Die Anzahl fettleibiger Menschen hat in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Das Robert-Koch-Institut hat in einer Studie neue Zahlen der Männer und Frauen mit Übergewicht und Adipositas veröffentlicht. Demnach sind 67,1 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen in Deutschland übergewichtig, 23,3 Prozent der Männer und 23,9 Prozent der Frauen sind mit einem BMI von über 30 adipös, also fettleibig. Kliniken und Pflegende stellt das vor personelle, technische und materielle Herausforderungen.
Die Kreisklinik in Bad Neustadt hat sich auf schwergewichtige Patienten unter anderem mit drei neuen OP-Tischen eingestellt, die bis 360 Kilo belastbar sind. „Das sind Schwerlasttische“, sagt stellvertretender Geschäftsführer Klaus Zernentsch. Sie werden nicht manuell, sondern elektrisch bedient - eine wesentliche Entlastung für die Pfleger. Zudem haben sie eine spezielle Auflage zur Druckentlastung.
Die Erfahrungen der Chirurgie mit Adipositas-Patienten schildert Professor Hubert Scheidbach, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie. Fettleibige Patienten sind anfälliger für Komplikationen, schlechter mobilisierbar und haben verstärkt unfallchirurgische Begleiterscheinungen. Auch Ultraschall und CT-Untersuchungen sind schwierig.
Klaus Zernentsch ergänzt, dass die Anforderungen an die Geräte höher sind. Oft seien die Apparate für fettleibige Patienten zehn Mal so teuer wie für Normalgewichtige. „Wir haben uns Gedanken auf eine Spezialisierung gemacht“, sagt Zernentsch. Dies wurden aus Kostengründen aber verworfen.
Auch wenn in der Kreisklinik stark adipöse Patienten selten sind, hat sich der Anteil der Patienten, die über 150 Kilo wiegen, deutlich zugenommen. „Der überbreite Toilettenstuhl wird häufig frequentiert“, erläutert Pflegedienstleiterin Sabine Wenzel-Geier. Auch bei der Toilettensitzerhöhung merke man, dass die Nachfrage da ist. Zusätzlich zu den neuen Pflegebetten, die bis 250 Kilo belastbar sind, hat die Kreisklinik vier spezielle Betten gekauft, in der Anschaffung doppelt so teuer, wie normale Pflegebetten. Bei ihnen kann man das Fußteil zur Seite schieben, dass sich der Patient ohne Verlassen des Bettes aufsetzen kann.
„Der Anteil der krankhaft Fettleibigen nimmt zu, gerade bei Kindern und Jugendlichen. Zwischen Frauen und Männern gibt es kaum Unterschiede“, erklärt Professor Scheidbach. „Im Allgemeinen sind schwergewichtige Patienten sensibler“, fasst Wenzel-Geier zusammen. Sie spricht die körperliche Konstitution an, es können beispielsweise leichter Komplikationen wie Druckgeschwüre oder Lungenentzündungen auftreten, aber auch der Umgang mit schwergewichtigen Patienten muss geschult werden: Man dürfe nicht böse über die Patienten reden.
„Wichtig ist, dass wir die Patienten vorher sehen, um sie einschätzen zu können.“
Dr. Michael Dinkel, Chefarzt der Klinik für Anästhesie
Dr. Michael Dinkel, Chefarzt der Klinik für Anästhesie in der Herz- und Gefäßklinik des Rhön-Klinikums schätzt, dass die Hälfte der Patienten übergewichtig ist - davon zehn bis 20 Prozent „deutlich übergewichtig“. Bei Operationen sind diese Patienten besonders gefährdet. Es kann Auswirkungen auf die Atemfunktion geben, auch der Stoffwechsel könne beeinträchtigt werden, erklärt der Anästhesist. Die Risiken sind laut Dinkel aber unwesentlich erhöht und gut steuerbar: „Wichtig ist, dass wir die Patienten vorher sehen, um sie einschätzen zu können.“ Viele haben Angst vor der Narkose, insofern es wichtig ist, die Patienten psychologisch zu führen.
Auch die Herz- und Gefäßklinik ist bei den medizinischen Hilfsmitteln auf die übergewichtigen Patienten eingestellt. „Es gibt extra breite Betten und wir haben zehn Spezialbetten, die wir in der Bettenzentrale bestellen können“, sagt Pflegedienstleiterin Susanne Helm. Ein Patienten-Lifter kann Patienten mit einem Gewicht bis 220 Kilo vom Sitz in den Stand befördern.
