Carola Meusel und Rainer Bewersdorff gründeten 1991 die WG, die bis zur heutigen Besetzung einige Wechsel erlebt hat. Das Haus, ein Haupt- und zwei Nebengebäude, gehört den Bewohnern und wurde nach und nach umgebaut. 300 Quadratmeter umfasst die Wohnfläche heute. Alle Bewohner haben eigene Wohn/Schlafräume, teils sogar mit Küchenzeile. Es gibt drei Bäder, Gästezimmer und eine Sauna. Herz der Wohngemeinschaft ist aber das gemeinsam genutzte Wohn-Esszimmer mit der angrenzenden großen Küche.
Die WG ist keine Zweckgemeinschaft. Freundschaft ist die Basis, die die Bewohner zueinander brachte. „Wir haben uns zwar nicht gesucht, aber wir haben uns gefunden“, sagt Carola. Marion Heitgerken schätzt die Geborgenheit, die ihr die Menschen, mit denen sie lebt, vermitteln. „Ich kann mir nicht vorstellen, mit den Kindern allein zu wohnen. Hier kann ich mich auch emotional auffangen lassen.“ Dennoch könne jeder so privat werden, wie er möchte. „Wir leben die Großfamilie, aber freier als in der traditionellen Familienstruktur“, sagt die Studentin.
Nicht nur auf der Gefühlsebene, auch in ganz praktischer Hinsicht geben die Bewohner einander Halt. Ist Marion an der Uni, weiß sie die Kinder in guten Händen. Ihre Söhne Rick und Ron haben dadurch weitere Bezugspersonen. Sonar Gerrish, die sich besonders gerne um die Jungen kümmert, genießt es, die beiden aufwachsen zu sehen. „Ich habe keine Kinder, also auch keine Enkel. Sie sind wie ein Geschenk.“ Diese Erfahrung hätte sie ohne die Wohngemeinschaft nie machen können. Sonar möchte nicht anders leben. Eine einsame Zweizimmerwohnung in der Stadt ist für die Realschullehrerin eine Horrorvision.
Diese Schreckensvorstellung teilt Carola Meusel. „Nach meiner Scheidung bin ich hierher gezogen, um nicht allein zu sein.“ Anfangs mit einer gewissen Distanz, habe sie sich schnell eingelebt. „Es hat funktioniert.“ Die Frage „Wie kannst Du nur mit fremden Leuten leben?“ habe sie oft gehört, diese Frage kennen alle. Aber sie seien eben keine Fremden, lebten nicht aus Zweckmäßigkeit zusammen. Die verschiedenen Altersstufen sieht sie wie die anderen als Gewinn. Sie hat selbst zwei erwachsene Kinder, „ungefähr so alt wie Marion“, und zwei Enkel.
Rainer Bewersdorff ist überzeugt von dieser Wohnform. Er hat schon immer in WGs gewohnt und überwiegend positive Erfahrungen gemacht. „Man lebt sehr natürlich und ist direkt am Puls der Zeit.“ Auch er genießt die Zuneigung und Nähe der anderen, aber auch den größeren Freiraum, den die WG gegenüber dem Leben in einer Familie bietet.
„Wir haben hier keinerlei Gruppenzwang. Jeder unternimmt mit jedem etwas – oder lässt es bleiben.“ Ausflüge und gemeinsame Aktivitäten finden nach Lust und Laune statt. Feste Einrichtungen sind lediglich das gemeinsame Abendessen und das Sonntagsfrühstück.
Eine Wohngemeinschaft bietet auch materielle Vorteile. Das Leben in solch einem Haus könne sich einer allein kaum leisten. Marion und Jonas, der zur Zeit am Bodensee studiert, sind an der Uni, Sonar ist Realschullehrerin, Carola betreibt einen Partyservice und ist in Rainers Landschaftsgärtnereibetrieb angestellt.
Es gibt eine gemeinsame Haushaltskasse, in die jeder einen festen Betrag einzahlt, und zwar zu dem Zeitpunkt im Monat, an dem der einzelne Geld erhält. Die Nebenkosten werden zu gleichen Teilen getragen. Eine Putzhilfe greift der WG unter die Arme. Fixe Regeln gibt kaum. „Wer kocht, muss nicht abwaschen“, ist eine davon. Jede Frau kocht zweimal in der Woche, Rainer, beruflich bedingt, dafür oft am Sonntag. Den Einkauf erledigt immer irgendjemand.
„Bei uns funktioniert vieles auf Zuruf“, sagt Carola. Dennoch gibt es wie überall mal kleinere Konflikte, die jedoch durch Toleranz und Offenheit gelöst werden. Größere Probleme werden im Plenum diskutiert. In der bisherigen Besetzung habe es noch nichts so Gravierendes gegeben, dass es am runden Tisch nicht hätte bewältigt werden können.
Das Alter scheint ihnen in noch weiter Ferne. Dennoch wird es hie und da thematisiert. „Wir haben schon darüber gesprochen, wo im Haus eine Rampe hin könnte oder ein Lift oder welche Zimmer ins Erdgeschoss verlagert werden könnten“, erklärt Rainer Bewersdorff. Beim Umbau einer der Bäder habe er bereits auf eine altersgerechte Ausstattung geachtet. Die Jüngeren könnten die Älteren unterstützen, sagt er. Angedacht sei auch eine Pflegekraft. Bleiben wollen sie alle: „Nichts bringt mich in ein Altenheim“, sagt Sonar.
Im Haus der siebenköpfigen „Wahlfamilie“ ist übrigens noch Platz. „Wir hätten gerne noch einen Mitbewohner, aber die Leute trauen sich anscheinend nicht so richtig“, bedauert die Altbessinger WG.