Raubtierdompteur Sascha Prehn schaut kurz in den Wohnwagen von Tim Thomsen. Er müsse noch schnell zum Netto, ein paar Hühner für die Tiger holen. "Das sind für die Tiger Leckerli zwischendurch", erklärt Thomsen, 29, der der Schwiegersohn des Chefs und außerdem Moderator ist. Die fünf Tiger des Circus Manuel Weisheit, der ein kurzes Gastspiel auf der Lindenwiese in Gemünden gibt, bevor es weiter nach Lohr geht, brauchen am Tag je etwa acht bis zehn Kilo Fleisch.
Raubtierdompteur Prehn sagt von sich selbst, dass er einer von nur noch drei aktiven in Deutschland ist. Hans Bleiker aus der Schweiz sitzt vor dem Raubtierkäfig der gelassen wirkenden Sibirischen Tiger und schaut zu, wie Prehn der neunjährigen Tigerin Bavati Fleischstücke und ein Küsschen gibt. Bleiker, der mit seiner Frau nur zu Besuch ist, ist eine Legende in der Raubtierszene. Mit seiner Show aus Panthern und Leoparden reiste er früher um die Welt, trat etwa in großen Freizeitparks auf. Tiger, sagt er, könne man zusammen in einem Käfig halten, seine schwarzen Panther hätten sich gegenseitig umgebracht.

Sibirische Tiger, ein kastriertes Männchen und vier Weibchen sind es beim Circus Weisheit, seien wegen ihrer Herkunft gut an das hiesige Klima angepasst, erzählt Tim Thomsen. "Wenn's schneit, hüpfen die rum, wälzen sich und finden es ganz toll." Bengalische Tiger fühlten sich hier im Winter nicht so wohl. Früher hatte der Zirkus auch Löwen und auch mal Panther, erzählt er. Eine der Tigerinnen hat eine seltene helle Färbung, die in Deutschland nur zwei Tiger hätten. Weiße Tiger gebe es viel mehr.
15 Prozent des Programms sind Tiernummern
Neben Tigern hat der Zirkus noch vier Ponys, vier Lamas und zwei Pferde. Aber Tiernummern machen nur 15 Prozent des Programms aus, so Thomsen. Der Rest seien Clown-Nummern und Artistik, darunter Handstand-, Kraft- und Luftakrobatik. Der Zirkus ist mit 30 Anhängern und Wohnwagen unterwegs. Fast alle Mitglieder des 30-köpfigen Teams seien verwandt und verschwägert - ausgenommen der Dompteur und ein Mitarbeiter im Stall. Aber die beiden gehörten natürlich auch gewissermaßen zur Familie.
Thomsen selbst kommt nicht aus einer Zirkusfamilie, sondern aus Glückstadt bei Hamburg. Da ihn aber Zirkusse schon immer fasziniert hätten, habe der gelernte Hotelfachmann für mehrere die Tourneeplanung und Büroarbeit übernommen. Übers Internet habe er dann als Zwanzigjähriger seine heutige Lebensgefährtin, die älteste Tochter des Chefs, kennengelernt und gehöre seitdem zur Zirkusfamilie Weisheit. Der Zirkus verfüge noch über mehrere Wagen mit dem typischen runden Dach, die heute nicht mehr hergestellt würden. Teilweise stammten sie, wie der urige Kassenwagen, noch "vom Opa" und seien 50 bis 60 Jahre alt.

Der Zirkus lädt Kritiker ein, sich die Haltung der Tiger anzuschauen
Zu der hauptsächlich im Internet geäußerten Kritik von Tierrechtlern an der Haltung von Wildtieren im Zirkus sagt der joviale 29-Jährige: "Ich bin überzeugt, dass jeder sieht, dass es den Tieren gut geht." Er habe in den letzten Jahren wahrgenommen, dass mehr Leute die Haltung von Tigern im Zirkus hinterfragten. Jeder, der sich dafür interessiere, dürfe gerne vorbeikommen und sich informieren.
Ein Zirkus sei der "meistkontrollierte Tierhaltungsbetrieb in Deutschland", sagt er. Bei jedem Ortswechsel müsse das Veterinäramt informiert werden. Die Tiger des Zirkus, seit neunter Generation in menschlicher Obhut, wie er sagt, würden viel mehr gefördert und beschäftigt als im Zoo, bekämen durch die Ortswechsel zudem Abwechslung. Kritikern entgegnet er, dass Haustiere letztlich auch zur Unterhaltung von Menschen gehalten würden.
Manche Kinder bleiben beim Zirkus, andere nicht
Die Kinder, die mit dem Zirkus mitreisen, weil ihre Eltern als Artisten arbeiten, müssen am jeweiligen Halt auch in die Schule gehen. Zusätzlich komme ein Wohnmobil der "Schule für beruflich Reisende" vorbei. Die Stammschule der Kinder befindet sich in Neustadt an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz), wo der Zirkus sein Winterquartier hat. Zwar probieren die Kinder schon viel aus, eifern ihren Eltern, Onkeln, Tanten oder Cousins nach, aber nicht alle bleiben später beim Zirkus. Zwei seiner Schwägerinnen seien "aus der Branche raus", die eine betreibe mit ihrem Mann jetzt eine Baumschule.
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Nach Gemünden und auch nach Lohr kommt der Zirkus zum allerersten Mal, obwohl er im süddeutschen Raum unterwegs ist. Ein Bekannter von einem anderen Zirkus habe von Gemünden geschwärmt, es sei zwar klein, aber toll. So weit er wisse, dürfe in Gemünden wie in Lohr nur ein Zirkus im Jahr Station machen, was für den Zirkus, der den Zuschlag erhält, natürlich gut sei. Für Gemünden habe Thomsen schon im Frühjahr den Antrag gestellt. Wegen einer Veranstaltung am Wochenende in Gemünden könne er jedoch nur unter der Woche hier gastieren.
Das Zelt ist in fünf Stunden aufgebaut
In Gemünden ist das Zirkuszelt aus Platzgründen auf der Lindenwiese etwas kleiner als in Lohr, wo 400 Besucher hineinpassen. "Das Programm ist dasselbe", versichert Thomsen. Der Aufbau des Zelts ist Routine und dauert etwa vier bis fünf Stunden. Das Programm dauere etwa 100 Minuten. Wie beim Fußball seien manche Nummern doppelt und sogar dreifach besetzt, sollte jemand krank werden.
Die Vorstellungen
In Gemünden sind die Vorstellungen des Circus Weisheit am Dienstag um 17.30 Uhr und Mittwoch um 16 Uhr, in Lohr am Freitag und Samstag um 15 und 19 Uhr sowie am Sonntag um 15 Uhr.