„Transkulturelle Psychiatrie - Erfahrungen aus einer Spezialambulanz und stationäre Behandlung von Patienten mit Migrationshintergrund“ – der Vortragstitel einer Fortbildungsveranstaltung am Freitag im Festsaal des Lohrer Bezirkskrankenhauses war etwas trocken formuliert. Referent war Dr. Ali Ekber Kaya, Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Allgemeinmedizin, am Psychiatrischen Krankenhaus Rickling.
Adressaten der Veranstaltung waren zwar Ärzte, Psychologen und medizinisches Personal; von den Erfahrungen des Referenten konnten aber alle Personengruppen profitieren, die mit Menschen aus anderen Kulturen zu tun haben.
Dr. Kaya, den der ärztliche Leiter des Bezirkskrankenhauses, Privatdozent Dr. Dominikus Bönsch, als einen alten Bekannten vorstellte, hat über sein fachliches Wissen hinaus den Vorteil, über die Befindlichkeit eines Migranten (er zieht allerdings die Bezeichnung „Flüchtling“ vor)auch aus eigener Erfahrung berichten zu können. Er ist in Istanbul geboren und in der Jugend nach Deutschland gekommen. Er hat er die Gabe, seinen Stoff praxisnah, leicht verständlich und mit einem Quäntchen Humor vorzutragen.
Aus seiner beruflichen Praxis als Leiter einer muttersprachlichen Institutsambulanz für Migranten schilderte er seinen Zuhörern Probleme, die sich im Arzt-Patientenverhältnis auftun können.
Psychische Probleme entstehen bei vielen Flüchtlingen schon auf der Flucht. Dann führen für kurze Zeit eine gewisse Euphorie und das Interesse am Neuen zu einem Stimmungshoch, das aber bald wieder zu Ende ist, wenn die ersten Erfahrungen mit Diskriminierungen und einem ganz anderen, für sie oft nicht verständlichen Wertesystem, mit Sprachproblemen und Familienkonflikten auftreten.
Meist sind diese Patienten es nicht gewohnt, mit anderen über seelische Probleme zu sprechen. Oft sind sie dazu selbst in ihrer Muttersprache nicht in der Lage. Beim Versuch, sich bildhaft auszudrücken, kann dann ein Arzt oder Therapeut sich mit Aussagen konfrontiert sehen wie „Ich habe meinen Kopf erkältet – ich esse meinen Kopf auf.“ Solche Vorstellungen entspringen oft schamanistischem Denken aus einer vorislamischen Kulturstufe. Da kann dann auch kein Dolmetscher weiterhelfen, es sei denn, er verfügt über eine einschlägige Ausbildung.
Vielfältiges Krankheitsbegriff
Die Zuhörer erfuhren über die unterschiedlichen Kulturen in den Staaten des Nahen Ostens, die in dieser Vielfalt im Westen meist gar nicht wahrgenommen werden. So gibt es allein in Anatolien mindestens zehn Ethnien. Zu den größeren gehören neben den Türken und Kurden die Armenier. So verschieden wie die einzelnen Kulturen ist oft deren Begriff von Krankheit ausgeprägt, manchmal noch beeinflusst von magischen Vorstellungen.
Dem entsprechen die Unterschiede in der Behandlung: Im Orient steht der Kranke im Mittelpunkt des Geschehens; die ganze Familie und seine Freunde bemühen sich um ihn. Einen Kranken nicht zu besuchen kommt einer Missachtung gleich.
Im Westen dagegen möchte der Kranke seine Ruhe haben. Ein deutscher Therapeut befragt seinen Patienten ausführlich, um eine möglichst sichere und genaue Diagnose zu stellen; ein Orientale erwartet, dass der Arzt ihm sagt, welche Krankheit er hat.
Misstrauen des Patienten gegen den Therapeuten kann aus der Unkenntnis der Strukturen in unserem Gesundheitswesen erwachsen und aus schlechten Erfahrungen im Herkunftsland. So haben manche Flüchtlinge Angst, der Arzt könnte über das, was er erfährt, die Polizei informieren; andere fürchten, dass man ihnen ihre religiösen Überzeugungen „wegtherapieren“ wolle.
Dr. Kaya warnte davor, den Menschen anderer Kulturen mit dem Gefühl der Überlegenheit entgegenzutreten. „Was man von jemandem weiß, hindert oft daran, ihn zu kennen.“
Dem Kennenlernen diene am besten eine Haltung des Nichtwissens und der gegenseitigen Neugier gegenüber dem jeweils anderen kulturellen Hintergrund des Gegenübers.