Eigentlich wollte Rolf Wiesner für seine vierköpfige Familie ein ganz anderes Domizil bauen. Als die Sache für den heute 41-jährigen Elektrotechniker im Jahr 2001 konkret wurde, liebäugelte er zunächst mit einem Haus im Toskana-Stil. Doch da hatte die Stadt etwas dagegen. Also orientierte sich Wiesner neu. Zunächst stieß er in der Zeitung auf einen Artikel über Energiespar- und Passivhäuser. Im Internet holte er sich weitere Informationen und war schließlich begeistert von der Idee, ein Haus mit minimalen Heiz- und Energiekosten zu bauen. Nach diversen Besuchen auf Messen und bei Herstellern von Passivhäusern war der Entschluss endgültig gefasst.
Den Plan für sein Haus zeichnete Wiesner selbst. Umgesetzt wurde er bei einer auf Passivhäuser spezialisierten Firma in Gerchsheim. Im Juli 2002 ging es los. Keller hat das Haus mit seinen auf zwei Vollgeschosse verteilten 180 Quadratmetern Wohnfläche keinen. Dafür aber eine mit einer 35 Zentimeter dicken Styroporschicht gedämmte Bodenplatte. Auch die 45 Zentimeter dicken und in Holzständerbauweise errichteten Außenwände sind mit zwei Lagen aus Steinwolle und Zellulose ganz auf Wärmedämmung ausgelegt. Die Fenster sind dreifach verglast und haben einen extrem geringen Wärmeverlust.
Bewohner als Wärmequelle
Eine gute Dämmung ist bei einem Passivhaus auch dringend notwendig. Denn eine Heizung im herkömmlichen Sinne gibt es im Haus der Wiesners nicht. Frieren muss dennoch niemand. Zum einen fangen große, nach Süden ausgerichtete Fenster Sonnenstrahlen und damit Wärme ein. Zum anderen heizt sich das Passivhaus quasi von selbst.
Was paradox klingt, funktioniert, indem die Wärmeabstrahlung der Hausbewohner ebenso wie die von elektrischen Geräten, Lampen oder dem Kochherd abgesaugt wird. Mit dieser rückgewonnenen Wärme wird in einem Wärmetauscher angesaugte Außenluft aufgeheizt. Diese frische Außenluft gelangt dann über ein Gebläsesystem in sämtliche Räume. Eine Art Wärmerecycling also.
„Die Heizung ist nichts anderes als eine Lüftungsanlage“, erklärt Wiesner. Heizkörper gibt es im ganzen Haus keine. Auch bei den momentan herrschenden Minusgraden hält das das System in allen Räumen eine konstante Temperatur von rund 22 Grad. „Wer es wärmer will, muss sich halt noch einen Holzofen reinstellen“, so Wiesner.
Oder sich Gäste einladen. Als an Heiligabend einige Besucher im Haus gewesen seien, habe sich durch das Mehr an abgestrahlter Körperwärme die Raumtemperatur im Nu auf 24 Grad erhöht, verdeutlicht der Hausbesitzer die Effizienz. Für den Fall, dass die Außentemperaturen über eine längere Zeit extrem niedrig sind, kann die durch das Lüftungssystem verteilte Luft aber auch mit einer Art Fön aufgewärmt werden, so Wiesner.
Die meiste Zeit des Jahres kommen die Wiesners jedoch ohne diese Art der Heizung aus. Das Warmwasser wird zum Großteil per Solarenergie erzeugt. Wenn die nicht ausreicht, aber auch elektrisch. Die monatlichen Energiekosten in dem zweigeschossigen Haus belaufen sich auf rund 50 Euro. Deutlich weniger als in herkömmlich gebauten Häusern vergleichbarer Größe. Mit dem Einbau einer Wärmepumpe, so Wiesner, ließen sich die Kosten noch einmal dritteln.
Neben der Geldersparnis bringe das System eines Passivhauses aber noch einen anderen Vorteil: stetig frische Luft. Pro Stunde wird rund ein Drittel der im Haus vorhandenen Luft in den Wärmetauscher abgesaugt und durch die dort erwärmte Frischluft ersetzt. Zum Lüften müssen also keine Fenster geöffnet werden.
Funktionieren kann das gesamte System nur, wenn das Gebäude absolut luftdicht ist. Deswegen, so Wiesner, wurde das Haus zum Abschluss des Baus quasi aufgeblasen. Der erzeugte Überdruck durfte dabei nicht entweichen.
Die Baukosten für ein Passivhaus liegen nach Wiesners Schätzung um rund zehn Prozent über denen eines „normalen“ Hauses. Allerdings könne jemand, der nicht gerade zwei linke Hände habe, sehr viel an Eigenleistung erbringen. In seinem Fall habe die Firma beispielsweise nur die Außenwände aufgestellt. Die mit Steinwolle gedämmten Innenwände habe er komplett selbst errichtet, so Wiesner.
Die höheren Baukosten werden durch die niedrigen Energiekosten früher oder später ausgeglichen. Für sein Haus hatte Wiesner vor Baubeginn ausgerechnet, dass sich die Investition innerhalb von 15 Jahren amortisiert. Nun jedoch ist der Preis für Öl und Gas enorm gestiegen. Deswegen mache sich das Passivhaus vermutlich deutlich schneller bezahlt.
Große Ausnahme
Trotz der Kostenvorteile sind Passivhäuser laut Wiesner noch die große Ausnahme. Seines sei wohl das erste in Lohr gewesen. Mittlerweile gebe es maximal eine Handvoll. Dass der Passivhaus-Gedanke noch nicht allzu weit verbreitet ist, merkte Wiesner schon vor Baubeginn. Da habe sich die Energieversorgung bei ihm gemeldet, weil sie ihm einen Gasanschluss legen wollte.
Als er gesagt habe, dass er kein Gas brauche, weil sein Haus keine Heizung habe, habe ihm das niemand glauben wollen. Auch der Schornsteinfeger sei anfangs jedes Jahr gekommen, weil er den nicht vorhandenen Kamin habe kehren wollen, lacht Wiesner.
Seiner Ansicht nach bauen viele ihr Haus vor allem deshalb mit konventioneller Heizung, „weil es halt immer schon so war“. Ein Haus mit herkömmlicher Heizung verbrauche im Vergleich zu einem Passivhaus jedoch etwa das Zehnfache an Energie. Angesichts der Entwicklung bei den Energiepreisen geht Wiesner daher davon aus, dass künftig mehr Passivhäuser gebaut werden. „Ich selbst würde es jedenfalls wieder genau so machen“, ist er froh über seine Wahl.