Björn SC Deigner, der Autor von Kleists "Kohlhaas", dargestellt durch das Liebhabertheater "Die freche Distel", fragt sich in seinem Stück, wie man das Grundthema von Kleists Erzählung in die Gegenwart transportieren könnte: Legitimiert erfahrenes Unrecht in einem demokratisch verfassten Staat, Selbstermächtigung und Terror der Betroffenen gegen Staat und Gesellschaft?
In der Uraufführung in den Meininger Kammerspielen ist das Resultat der Auftragsarbeit zu sehen. Den Assoziationen des Autors wird ein leidenschaftlich spielendes Ensemble zugesellt, mit dem scheidenden Dramaturgen Cornelius Benedikt Edlefsen ein aufmerksamer Regisseur, eine manuell zu bedienende kleine Drehbühne, eine schräge Rampe, ein paar verdorrte Bäumchen, und zwei, drei Accessoires (Ausstattung: Jenny Schleif). Das sollte genügen, um dem Spektakel in der Mehrzweckhalle eines Provinznests Raum zu geben, in das es das vierköpfige Privattheater "Die freche Distel" verschlagen hat, in der immerwährenden Hoffnung, ein Publikum möge erscheinen.
Ein seltsam konstruiert wirkendes Unterfangen von Karl und Edda (Thomas Büchel und Anja Lenßen) – ein alterndes Schauspielerehepaar. Künstlerisch und privat hat es schon bessere Tage gesehen. Auch ideologisch hat man sich auseinandergelebt. Er – Vertreter der alten Schule von Brechts politischem Theater. Sie arbeitet nur noch als Souffleuse und neigt dem Querdenkertum zu. Und die Jungen, Chris und Clara (Jan Wenglarz und Pauline Gloger)? Sie ist durchaus ambitioniert, sich – trotz baldiger Mutterschaft – auf den Bühnenbrettern empor zuspielen. Er hat jedoch die Nase von Karls Bevormundungen gestrichen voll und erwartet minütlich einen Anruf, der ihm eine Hauptrolle in einer Netflix-Serie bescheren soll. Noch aber proben sie vor der abendlichen Vorstellung das Stück.
Kleists Hintertürchen
Immer wieder kommt es zu Annäherungen und Abstoßungen zwischen Alt und Jung. Halt! Vorab tauchen noch Vogelwesen aus Hieronymus Bosch' Triptychon "Im Garten der Lüste" auf. Aus dem Off wird über die Hölle und über Irrungen und Wirrungen menschlichen Daseins räsoniert, über Sehnsüchte, Träume und die Zukunft unserer Kinder. Und lauert da nicht irgendwo auch noch das von Kleist gesuchte Hintertürchen zum Paradies?
Damit zu den Schauspielern, die die Vier vom Liebhabertheater mimen. Sie müssen alles, was der Autor an klugen Gedanken zur Hauptfrage (Sie erinnern sich?) versammelt hat, nicht nur memorieren, sie müssen die privaten Gefechte ihrer Rollencharaktere glaubwürdig offenbaren, deren Theaterpassionen kundtun, im Kleistschen Duktus parlieren und schließlich noch den Zuschauerinnen und Zuschauern den roten Faden reichen.
Von der Selbstermächtigung des schikanierten Rosshändlers Kohlhaas geht es schnurstracks zu den Selbstermächtigungen von gesellschaftlichen Gruppen, die hinter den Fassaden des Rechtsstaates dunkle Mächte walten sehen. Genauso schnell schwenkt man wieder zurück zu den Gemütsverfassungen der frechen Disteln. Hut ab vor den Schauspielern, die gleichzeitig so viele Felder beackern müssen! Bei den angespielten Längs- und Quergedanken kann man als Betrachter leicht den Faden verlieren. Die Konversation erscheint häufig so, als sei sie den Figuren plakativ auf die Zunge gelegt worden, wie eine auserlesene Sammlung intellektuell aufbereiteter Sprechblasen und emotionaler Erregungszustände. Am Ende möchte man sich als teilhabender Betroffener der misslichen Zustände innerhalb und außerhalb des Paradieses am liebsten dem alternden Mimenpärchen zugesellen, das sich eben noch angegeifert hatte. "Gehen wir erstmal zusammen einen Wein trinken." Aber bitte erst, nachdem wir dem erniedrigten Rosshändler der Gegenwart entschieden entgegengerufen haben: "Aber so nicht, Herr Kohlhaas!"
Die nächsten Vorstellungen sind am 8., 22., 26. und 29. Juni. Kartentelefon: (03693) 451 222. www.staatstheater-meiningen.de