Die Entscheidung, einen übergewichtigen Patienten zu operieren, liegt beim Chirurgen, sagt Professor Anno Diegeler, Chefarzt der Klinik für Herzchirurgie. Man müsse die Grunderkrankung und das Risiko berücksichtigen, eine andere Möglichkeit der Therapie oder eine andere Operationsmethode anwenden und spricht dabei minimal-invasive Operationsverfahren an. „Die neuen Techniken, die eigentlich für ältere Patienten gedacht sind, eignen sich auch für Adipositas-Patienten.“
Mit einem Gewicht bis 140 Kilo sei es in Ordnung zu operieren, ab 160 Kilo muss der Operateur eher mit Komplikationen rechnen, so Diegeler. Durch eine Verfettung des Herzens können Operationen technisch schwieriger werden. Der Herzchirurg sagt, dass stark übergewichtige Patienten zwar mühsamer in der Pflege sind, aber das Ergebnis nicht schlechter zu erwarten sei. „Patienten mit leichtem Übergewicht haben in der Herzchirurgie die besten Überlebenswerte.“
Ein ausgeprägtes Übergewicht bringt meist noch andere Krankheiten, wie Schlafapnoe oder Herzrhythmusstörungen, mit sich, sagt Professor Sebastian Kerber, Chefarzt der Klinik für Kardiologie. Besonders der Anteil der übergewichtigen Jugendlichen sieht Kerber besorgniserregend. „Der Anteil der Diabetiker und Übergewichtiger wird extrem steigen.“
Dr. Sieglinde Spörl-Dönch, Chefärztin der Frankenklinik, kennt die Probleme adipöser Patienten aus der Rehabilitation. Sie brauchen neben medizinischen Hilfsmitteln, wie Spezial-Rollatoren und Rollstühlen einen höheren pflegerischen Aufwand.
In Zukunft wird es mehr Übergewichtige geben, die „das Gesundheitssystem sprengen werden“, ist sich die Chefärztin sicher. Bis 2020 werden 25 Milliarden Euro in die Folgebehandlung von Übergewichtigen investiert werden, rechnet Spörl-Dönch vor, „und es ist kein Ende absehbar.“
Bisher ist Übergewicht an sich noch keine Krankheit, sondern nur deren Folgeerkrankungen. Allein 2009 waren 21 000 Patienten in der Reha wegen ihres Gewichts – und der Anteil der jungen Patienten nimmt stetig zu. „Wir geben viel Geld für die Kranken aus, aber wenig Geld für die Prävention. Dabei ist keine Pille ist so effektiv wie Sport, um sich gesund zu machen“, ergänzt Professor Kerber. „Wir bekommen das Problem nicht gelöst“, resümiert Spörl-Dönch. Es sei denn, man dreht die Ernährung auf den Stand der 50er Jahre zurück. Spörl-Dönch und Kerber machen auch deutlich, dass das Gewicht vom Bildungsniveau abhängt: Knapp 32 Prozent der Frauen mit Hauptschulabschluss bringen zu viel Gewicht auf die Waage, aber nur zehn Prozent der Frauen mit Abitur.
„Die Rahmenbedingungen für schwergewichtige Patienten sind schwieriger.“
Richard Rockenzahn vom Roten Kreuz
Mit schwergewichtigen Patienten hat auch das Rote Kreuz immer mehr zu tun. „Mit Patienten bis 100 Kilo kommt man zurecht“, sagt Richard Rockenzahn vom Roten Kreuz. Danach könne es schon schwierig werden, den Patienten mit der normalen Besetzung in den Rettungswagen zu transportieren, besonders wenn sie Treppen herunter getragen werden müssen. Deshalb hat der Kreisverband Rhön-Grabfeld für fünf Rettungswagen Rettungsstühle mit Kettenraupen angeschafft, damit die Patienten nicht mehr freitragend die Treppe herunter getragen werden müssen.
Die Rettungstragen dürfen mit Patient maximal 228 Kilo haben, dabei sind sie schon leer 63 Kilo schwer. Wenn schwerere Patienten transportiert werden, muss der Schwerlast-Rettungswagen in Schweinfurt angefordert werden. Früher habe man auch unter Missachtung der Regeln arbeiten müssen, weil es keine Hilfsmittel für schwergewichtige Patienten gab, so Rockenzahn. „Die Rahmenbedingungen für schwergewichtige Patienten sind schwieriger“, erläutert er. So sei etwa manche Reanimationshilfe nicht einsetzbar.
Seit 2010 ist der Schwerlast-Rettungswagen im Einsatz, Patienten mit mehr als 150 Kilo können so problemlos transportiert werden. „75 bis 80 Patienten bis 160 Kilo fahren wir im Jahr“, schätzt Florian Bieber, Leiter des BRK-Rettungsdiensts in Schweinfurt. Tendenz steigend. „Es ist gut, dass das Fahrzeug da ist. Es ist für den Patienten schonender, aber auch für uns Rettungskräfte“, sagt Rockenzahn.