Ulf Fischer aus Langenprozelten ist in Vereinen, bei sozialen und geschichtlichen Projekten engagiert. Er war unter anderem bei der Entdeckung und Würdigung des aus Gemünden stammenden und im 18. Jahrhundert in Österreich zu Ruhm gekommenen Bildhauers Elias Hügel beteiligt. Aktuell ist Fischer bei den Ausgrabungen zum Kloster Einsiedel tätig. Weil sein Augenmerk auch den jüdischen Mitbürgern bis zu ihrer Vertreibung und Vernichtung in der Nazidiktatur gilt, hat er sich für die Platzierung von sechs Stolpersteinen des Künstlers Gunter Demnig in Gemünden eingesetzt.
Fischer informierte sich über jüdische Schicksale in Gemünden und Umgebung und ist mit der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in der Stadt nicht zufrieden. Nicht nur, dass bei der Standortsuche für die Stolpersteine eine unwürdige Diskussion entstand, bezeichnend für eine heute noch spürbare Verdrängung heikler Themen aus der Nazizeit sind nach seiner Meinung auch zwei Informationstafeln in der Stadt. Wenn er auch in gewisser Weise verstehen könne, dass sich Angehörige der älteren Generation mitunter schwer tun mit der ehrlichen Aufarbeitung dieser Verbrechen, so sei es vor allem mit Blick auf die Jugend wichtig, das Geschichtsbewusstsein in diesem Bereich zu schärfen.
Würdigere Tafel
Die bei der Altstadtsanierung in den 1980er Jahren angebrachte gusseiserne Tafel an der Plattnersgasse trägt die Inschrift: „Bis zur Kriegszerstörung im Jahre 1945 stand hier die Synagoge der jüdischen Kultusgemeinde Gemünden a. Main“. Das ist nach Fischers Empfinden zu wenig. Aus dem Text ist nicht zu erkennen, dass die Nazis die Synagoge bereits 1938 verwüstet hatten, kritisiert er. Außerdem fehlt nach seiner Meinung die Information, dass es in Gemünden eine bedeutende jüdische Gemeinde gab, deren Mitglieder verfolgt und in Vernichtungslagern getötet wurden. Es ist an der Zeit, eine würdigere Hinweistafel, vielleicht sogar ein kleines Denkmal, zu errichten, sagt Fischer.
Eine weitere Informationstafel ist Bestandteil des Natur- und Kulturlehrpfads an der Sinn. Sie steht an der Bahnüberführung vor dem Josefshaus, dem heutigen Gesundheitszentrum Main-Spessart. Dort erfährt der Betrachter, dass die ehemalige Glashütte ab 1882 eine Erziehungsanstalt für „schwachsinnige“ Kinder war, deren Leitung Johann Michael Herberich oblag, den die Kongregation der Töchter des Allerheiligsten Erlösers unterstützte. Der Abschnitt endet ohne nähere Erklärungen mit dem Satz: „Insgesamt 172 Nonnen waren als heilpädagogische Erzieherinnen für 187 Zöglinge bis 1940 tätig.“
Über die Gründe der Auflösung des Heims vor 72 Jahren informieren Erhard Schenk und Walter Nickel in einem Heft der Schriftenreihe des Historischen Vereins Gemünden „Das Josefshaus – von der Glashütte zur Behindertenanstalt“ aus dem Jahr 1992 nachzulesen. Demnach wuchs mit Kriegsbeginn der Druck auf die Anstaltsleitung, das Heim für Kriegszwecke freizugeben. Am 1. September 1940 wurden die sechs jüdischen Kinder des Hauses nach Egelfing/Haar bei München gebracht.
Deportation nach Lubin
Schwester Kostka Schraudt, eine der Erlöserschwestern, die die Bewohner betreuten, wird im Heft zitiert. Ihre Erinnerungen belegen, dass die Kinder von Haar aus umgehend in das Konzentrationslager Lubin deportiert wurden. Noch im Dezember erhielt die Anstaltsleitung in Gemünden die Nachricht, dass alle gestorben waren. „Eins am Blinddarm, eins an Epilepsie usw. Sonderbar – alle an einem Tag“, erinnerte sich Schwester Kostka. Außerdem schilderte sie einen Vorfall: „Im Oktober 1940 hat sich der damalige Professor der Universitätsnervenklinik in Würzburg 25 meist halbseitig gelähmte Pfleglinge ausgewählt, die dann in die Nervenklinik verlegt wurden – zu Versuchszwecken. Nur von zwei oder drei Jungen hörten wir, dass sie später nach Römershag kamen. Von den anderen 22 konnten wir niemals etwas erfahren.“
Das Ende der Anstalt kam am 9. November 1940. 130 Bewohner wurden in die Heil- und Pflegeanstalt Lohr (Bau 6) gebracht. Eltern holten die restlichen Kinder nach Hause. Wie die Autoren Schenk und Nickel recherchierten, wurden aus dem Lohrer Nervenkrankenhaus etwa 630 Patienten abtransportiert und getötet. Nach Aussage von Schwester Kostka kamen von Lohr aus weitere 13 Kinder, die aus dem Josefshaus stammten, nach Kaufbeuren, über deren Schicksal man nichts erfahren habe. Für den Transport seien die Mädchen auf dem Rücken und die Jungen auf der Brust „gezeichnet“ worden. Einen weiteren schon zusammengestellten Transport dorthin habe der Einsatz des Bischofs von Galen verhindert.
Schnell wieder bewohnt
Das Josefshaus stand nicht lange leer, es hieß von nun an Umsiedlerlager VI c, ist in der Dokumentation nachzulesen. Wenige Tage nach dem Auszug der Behinderten zogen 450 Dobrudscha-Deutsche ein und die Ortsgruppe der NSDAP meldete in ihrem „Heimatbericht 1940“: „Im Zuge der Rückführung aller Volksdeutschen aus dem Südosten trafen Mitte November 450 Volksdeutsche aus der Dobrudscha in Gemünden ein, die als Lagergemeinschaft im inzwischen geräumten Josefshaus untergebracht und betreut werden. Es handelt sich um lauter kerndeutsche Menschen, fleißige Bauern, die ihre großen Hofgüter- oft über 100 ha ! – im Stich ließen, nur weil sie heim ins großdeutsche Reich wollten. Diese Menschen sind wertvollstes Auslandsdeutschtum.“
Die Geschichte des Hauses in dieser Zeit an einem Kulturweg verlange mehr Beachtung, meint Fischer. Wenn auch der Platz auf den Tafeln beschränkt ist, so kann sich Fischer doch an dieser Stelle oder näher am Haus ein Schild mit Sonderinformation vorstellen. Das würde der Stadt und den Bürgern im Sinne einer souveränen Geschichtsaufarbeitung gut anstehen, ist sich Ulf Fischer sicher.
Quelle: „Das Josefshaus – von der Glashütte zur Behindertenanstalt“, Heft 4, Jahrgang 1992, Historische Verein Gemünden und Umgebung.