Gut ein Drittel der Ehen wurde im Jahr 2014 geschieden, im Durchschnitt nach 14 Jahren und acht Monaten. Einige der Anwesenden haben diese Zeitspanne, dem Geplauder nach zu urteilen, anscheinend schon mehr als zweimal mit dem Ehepartner überstanden. Zielgruppe der Veranstaltung sind hauptsächlich Partner und Angehörige von seelisch Erkrankten oder Pflegekräfte. Im Vortragssaal der Psychosomatischen Klinik sitzen aber auch Paare, die beispielsweise seit 35 Jahren verheiratet sind, deren Kinder schon das Nest verlassen haben und die jetzt frischen Wind in ihrer Beziehung brauchen.
Wer nur pünktlich gekommen ist, hat schon keinen Platz mehr gefunden. Bereits einige Minuten vor Beginn ist der kleine Saal gerammelt voll, und rund 20 Leute verfolgen die „Bürgervorlesung“ des Rhön-Klinikum-Campus sogar auf dem Gang. Das Thema des Vortrags „Gelingende Partnerschaft als heilsame Kraft bei seelischen Erkrankungen“ am Dienstagabend findet großen Anklang bei Jung und Alt.
In insgesamt 23 Veranstaltungen der Vortragsreihe referieren Experten das ganze Jahr über zu Themen rund um die Gesundheit. Oberarzt, Paar- und Sexualtherapeut Guido Loy gibt den Zuhörern der dritten Vorlesung ein „8-Punkte-Lernprogramm“ mit an die Hand, mit dem Ziel, dass die Leute „wissen, was sie in ihren Partnerschaften falsch machen, wenn sie nach der Vorlesung rausgehen“. Eine Stunde würde jedoch nicht reichen, um eine Partnerschaft zu retten, scherzte der Referent.
Bindung ist ein Grundbedürfnis
Bindung sei auch heute noch ein Grundbedürfnis der Menschen, gleich nach Schlafen und Essen. Loy geht sogar noch weiter und ernennt die gelingende Partnerschaft zur „Keimzelle psychischen Wohlbefindens“. Des Weiteren hätten Verheiratete weniger Gesundheitsprobleme und lebten länger, woraufhin der Paartherapeut relativiert: „Heiraten, um länger zu leben, reicht allerdings auch nicht.“ Es komme vielmehr auf die Qualität der Partnerschaft an.
Weshalb heutzutage viele Beziehungen trotzdem scheitern? Am zu hohen Anspruch an den Partner soll es liegen. Und schon Rainer Maria Rilke gesagt hat: „Nicht ist die Liebe gelernt“. Trotzdem stellt Loy den Zuhörern ein 8-Punkte-Programm vor, bei dem auch das Publikum aufgefordert wird, mitzudenken.
Zu allererst gilt es demnach, das Positive am Partner zu betonen, denn was am Anfang mit der rosaroten Brille vielleicht fasziniert, wird mit der Zeit oft als nervig empfunden. So werden beispielsweise der selbstbewusste Partner dann zum Egoist und der bedächtige zum Langweiler. Drei positive Dinge sollten sich die Anwesenden dann überlegen, wobei vielen auch immer ein „Aber“ oder Ausnahmen in den Kopf kamen.
Zweiter Punkt ist der Ausgleich des Gebens und Nehmens, denn nicht nur bei Erkrankten gilt das Motto: zu viel gut gemeinte Unterstützung führt zu Minderwertigkeitskomplexen. „Räume und Intimität schaffen“ stellt Punkt drei dar. Mit Intimität meint Guido Loy allerdings nicht die sexuelle Nähe, sondern hier die „Herzensverbindung“.
Ein Paar spreche rund vier Minuten pro Tag über sich als Paar, dieser Fakt wurde mit großem Erschrecken vom Publikum anerkannt. Und eben diese Zeit gilt es, auszudehnen.
Alltagsrituale
Auch Alltagsrituale sollte man einführen und pflegen (Punkt vier). Verletzungen sind unvermeidbar, der Versöhnungsprozess aber umso wichtiger. Um Verzeihung bitten und verzeihen lernen, das seien die Schlüssel, um eine Schieflage der Beziehung zu verhindern. Außerdem sollte man Krisen auch als Entwicklungschance sehen und die Krise gemeinsam hinterfragen. Als Punkte sieben und acht wird die Suche nach einem gemeinsamen Lebenssinn genannt und die Bewältigung der eigenen Vergangenheit, denn ohne Entwicklung wird der Unterschied zwischen den Partnern oft zum Problem.
Kurz und knackig gibt Oberarzt Loy den Zuhörern neuen Input und schließt mit dem Fazit ab: (Seelische) Erkrankungen eines Partners müssen als gemeinsames Problem und als gemeinsame Aufgabe gesehen werden. Beide Partner leiden und beide können zur Bewältigung beitragen.
Die nächste Bürgervorlesung findet am 7. Februar um 19 Uhr in der Rhön-Kreisklinik Bad Neustadt statt. Thema: „Reizdarmsyndrom – das frustrierende Leiden“. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht nötig.