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GEMÜNDEN: Weihnachtsbräuche: Pelznickel und das Christkind

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Weihnachtsbräuche: Pelznickel und das Christkind

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    Das Schicksal und die große Politik hat es nicht immer gut gemeint mit ihrer Großfamilie, deren Vorfahren aus dem Hessischen stammen, und in der autonomen Wolgarepublik mit Fleiß und handwerklichem Geschick ihr Leben in bescheidenem Wohlstand gestalteten. Emilie und Emma erzählen sehr genau, wie 1929 die evangelischen, katholischen und russisch-orthodoxen Kirchen zerstört, und zu Lager-, Kino- oder Kulturhäusern umfunktioniert wurden.

    Kringel und Pfeffernüsse

    Als es noch genug Mehl gab, kamen aus der Backstube mit Eigelb bestrichene Kringel, Strudel und Pfeffernüsse. An Weihnachten gab es Gänsebraten mit Kraut und Kartoffelbrei und zur Fasenacht buk die Mutter „Kreppel“, wie die Krapfen auf Hessisch heißen.

    Zur Stalinzeit prägte dann der Hunger den Alltag. Auch in der vorweihnachtlichen Zeit gab es nicht viel zu essen, obwohl der Vater als Bäcker und Schreiner sein Handwerk verstand. In der in „Marxstadt“ umbenannten 20 000 Einwohner zählenden deutschen Stadt starben viele Menschen an Unterernährung, nachdem die in Klein- Mittel- und Großbauern eingeteilten landwirtschaftlichen Betriebe ihre Ernteerträge größtenteils abliefern mussten.

    Auch die zwei jüngsten Söhne der neunköpfigen Familie sind verhungert. Trotzdem gelang es den Eltern, die alten Traditionen hoch zu halten. An den Christbaum wurden kleine Pferde und Puppen gehängt. Die Kleinen fürchteten den Pelznickel, der an Heiligabend mit dem in weiß gekleideten Christkind kam.

    Emilie Eirich erzählt, dass sie vor lauter Angst hinter die Eimer mit dem spärlichen Schweinefutter gekrochen ist und man sie lange nicht gefunden hat, was ihre Schwester lachend bestätigt. Mit dem Pelznickel war nicht zu spaßen. Wer nicht richtig gebetet hat, musste zur Strafe in eine Zwiebel beißen.

    Das Gebet gab den evangelischen und katholischen Christen in diesen schwierigen Zeiten Halt, berichten die betagten Frauen übereinstimmend. Es ist am Tag bis zu zehnmal gebetet worden: „Von der Früh bis zum Abend, vor und nach dem Essen.“ Nur mit festem Glauben konnte man die Deportationen nach Sibirien und Kasachstan und in den 60er Jahren wieder zurück an die Wolga überleben, darüber sind sich die Schwestern einig, die sich 23 Jahre nicht gesehen hatten und erst durch die Übersiedlung 1999 in Gemünden wieder zusammenfanden.

    Geheime Gottesdienste

    Die Gottesdienste, auch an den Adventssonntagen, fanden geheim in wechselnden Wohnungen statt. Wer dabei von der Staatspolizei erwischt wurde, musste mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Heute leben die betagten Damen unter dem gleichen Dach in Kleingemünden und werden von ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln liebevoll umsorgt. Emma Müller spielt immer noch gerne Gitarre, erzählt von ihrem Vater, der Balalaikas und andere Zupfinstrumente selbst gebaut hat, und von der an der Küchenmaschine abgeschnittenen Fingerkuppe, die ihr das Zupfen der Saiten erschwert.

    Am Ende des Gesprächs haben sie noch eine lustige Erklärung dafür, dass die russisch-orthodoxen Christen das Weihnachtsfest erst am 6. Januar feiern: „Weil sie keine Stümpfe wie wir haben, sondern ihre Fußlappen wickeln müssen, sagten wir immer, die brauchen einfach mehr Zeit bis zum Weihnachtsfest.“

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