Im Rhön-Grabfelder Heimatjahrbuch 2009 hat der ehemalige Stadtamtmann Theo Herbert – er starb kürzlich – das Kriegsende in seiner Heimatstadt Fladungen veröffentlicht. Diese Aufzeichnungen bilden die Quelle für die nachfolgende Abhandlung.
„Ich glaube dies war unsere letzte Fahrt“, sagte der Postschaffner Wilhelm Link in der Nacht zum Karsamstag des Jahres 1945 zu seinen Bahn-Kollegen, die eben den letzten Zug, der eigentlich schon fünf Stunden hätte früher kommen sollen, in den Bahnhof Fladungen eingefahren hatten. Er saß im Postwagen direkt hinter der Lokomotive. Lange hatte man in Mellrichstadt auf den Zug aus Schweinfurt warten müssen bis er gegen Mitternacht, geschützt von vier Flakgeschützen, in völliger Dunkelheit einfuhr. Während man schon beim Warten am Bahnhof Mellrichstadt unaufhörlichen Motorenlärm vernahm, wurde er bei der Ankunft in Fladungen nahezu unerträglich. Die Wehrmacht wich zurück, die Front war da. Fahrzeug hinter Fahrzeug fuhren die ganze Nacht hindurch und ließen niemand zur Ruhe kommen. Am Karsamstag ebbte der Strom von Fahrzeugen wegen der Luftangriffe ab, um in der Nacht zum Ostersonntag erneut anzuschwellen.
Ostersonntag, ein herrlich warmer Frühlingstag. Noch immer strömten deutsche Truppen zurück, verfolgt von amerikanischen Jagdbombern. Sie griffen die deutschen Fahrzeuge mit Bordwaffen und Bomben an und verursachten Schäden und Brände in Heufurt und Nordheim. In Fladungen fielen Bomben unterhalb des Anwesens Willi Dros an der Sandser Straße. Gegen 11 Uhr kam die Nachhut, modernste Panzer des Typs Tiger. Sie führten Zivilpersonen und Wehrmachtshelferinnen mit. Das Motorengeräusch ebbte in der Ferne ab. Eine unheimliche Ruhe legte sich über die Landschaft. Die Bevölkerung harrte der Dinge, die kommen sollen. Auf dem Berg zwischen Oberfladungen und Fladungen hatte sich die Waffen-SS verschanzt. Kistenweise stapelten sich Panzerfäuste und Munition hinter Hausmauern und in Gehöften.
Um 12 Uhr erreichte ein Anruf aus Hilders Bürgermeister Markert: „Hilders brennt – die Amerikaner rücken ein.“ Dann brach die Verbindung ab. Wie ein Lauffeuer durcheilte diese Meldung die Stadt. Mit dem Nötigsten bepackt, flüchtete die Bevölkerung in die Luftschutzräume im Rathaus und Genzler-Saal, die hierzu hergerichtet waren, in die eigenen Keller und in die Wälder. Oberfladunger verschanzten sich im Huflarer Wald mit Leiterwagen, Bettzeug und sonstigen Habseligkeiten, das Vieh an den Bäumen festgebunden.
Von Frankenheim her kam Motorenlärm auf. Doch die amerikanischen Truppen rückten zunächst auf der Straße Frankenheim – Reichenhausen Richtung Meiningen vor. Auf dem Weg nach Fladungen verharrten sie an diesem Tag vor Leubach.
Nun galt es zu handeln. Bürgermeister Markert wollte Fladungen möglichst kampflos übergeben. Am Karsamstag spätnachmittags beriet er die Lage mit zweien seiner Nachbarn im Dickicht in der Waldabteilung Heide. Spätere Beratungen erfolgten im Wochenendhaus des Überlandwerkes. Belgische Kriegsgefangene, die seit 1940 im Genzler-Saal untergebracht waren, wollten helfen. Einer davon wurde außerhalb der Kampflinie, im Sägewerk zwischen Bretterstapeln stationiert. Als Verbindungsweg zu den Amerikanern diente der Leubachsgraben. Trotzdem war es schwierig jedesmal ungesehen an den deutschen Truppenresten, die bei Leubach Stellung bezogen hatten und auch ein amerikanisches Fahrzeug erbeuteten, vorbeizukommen. Äußerst schwierig gestaltete sich auch die Versorgung dieser Männer mit Lebensmitteln.
Wie vereinbart, verhielt sich der Kompanieführer des Volkssturms „unauffindbar“, zumal noch am Osterdienstagabend zwei an den Endsieg glaubende Einwohner eines umliegenden Ortes den sofortigen Einsatz des Volkssturmes forderten und keinesfalls Fladungen kampflos dem Feind überlassen wollten.
Am Mittwoch sahen sich die Truppen der Waffen–SS von den Amerikanern fast umzingelt und rückten unter Requirierung von Fahrzeugen in Richtung Sondheim ab. Dies wurde den Amerikanern mitgeteilt, die dann am Freitag, dem Freitag vor dem Weißen Sonntag, um 18 Uhr mit zwei Fahrzeugen vor der Wohnung des Bürgermeisters in der Oberfladunger Straße zur Übergabe der Stadt anrückten, während endlose Panzerkolonnen und Infanterie entlang der Hochrhönstraße auf den Funkspruch „Einmarsch oder Kampf“ warteten.
Der Einmarsch der Amerikaner ging ziemlich reibungslos vonstatten. Aus den Häusern hingen weiße Fahnen. Größere Zwischenfälle sind nicht bekannt. Eine sofortige Ausgangssperre von abends 6 Uhr bis morgens 6 Uhr wurde angeordnet. Die Ortschaften konnten in der Folgezeit nur mit besonderem Ausweis zu Feldarbeiten verlassen werden. Unaufhörlich durchzogen nachrückende Truppen die Stadt. Der Platz vor der Sparkasse war ein riesiges Treibstofflager und unterhalb des Buchenstrauches in Richtung Rüdenschwinden errichteten die Amerikaner ein Feldlazarett. Große rote Tücher, die überall auf übersichtlichen Flächen auslagen, zeigten den Flugzeugen wie weit die Bodentruppen bereits vorangekommen waren und vermieden Angriffe auf eigene Truppenteile.
Strom und Fernmeldeeinrichtungen fielen aus. Die Bevölkerung war von der Außenwelt, auch von den Nachbarorten, völlig abgeschnitten. Nur im Haus – Nr. 198 in dem sich die Fernmeldeanlagen der Amerikaner befanden und zu dem riesige Kabelstränge hin führten, war das Hausnetz an das Stromaggregat angeschlossen, so dass man sich zeitweise mittels eines Kleinempfängers über den Stand der Kriegsereignisse unterrichten konnte. Diese Fernmeldekabel, im Volksmund später als „Ami–Kabel“ bekannt, gab es in zwei verschiedenen Stärken. Sie wurden von den Amerikanern nach Beendigung der Kampfhandlungen liegen gelassen und dienten in der schlechten Zeit der Bevölkerung zu vielerlei Zwecken. Elektroleitungen wurden damit installiert, die Bauern banden ihre Kartoffelsäcke jahrelang damit zu und wer hatte seine Schuhe nicht mangels Schuhriemen damit geschnürt?
Mit der ersten Besatzung, die das RAD–Lager an der Pappelallee belegte und deren Captain Pettermann deutscher Abstammung war, konnten die Fladunger zufrieden sein. Die nachfolgenden Truppen waren weniger deutschfreundlich.
Das Leben fing langsam an sich zu normalisieren. Die Stadt mit ihrer Bevölkerung war noch einmal davongekommen an jenem Freitag vor dem Weißen Sonntag des Jahres 1945.