Der Mittelsinner Alexander Fischer macht sich Sorgen wegen des „verheerenden“ Milchpreises von unter 30 Cent pro Liter. „Das kann keiner lang mitmachen“, sagt der 41-Jährige. Mit seinen 100 Kühen ist er der größte Milchproduzent im vieharmen Landkreis Main-Spessart. Nun drohe vielen das Aus. Fischer ist der letzte verbliebene Milchbauer im Sinngrund. Kein Vergleich zu früher. Seine Mutter Gerda erzählt, dass es allein in Mittelsinn Anfang der 70er Jahre noch 50 Höfe mit Milchkühen gab.
Zwar hat Lidl im September werbewirksam den Preis um fünf Cent erhöht. Aber das sei nur eine Seite, sagt Alexander Fischer. Kurz davor habe Lidl noch schnell die Käsepreise kräftig gedrückt, und der Käsemarkt mache für Molkereien immerhin 60 Prozent aus, der Milchmarkt nur 40 Prozent. „Leutverarschung“, nennt Fischer das. Auf Anfrage der Redaktion antwortet Sonja König für die Firma Lidl: „Mit unserer erklärten Bereitschaft zur Erhöhung der Milchpreise und dem Aussetzen weiterer Verhandlungen möchten wir ein klares Zeichen setzen und den Landwirten auch in dieser schweren Zeit zur Seite stehen. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir keine Auskunft über Einkaufspreisverhandlungen geben können.“
Heu- und Strohballen liegen hoch gestapelt auf dem Hof, in mehreren Silos lagert Gras- und Heusilage. Sechs Tonnen am Tag fressen Fischers Kühe und Kälber. Der Hausname der Familie in Mittelsinn ist „Hofs“, weil der Bauernhof auf der ehemaligen Hofwiese am Ortsrand gebaut wurde. Bis 1984 stand der Stall noch mitten im Ort, und zwar bei der Bäckerei Sachs-Stegmann, die Alexander Fischers Tante erbte, während seine Mutter den Bauernhof bekam. Vater Reinhold, ein gebürtiger Weickersgrübener, hat 1984 den jetzigen Laufstall gebaut. „Das war eine Arbeitserleichterung“, sagt Sohn Alexander. Dass man Kühe seit Neuestem nicht mehr anbinden darf, war für sie überhaupt kein Problem, weil sie die arbeitsintensive Anbindehaltung, bei der man mit einem Melkgerät von Tier zu Tier laufen muss, schon mit dem Bau des Laufstalls aufgaben.
Bei Fischer laufen die Kühe links und rechts auf einen Melkstand, wo sie Kopf an Schwanz stehen. Dann werden das Euter gereinigt und die Melkmaschine angelegt. Innerhalb von 20 Minuten können so 16 Kühe gemolken werden. Morgens um halb sieben und nachmittags um fünf marschieren die Kühe auf den Melkstand, gelockt von frischem Futter. „Die Kühe kommen zu uns.“
Etwa 2500 Liter Milch geben Fischers Fleckvieh- und Holstein-Kühe am Tag. Die Milch kommt in einen großen Tank und wird alle zwei Tage von einem Tanklaster abgeholt. Dabei werden gleich Inhaltsstoffe wie Fett und Arzneimittelrückstände, die eventuell die Joghurtbildung verhindern könnten, getestet. Die Milch sei inzwischen so sauber, sagt Mutter Gerda, dass nur bei ganz schwül-gewittrigem Wetter aus ihr auf dem Fensterbrett saure Milch wird. Die Mittelsinner haben sich offenbar mit Milch aus dem Supermarkt angefreundet, denn Frischmilch ab Hof wird nur wenig verkauft.
Alexander Fischer, frisch verheiratet, wollte schon immer Landwirt wie seine Vorfahren seit Generationen werden. „Seit Kindertagen hab ich gewusst, was ich werden will.“ Während der Ausbildung verbrachte er ein Jahr im Allgäu und eines bei Erlangen. „Im Moment arbeiten wir für null.“ Und das sei nur deshalb möglich, weil man in einem Familienbetrieb den Gürtel enger schnallen könne. Die Arbeitsleistung kostet nichts, nur der Auszubildende muss bezahlt werden. Wegen der vielen „Küppel“ (Hügel) um Mittelsinn sei die Bewirtschaftung des Betriebs mit Grünland und Ackerbau, zum großen Teil für das Milchvieh, nicht einfach.
Nicht nur die Ansprüche an Hygiene haben in den vergangenen Jahren zugenommen, was sich bei Milchbauern in der Schweiz auch negativ auswirke: Der Emmentaler habe kaum noch Löcher wegen fehlender Heupartikel. Heute gebe es Arzneimittelabgabebelege, Ohrmarken, Tierdatenbank, Düngebilanz. Alles in allem viel Schreibarbeit. „Alles muss dokumentiert werden.“
Die zum 1. April ausgelaufene Milchquote sei gar nicht das Problem, sagt Fischer. Auch zuvor habe der Preis schon bei mageren 24,25 Cent gelegen. Zum Vergleich: 1984 bekamen Bauern noch 80 Pfennige für den Liter. Auch sei die Milcherzeugung sogar ganz leicht rückläufig. Was sich viel stärker auswirke, seien das Russlandembargo und der schwächelnde chinesische Markt. „Die Supermärkte nutzen das aus.“ Die Molkereien haben vier große Abnehmer, mit denen sie verhandeln: Edeka, Aldi, Lidl und Rewe. Gefragt seien die Verbraucher, findet Fischer.
Wie geht es weiter? Alexander Fischer sagt, er habe, wie sein Cousin Christian Fischer in Weickersgrüben mit der Mutterkuhhaltung, darüber nachgedacht, auf „Bio“ umzusteigen. Mit anderen habe er die Gründung eines Erzeugerrings erwogen. Die Verbraucher seien anscheinend bereit, für Bio-Milch einen anständigen Preis zu zahlen. Allerdings habe sich die Idee wieder zerschlagen. So hofft Fischer auf baldige Erholung des Milchpreises.