Ein nicht ganz unbedeutender Satz, den Adriana Altaras – Regisseurin, Schauspielerin, Autorin, Forscherin und Entdeckerin – in einem Interview über ihren Meininger Theaterzirkus von sich gibt: „Keiner wusste, wohin die Reise eigentlich gehen würde, aber alle haben sich wahnsinnig gut auf diese Arbeit eingelassen.“ Ein wichtiger Satz, weil er treffend den Eindruck wiedergibt, den die Zuschauer gewinnen, wenn sie in diesem Theaterzelt am Volkshausplatz sitzen und mit offenem Mund, staunenden Augen, mit Gelächter und Geklatsche das Geschehen in der Manege (Bühne und Kostüme: Helge Ullmann) verfolgen.
Irgendwie können sie sich schwer entscheiden: Sind sie im Zirkus oder im Theater, bei dieser schrägen Revue, die sich „Weihnachten im Zelt“ nennt, aber erfreulicherweise kein einziges Mal Weihnachtsstimmung verbreitet, sondern nichts Geringeres als Ganzjahresheiterkeit. Acht Schauspieler, ein echter Artist, drei Zirkusdiener und zwölf Musiker bieten in zweieinhalb Stunden eine Show, bei der – wie von der Regisseurin gewünscht – tatsächlich ein Funke überspringt.
Erstens, weil man spürt, dass es den Akteuren sichtlich Spaß macht, das Programm mit großer Selbstironie und ohne Angst vor Ausrutschern zu präsentieren. Zweitens, weil das Programm offensichtlich „im Entstehen“ entstanden ist, also die spontane Kreativität der Künstler in die Handlung einbezieht. Drittens, weil das kleine Orchester über der Manege (Musik: Wolfgang Böhmer, musikalische Leitung: Gregor Rot) mit Verve und Empathie die Szenen begleitet und musikalisch zusammenfügt. Und viertens (genauso wichtig wie erstens), weil eine einzigartige Stimmung entsteht, die zwei Atmosphären zu einer verschmelzen lässt: die des Zirkus und die des Theaters.
Selbst wenn die Lipizzaner samt Einhorn für jedermann ersichtlich Menschen sind, glaubt man diese eigenartige Mischung aus Sägemehlduft und Pferdegeruch zu schnuppern. Die armen, höchst individuellen Geschöpfe werden von Zirkusdirektor Renatus Scheibe (souverän komödiantisch wie eh und je) durch die Manege getrieben, reflektieren und parlieren ganz nebenbei über ihr Schicksal als geknechtete Wesen, um sich am Ende gegen ihren Dompteur zu verbünden.
Der dramaturgische Faden wird durch eine pfiffige, wenn auch naheliegende Idee geknüpft: Was geschieht, wenn die Theaterkünstler mitten in der schönsten Hamletvorstellung von der Bühne des Großen Hauses verscheucht werden, weil die Bauarbeiter bereits Mauern versetzen? Kein Wunder, dass selbst der Geist von Hamlets Vater die Krise kriegt und ruhelos durchs Zirkuszelt gespenstert, wo die ausquartierte Theatertruppe versucht, sich mit allerlei Schabernack über Wasser zu halten, mit Revuetanz (Choreographie: Dimas Cashinha) mit Feuerakrobatik, Clownerie, Zaubertricks, Pudeldressurakten, ernstem und weniger ernstem Gesang, mit Schlangenbeschwörung, Gedichtsrezitationen und noch viel mehr.
Und so entdecken die Zuschauer, neben den bekannten Qualitäten, auch neue künstlerische Talente bei den Schauspielern Renatus Scheibe, Florian Beyer, Evelyn Fuchs, Liljana Elges, Matthias Herold, Lukas Spisser, Harald Schröpfer und der Mezzosopranistin Ute Dähne. Dass Liljane Elges das Feuer zähmt, Florian Beyer Frauen verschwinden lässt und Harald Schröpfer und Lukas Spisser oberösterreichisch blödeln können, wusste man bisher nicht.
Wer dennoch hochprofessionelle Akrobatik vermisst, dem kann der Artist Steffen Rösner unter der Zirkuskuppel zeigen, was es heißt, am seidenen Seil zu hängen. So hüpfen, springen, singen, tanzen, tricksen und firlefanzen die Künstler an diesem Abend virtuos aber nicht allzu ernst zwischen Wirklichkeit und Magie, zwischen Kunst und Nonsense, zwischen Oben und Unten und zwischen Diesem und Jenem. Und wenn die Balance zwischen den Welten einmal nicht gehalten wird, braucht der Zirkusdirektor nur drei Worte in die Runde zu brüllen: „Quatscht nicht. Zaubert!“ Mehr davon.
Die nächsten Vorstellungen: 3. und 4. Dezember, jeweils 19.30 Uhr, 5. Dezember, 16 Uhr, 8., 9. und 10. Dezember, jeweils 19.30 Uhr. Vorstellungen bis 26. Dezember. Kartentelefon: Tel. (0 36 93) 451 222 oder 451 137. Am Volkshaus stehen keine Parkplätze zur Verfügung.
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