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Fladungen: Bäckerladen auf Rädern

Fladungen

Bäckerladen auf Rädern

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    Jede Woche beliefert Andrea Hippeli (Mitte) mit ihrem Bäcker-Bus die Bewohner der oberen Rhön mit Brot, Brötchen und einigen Waren des täglichen Bedarfs. Ihre Kunden sind vor allem die, die nicht mehr so mobil sind. Im Bild sucht sich die 79-jährige Martha Schlott aus Leubach etwas aus, beobachtet von Karl Weber.
    Jede Woche beliefert Andrea Hippeli (Mitte) mit ihrem Bäcker-Bus die Bewohner der oberen Rhön mit Brot, Brötchen und einigen Waren des täglichen Bedarfs. Ihre Kunden sind vor allem die, die nicht mehr so mobil sind. Im Bild sucht sich die 79-jährige Martha Schlott aus Leubach etwas aus, beobachtet von Karl Weber. Foto: Foto: Steffen Standke

    Andrea Hippelis Verhalten kommt schon etwas rüpelhaft herüber. Laut hupend fährt sie mit ihrem VW-Bus durch die Dörfer der oberen Rhön. Die Bäckersfrau aus Hausen darf das. Mit ihrem mobilen Brot- und Brötchenservice versorgt sie vor allem die älteren Bewohner. Es ist nicht der einzige Zweck ihrer Tour durch die Fladunger Ortsteile.

    Der Nebel hängt in Leubachs Straßen, kurz nach 9 Uhr. Die Kirche zeichnet sich schemenhaft ab, „Löbicher“ sind kaum zu sehen.

    Die Bäckersfrau hupt ausgiebig, dann stellt sie das Auto am Gemeinschaftshaus ab. Und wartet. Es dauert nur wenige Sekunden, dann kommen sie. Ein Mann in Handwerkerkluft, zwei Frauen mittleren Alters.

    Andrea Hippeli steigt aus. Sie braucht nur wenige Handgriffe, um ihr Gefährt verkaufsbereit zu machen. Kofferraumklappe auf, Brötchenzange und Taschenrechner bereitgelegt. Das Innere des Wagens zieren Einbauten, darauf ein Blech, belegt mit Backwaren. Brot und Brötchen liegen in Stiegen; dazwischen klemmt die Kasse. An einem Haken hängen Papiertüten. Hippeli hat den VW-Bus vor der Fahrt am Stammsitz der Bäckerei in Hausen bestückt.

    Der Mann wickelt seinen Kauf ab und geht wieder, die Damen haben Gesprächsbedarf. Das gesellschaftliche Ereignis vom Wochenende wird diskutiert. Schnell wird klar, dass Andrea Hippeli auf ihrer Tour pro Station mindestens fünf Minuten zum Tratschen einplanen muss. Doch das gehört für sie zum Kundenservice.

    Nächster Halt ein paar Meter die Dorfstraße hinauf. Die Kunden hier sind um einiges älter. Karl Weber, 84, seine Frau Hildegunde und die 79-jährige Martha Schlott kennen sich ihr Leben lang. Und Andrea Hippeli kennt sie. Seit 1992 betreiben sie und ihr Mann Dieter den Bäckerei-Service. „Die älteren Herrschaften können noch viele Geschichten von früher erzählen. Das finde ich immer spannend.“

    Eine Geschichte weiß Hippeli selbst noch. Im Haus gegenüber wurden einst zwölf Kinder geboren, drei davon Zwillinge. In der heutigen Zeit kaum noch vorstellbar.

    Martha Schlott schaut hinter die Brot- und Brötchenkisten. Dort lagern Mehl, Zucker, Milch, Käse, Marmelade. Hippelis Bus gleicht einem kleinen Tante-Emma-Laden. Seit mehr als zwei Jahrzehnten besitzen Orte wie Leubach, Brüchs, Sands und Oberfladungen keine eigene Nahversorgung mehr. Der nächste Supermarkt (und einzige in der Umgebung) steht in Fladungen. Da freuen sich vor allem die Älteren, wenn sie Dinge des täglichen Bedarfs von Hippeli ans Haus bekommen.

    Ihr Vorgänger versorgte früher die Läden in den einzelnen Dörfern, bis die nach und nach dicht machten. Dann fuhr er selbst die Orte an. Dieter und Andrea Hippeli übernahmen diesen Service, liefern jeden Werktag, außer montags.

    Die Hausenerin verabschiedet sich und biegt in den Pfützweg ein. „Da wird jetzt keiner kommen; hier wohnen vor allem jüngere Leute.“ Die meisten Leubacher – und auch Bewohner der umliegenden Orte – arbeiten in Zentren wie Mellrichstadt und Bad Neustadt, sind tagsüber selten daheim anzutreffen. Früher, erzählt die Hausenerin, versorgten die Großeltern ihre Kinder und Enkel mit Backwaren gleich mit. Das hat stark nachgelassen, seitdem die Generationen nicht mehr unter einem Dach wohnen. Zurück bleiben die Alten, nicht Mobilen.

