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Das grausame Ende einer Kindheit

Bad Neustadt

Das grausame Ende einer Kindheit

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    "Er war nicht sehr nett", meint Hanna und gesteht gleich hinterher: "Ich bin nicht so gern zur Schule gegangen". Für ihre Schwester Kay, die heute in Liverpool lebt, ist der Unterricht nicht so negativ behaftet, aber in der Schilderung der Begleitum- stände sind sich die beiden einig.

    Für die Kinder der jüdischen Familie Klein, die aus Mittelstreu nach Bad Neustadt gezogen war, gab es keine Alternative, als gemeinsam mit etwa zehn anderen Mädchen und Jungen die jüdische Schule zu besuchen. Alle anderen Bildungsmöglichkeiten waren ihnen in den 30er Jahren verschlossen.

    Bei der Begegnung mit der Vergangenheit betreten die beiden Damen in der ehemaligen Schule, die heute in Privatbesitz ist, auch einen Raum, in den die Synagoge schon einige Monate vor der "Reichskristallnacht" 1938 "umgezogen" war.

    Mit fröhlichen Augen streifen Hanna und Kay, die eigentlich Käthe hieß, anschließend durch die Gassen der Altstadt. "Da haben wir gewohnt", steuern sie die Spitalgasse 3 an, die damals dem Juden Theo Stern gehörte. Von hier aus kamen Hanna, Käthe und ihre drei Geschwister eine Woche vor Kriegsbeginn mit dem letzten Kindertransport aus Deutschland raus nach England.

    Ermöglicht hatte das der Engländer Maurice Baron, der Kontakte zu Vater Klein hatte. Baron übernahm die Kosten für die Reise und kam später auch für den Internatsbesuch der Kinder - außer den Kleins auch noch anderer - auf. Diese großartige Chance ergab sich, weil sich England bereit erklärt hatte, 10 000 jüdische Kinder aufzunehmen.

    Für Hanna und Käthe hatte sich das Tor zum Leben aufgetan, aber ihre Eltern fanden keinen Weg aus Bad Neustadt, sie wurden am 23. April 1942 nach Polen deportiert und endeten im Konzentrationslager Izbica. Gewissheit darüber erhielten die Töchter erst nach vielen Jahren bei einem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Dort fanden sie in einem Buch die Namen ihrer Eltern.

    Noch heute erhalten sind die erschütternden Briefe an die in England lebenden Kinder, in denen sich die Eltern kurz vor ihrem Abtransport in eine für sie ungewisse Zukunft von ihnen verabschieden.

    Es ist nicht das erste Mal, dass Hanna und Käthe an diesem Punkt stehen, an dem ihre Kindheit so abrupt endete. Bitterkeit kommt bei ihnen nicht auf, im Gegenteil, sie entdecken begeistert die Kellerklappe, auf der ihr jüngerer Bruder Walter immer wieder heruntergerutscht ist und sie zeigen, wo ihr Vater die Ledermäntel genäht hat.

    Überhaupt genießen es die beiden Damen, dass die Häuser in Bad Neustadt äußerlich so geblieben sind wie sie waren, das macht es ihnen leicht, die eigenen Spuren wieder zu finden. Die führen sie auch zum Schwimmbad, in das Hanna gar zu gerne gegangen wäre - aber als jüdisches Mädchen durfte sie es nie betreten, genauso wenig wie das Kino, dessen Tür für sie verschlossen blieb.

    Ihren Weg in die alte Heimat begleitet der Wunsch, etwas zum Frieden beitragen zu können, mit den jüngeren Generationen ins Gespräch zu kommen und gegenseitiges Verstehen herzustellen. Schwierig wird es für sie nur, mit den Menschen umzugehen, die gemeinsam mit ihnen groß wurden und sie damals vollkommen ausgrenzten.

    Es war ein ganz besonderes Anliegen, das Hanna und Käthe, beide fast 80 Jahre alt, diesmal aus Seattle/Washington und Liverpool in England in den beschaulichen Rhön-Grabfeld-Kreis führte. Auf dem jüdischen Friedhof in Unsleben sind die Gräber ihrer 1939 verstorbenen Großmutter Babette Klein und deren Schwägerin Fanny. Kein Ort wäre wohl geeigneter, an all die anderen Familienangehörigen (nicht nur aus dem Landkreis) zu erinnern, die dem Holocaust zum Opfer fielen.

    Die einheimische Künstlerin Eva Warmuth wird eine Gedenktafel anfertigen mit den Namen aller Familienmitglieder, die in verschiedenen Konzentrationslagern umkamen. Nach über 60 Jahren ehren Hanna und Käthe mit diesem Grabmal nicht nur ihre Verwandten, sondern erhalten die Geschichte lebendig.

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