Ach! Männer, stellt euch vor, ihr kommt nach getanem Tagwerk als Helden der Arbeit nach Hause und erfahrt, noch bevor ihr ins eheliche Schlafgemach schreitet, dass ihr bereits drin seid und euch in höchster Lust mit der Gattin beschäftigt. Offensichtlich hat sich ein anderer Mann eingeschlichen und gibt vor, ihr zu sein. Bevor ihr etwas Unrechtes tut, besucht bitte Kleists „Amphitryon“ in den Meininger Kammerspielen.
Das, was heute in der Zeitungsrubrik „Vermischtes“ als „Ehetragödie im Schlafzimmer“ abgehakt wird, kann man auch auf wesentlich höherem Niveau kultivieren. Der gestrenge Liebesidealist Kleist macht aus der Liebesverwirrung des thebanischen Feldherrn Amphitryon und seiner Gattin eine tiefsinnige Parabel. Heute würde man das darin enthaltene Kernthema salopp mit Richard David Prechts Frage umschreiben: „Wer bin ich? Und wenn ja: wie viele?“ Das Genialste an Kleists Interpretation ist jedoch nicht die Verdopplung des Ichs. Es ist die Verdopplung des Themas auf zwei soziale Ebenen. Die erst macht das Stück zum Lustspiel. Während sich der Kriegsheld auf das Eheweib Alkmene freut und seinen Diener Sosias mit der Botschaft der baldigen Ankunft des Gatten vorausschickt, vergnügt sich Göttervater Jupiter in Gestalt Amphitryons mit der treuen Alkmene.
Zu allem Übel gibt es zu Hause auch Sosias doppelt. Merkur hat seine Gestalt angenommen und verweigert dem Diener den Einlass in den Palast und damit auch den Zugang zu seinem Weib Charis, der Dienerin Alkmenes. - Wie schlau von Kleist! Während wir leicht angestrengt dem diffizilen Selbstfindungsprozess Amphitryons folgen und das Leid seiner Gattin auf hohem Niveau erspüren, belustigen wir uns gleichzeitig am Umgang des Volkes mit der Verdopplungskiste. Aus Gründen des Seelenheils akzeptiert Sosias nämlich bald sein ungeliebtes Alter Ego und wird damit in Gestalt des ewigen Komödianten Renatus Scheibe zum Publikumsliebling des Abends und zum nützlichen Gebrauchstherapeuten, an dem selbst gehörnte Ehemänner ihre Freude haben dürften.
Regisseur Matthias Kniesbeck und seine Ausstatterin Monika Gora setzen das Stück ohne Brimborium in Szene: Nackter marmorner Vorhof, mittendrin ein Wasserbecken. Ein bühnenbreiter Vorhang als Andeutung der Palastfassade. Und wunderbare kleine Inszenierungsideen. Ansonsten nichts als Spiel göttlicher und menschlicher Gewalten im faszinierenden Sprachduktus Kleists. Die Schauspieler passend in ihren Rollen und mit großer spielerischer Leidenschaft: Anja Lenßen als Alkmene, Benjamin Krüger als Amphitryon, Ingo Brosch als Jupiter und Matthias Herold als Merkur, Natascha Clasing als Charis und Renatus Scheibe als Sosias. In eine kleine feine Nebenrolle als nobler Bürger Thebens schlüpft Ulrich Kunze.
Wie nahe uns das Spiel kommt, könnte sich zeigen, wenn Sosias die Bürger Thebens – in diesem Fall die Zuschauer – auffordert: „Auf! Stürmt das Haus jetzt, wenn ihr wollt so gut sein, so finden wir den Kohl noch warm!“ Strömte denn tatsächlich aus dem Palast der Duft von warmen Kohl respektive heißen Würstchen: Die Bühne wäre nicht sicher. Dem Volke zur Freude und zur Erhebung des Leibes. So lange die Fleischtöpfe gefüllt sind, lässt der Held der Arbeit den göttlichen Liebhaber links liegen. Wenn er nicht in der Rubrik „Vermischtes“ landen will.
Weitere Vorstellungen: 14., 19. und 27. Oktober, jeweils 19.30 Uhr, 16. Oktober um 19 Uhr. Kartentelefon: Tel. (0 36 93) 45 12 22 oder 45 11 37. www.das-meininger-theater.de