    Immerhin: Eine Stammkundin kann Andrea Hippeli in dieser Gegend noch anfahren. Der älteren Dame liefert sie immer die Zeitungen vom Wochenende. Dafür dankt sie überschwänglich: „Gut, dass es die Bäckerin noch gibt. Wer weiß, wie lang sie noch kommt.“

    An der Rhönstraße hupt Hippeli Paula Wetzel heraus. Die 88-Jährige wohnt mit ihrer 90-jährigen Schwester in einem Haus, ist absolute Stammkundin. Jeden Tag wünscht sie der Bäckersfrau eine „Gute Fahrt“.

    Von Leubach führt die Tour – einen kurzen Abstecher zu einem Kunden in Fladungen inklusive – nach Oberfladungen. Und zu einem Problem. Zwei Kunden fragen sich, warum gegen zehn Uhr die Kirchenglocke außerplanmäßig geläutet hat. Hippeli kann es nicht sagen.

    Die Dame beim nächsten Halt stellt dieselbe Frage. Wieder Schulterzucken. Kurt Grohmann, der direkt unterhalb der Kirche wohnt, weiß eine Antwort. „Offensichtlich wurde das Geläut getestet.“ Jedenfalls habe er den neuen Küster vor Ort gesehen. Andrea Hippeli erfährt viel von ihren Kunden – und gibt dieses Wissen weiter.

    Auf dem Hinweg hat die Bäckersfrau Rüdenschwinden ausgelassen. Jetzt fährt sie den Fladunger Ortsteil an. Auch hier erwartet sie sich nicht viel Kundschaft. Viele der Älteren sind schon gestorben. Andrea Hippeli nimmt das immer mit, wenn ein Kunde geht. Sie besucht auch die Beerdigungen.

    Keine berührte sie so wie die einer Frau aus Leubach. Die mit den zwölf Kindern. „Als sie noch fit war, kam sie immer zu mir heraus. Als das nicht mehr ging, habe ich ihr die Sachen durchs Küchenfenster reingereicht. Und als sie bettlägerig wurde, bin ich ins Haus, habe ihr aus dem Kühlschrank geholt, was sie brauchte, und mal 'nen Scheit Holz nachgelegt. Sie war wie eine Oma für mich.“

    Über die Eisgrabenbrücke steuert Hippeli die heimische Bäckerei in Hausen an. Es ist 11.30 Uhr. Viel verdient hat sie an diesem Tag nicht, obwohl es schon die zweite Tour ist. Die erste führte sie ab 7.15 Uhr zum Hotel Sonnentau und (zum ersten Mal) nach Oberfladungen. Normalerweise beliefert die Bäckerei auch andere touristische Betriebe wie die Sennhütte, die Pension Link oder die Weihersmühle. Doch derzeit steigen dort wenig Gäste ab. Der Bäckerservice wird seltener benötigt.

    Bevor das Freizeitheim der Würzburger Blindeninstitutsstiftung zur Asylunterkunft umfunktioniert wurde, belieferten die Hippelis auch dieses. Doch die Asylsuchenden versorgen sich selbst. Dankbare Abnehmer auf Runde eins sind aber die Werkstattleute des Autohauses Straus.

    Andrea Hippeli stellt den VW-Bus an der Bäckerei ab, lädt die leeren Behälter aus. Jetzt noch Mittagessen kochen; dann hat sie ihr Werk für diesen Tag getan. Wenn Zeit bleibt, legt sie sich hin.

    Die Hausenerin braucht die Ruhe. Ist sie doch seit 3.30 Uhr auf den Beinen, hat Frühstück gemacht und die Auslagen im Verkaufsraum befüllt.

    Die Bäckerei öffnet mittwochs bis freitags auch am Nachmittag; sonntags beliefern die Hippelis die touristischen Betriebe.

    Montags müssen die Kunden dafür auf den Lieferservice verzichten. „Da haben die Leute noch Brot und Brötchen vom Wochenende.“ Dementsprechend setzt die Bäckersfrau an Samstagen am meisten um. Trotz allgemein zurückgehenden Geschäftes: Den Fahrdienst will sie auf jeden Fall aufrecht erhalten. Einmal die Woche steuert Andrea Hippeli auch Brüchs an, zwei Mal Stetten; ihr Mann beliefert drei Mal Roth. Dieter Hippeli: „Vom Laden in Hausen allein könnten wir nicht leben. Dazu ist das Dorf zu klein.“ Die auswärtigen Kunden sind ihm und seiner Frau sehr wichtig. Umgekehrt aber auch. Da lässt man sich doch gerne mal heraushupen.

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