Am Anfang: Große Bedenken. Kann man Loriot auf der Bühne imitieren, ohne sich dabei lächerlich zu machen oder der subtilen Botschaften verlustig zu gehen? Loriot-Liebhaber unter den Freunden, die nahezu jedes Wort aus seinen Sketchen parat haben, verweigern sich einer möglichen Enttäuschung. Der Rezensent versucht es bei der Meininger Premiere der Eisenacher Inszenierung von „Loriots Dramatischen Werken“ mit Verdrängen. Und siehe da: Es klappt.
Dass es funktioniert, hat bei dieser Inszenierung von Sebastian Wirnitzer (Regie, Bühne und Kostüme) sehr viel mit dem komödiantischen Charisma Heinz Rennhacks zu tun, das der bekannte und beliebte Theater- und Filmschauspieler und gelernte Opernsänger auf der Bühne verbreitet. Rennhack strahlt kein Charisma aus, das seine Mitstreiter Christine Zart, Sophie Pompe, Jannike Schubert, Alexander Beisel, Carsten Kochan und Gregor Nöllen gleich in doppelter Ehrfurcht erstarren ließe. Im Gegenteil: Es reizt sie, ihre eigenen komödiantischen Fähigkeiten in Szene zu setzen, ohne den Respekt vor dem Original zu verlieren. Und so entsteht bei allen Künstlern – egal, ob sie Hoppenstedt, Müller-Lüdenscheidt, Dr. Köbner oder Fräulein Dinkel mimen – eine nahezu natürliche Symbiose aus Loriotfiguren, der eigenen Kunst und dem wirklichen Leben.
Ein Schlüssel zum Erfolg dieser Strategie liegt bereits im Begrüßungsakt Rennhacks: „Wir heißen alle Hoppenstedt“, stellt er die Truppe vor, und zeigt kategorisch auf einen Zuschauer: „Und du auch!“ – Was den Künstlern in den folgenden zwei Stunden und fünfzehn Minuten gelingt, ist sozusagen die Aktivierung des Hoppenstedt-Gens in uns allen. Das geschieht – unterbrochen von choreografisch witzig gestalteten Umbauarbeiten zu Johann-Strauss-Klängen –, das geschieht in den altbekannten Labormilieus zur Erforschung alltagsmenschlicher Abgründe: in der Badewanne, im Fernsehstudio, in der Skatrunde, vor dem Kleiderschrank, unterm Büroschreibtisch, bei der Eheberatung, am Restauranttisch, beim Anstandsunterricht, auf der Straße, in der Jodelschule, vor dem Fernseher, bei der Lieferung von Muttis Klavier. Und bei Erwin Lottemann zu Hause, als er die Allmacht des Mediums zu spüren bekommt. Selbst wenn die anfangs erwähnte Verdrängungsstrategie im Loriotkenner bei so viel Déja-Vu-Erlebnissen natürlich nicht wirklich funktionieren kann, möchte man jederzeit ausrufen: „Ja, die Typen kennen wir!“ Um gleich danach anzufügen: „Und zwar nicht nur aus dem Fernsehen, sondern aus dem richtigen Leben.“ Und eine Schrecksekunde später: „Hupps, wir heißen ja alle Hoppenstedt!“ – Wenn die Symbiose zwischen Original, künstlerischer Nachahmung und dem realen Leben so gut rüberkommt wie bei dieser Inszenierung, dann muss man nicht – wie der Nachbar zur Linken – Jakob heißen, zehn Jahre alt sein und Loriot noch nie im Fernsehen gesehen haben, um herzlich lachen zu können. Über die Hoppenstedts in den anderen und – wenn's niemand sieht – in uns selbst.
Die Karten sind sehr begehrt. Nächste Vorstellung in den Kammerspielen: 27. April, 20 Uhr. Kartentelefon, Tel. (0 36 93) 4 51 2 22 oder 4 51 13 7. www.das-meininger-theater.de