Dass er im September 1960 ausgerechnet nach Deutschland kam, war so nicht geplant gewesen, denn der damals 21-Jährige wollte Abenteuer erleben und eigentlich viel weiter weg von seiner Heimat Italien: Australien oder Kanada spukten dem jungen Mann damals im Kopf herum. „Aber da hätte ich mich für fünf Jahre verpflichten müssen und das traute ich mich damals dann doch noch nicht“, erzählt der gelernte Kunstglaser heute und lacht.
Gastarbeiter nannte man 1960 die Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland kamen, um hier zu leben und zu arbeiteten. Gunnellas Arbeitsweg begann in Lohr und führte über Wiesbaden nach Wolfsburg und Bad Neustadt an der Saale wieder zurück nach Lohr. Eine Verletzung an der Hand zwang ihn, seinen Job als Kunstglaser aufzugeben. 1965 fand er Arbeit bei der damaligen Firma Paulisch in Lohr. 35 Jahre lang arbeitete er dort, bis er vor acht Jahren in Rente ging.
Verguckt in eine 16-Jährige
Direkt gegenüber seines Arbeitsplatzes war damals die Kleiderfabrik Desch. Dort arbeitete ein hübsches Mädel, 16 Jahre alt, das es dem jungen Italiener angetan hatte. Heute ist sie seine Frau und zusammen haben sie einen Sohn und eine Tochter und inzwischen auch zwei Enkeltöchter. Vor 43 Jahren jedoch, als sie sich kennen lernten und miteinander gingen, war es gar nicht so einfach für das junge Paar. „Ein deutsches Mädchen und ein Italiener“, Gunnella schüttelt den Kopf wenn er sich daran erinnert. Das war zu jener Zeit noch eine Seltenheit und Reibereien deshalb vorprogrammiert.
Barrieren seien immer da gewesen und die Standardfragen „Wie lange bist du schon in Deutschland?“, „Kannst du schon Zeitung lesen?“, „Kannst du schreiben?“ hat Gunnella nicht vergessen. „Es gab schon Neider, die mir das nicht gegönnt haben“, erinnert er sich.
Auch die Polizei hatte ein wachsames Auge auf das junge deutsch-italienische Paar. Da Ursula Gunnella damals erst 16 Jahre alt war, hatte sie um 22 Uhr daheim zu sein. „Da war Polizeistunde und das wurde auch streng kontrolliert“, erzählt sie. Und ihr Freund achtete auch strikt darauf, dass die Zeit auch eingehalten wurde und seine Liebste pünktlich wieder zu Hause war.
Gerne in der Küche
Er lebte damals mit anderen ausländischen Arbeitskollegen in einer Werkswohnung der Firma Paulisch. Dort kochte er manchmal auch für die ganze Mannschaft so richtig Italienisch. „Damals gab es hier noch nicht alles zu kaufen, ein Feinkostgeschäft in Lohr hatte sich zwar auf italienisches Essen und die Zutaten spezialisiert, aber es war nicht so wie daheim im Italien“, erinnert sich Gunnella. Aber er hat es doch immer fertig gebracht, für seine Freunde und für seine Freundin typisch italienisch zu kochen – und die haben es genossen. Das tut er auch heute noch gut und gerne und am liebsten frisch.
Dafür stellt sich der 69-Jährige jederzeit in die Küche und knetet den Pastateig, denn gekauft „das schmeckt doch nicht, frisch muss es sein!“, meint er. Heute fühlt er sich nicht mehr so sehr als Italiener sondern als Europäer. „Ich bin kein Mensch, der andere diskriminiert“, sagt er, der sich mit dem Einbürgerungstest in Deutschland nicht recht anfreunden kann. „Wenn ich in ein Land eingebürgert werden möchte, zählen die inneren Werte. Ich muss die Mentalität der Menschen verstehen und akzeptieren, ihre Gesetze kennen und mich daran halten, ihre Sprache sprechen, arbeiten, mich eingliedern in das Leben in diesem Land. All das ist ganz wichtig, aber nicht unbedingt, welche Bundesländer wo liegen. Das lerne ich mit der Zeit automatisch“, sagt er.
Integration braucht Zeit, das weiß der 69-Jährige, wenn er seine Anfangszeit in Deutschland mit heute vergleicht. „Unterschiede wird es immer geben. Man kann nicht Italiener und Deutsche miteinander vermischen. Dabei spielt die Vergangenheit auch eine große Rolle“, sagt er. Die Italiener seien manchmal chaotisch, temperamentvoll, impulsiv, aufbrausend aber nicht nachtragend, weiß Gunnella. In Deutschland sei immer alles geplant, aber er habe das Gefühl, die Menschen hier würden gerne offener und auch spontaner sein „aber sie wissen oft nicht so recht, wie das geht und wo sie anfangen sollen.“