kuscheln. Ich bringe auch Menschen zum Orgasmus, wenn sie das wollen. Bei vielen kognitiv behinderten Menschen geht es darum zu zeigen, wie man masturbieren kann.
Was lehnen Sie ab?
de Vries: Wenn mein Angebot nicht passt auf das, was jemand möchte oder braucht, halte ich es für wenig sinnvoll, ein Treffen zu organisieren.
Was bewirkt Ihre körperliche Nähe?
de Vries: Das ist unterschiedlich. Bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen muss man die körperliche Nähe genau dosieren, damit man sie nicht verschreckt. Andere machen eher eine wonnige oder lustvolle Erfahrung.
Wie reagieren Menschen auf Sie, wenn Sie von Ihrer Arbeit erfahren?
de Vries: Im professionellen Rahmen bekomme ich oft Respekt und Wertschätzung zu spüren. Privat bin ich in einem Freundeskreis, der sich freut, dass ich etwas machen kann, das mir entspricht. Es wird kein großes Aufheben darum gemacht. Es geht letztendlich nicht darum, was man macht, sondern wie man es macht. Fremden, die ich so einschätze, dass sie es nicht verstehen würden, erzähle ich das nicht.
Wie offen schätzen Sie den Umgang mit der Sexualität in Deutschland ein?
de Vries: Wie soll der Umgang schon sein, wenn jahrhundertelang von der Kirche verboten wurde, Sexualität selbstbestimmt und lustvoll zu leben? Das hat zu einer Übersexualisierung und Pornografisierung geführt, die Hand in Hand gehen mit einer merkwürdigen Prüderie. Wir leben in einer berührungsängstlichen Gesellschaft. Aber es ist klar, dass ich mehr Möglichkeiten habe, Sexualität zu leben und zu würdigen als meine Mutter und meine Großmutter. Es hat sich also schon etwas bewegt in West-Europa.
Nina de Vries, Jahrgang 1961, stammt aus den Niederlanden. Sie arbeitet seit 18 Jahren als Sexualassistentin und ist einer der Referenten bei der Fachtagung der Regierung von Unterfranken am 9. Juni in Marktheidenfeld.