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BAD NEUSTADT: Deppen-Katharsis und ein Siechen-Bus

BAD NEUSTADT

Deppen-Katharsis und ein Siechen-Bus

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    Wenn die vielen Mittdreißiger und Mittvierziger in der Bad Neustädter Stadthalle selbst zu Greisen geworden sind, deren Grünwaldsches Zerrbild sie so zum Lachen gebracht hat, dann dürfte ein halbes Dutzend solcher Busse die Fahrt nach Biesl- oder Bunzenhardt am nördlichen Zipfel Oberbayerns antreten und in seligen Erinnerungen schwelgen.

    Günter Grünwald also, das Gesicht der Freitags-Comedy im Bayerischen Fernsehen, war in Bad Neustadt mit seinem Programm „Glauben Sie ja nicht, wen Sie da vor sich haben“. Es hätte einen beliebigen anderen Titel haben können, denn recht eigentlich lässt sich das Programm nicht in Begriffe fassen.

    Es ist so namenlos wie der Irrsinn, der aus den wabernden Nebeln der Donau bei Ingolstadt in die Windungen des Grünwaldschen Geistes steigt. Der bajuwarische Kosmos menschlicher Mittelmäßigkeit, den Grünwald in gut zwei Stunden seines Programms schafft, hat keinen Anfang und kein Ende.

    Vom Belanglosen zum Wahn

    Es fängt mit Harm- und Belanglosigkeiten an, mit langweiligen Phrasen aus der spießbürgerlichen Existenz. Aus ihnen entwickelt sich unmerklich oder unvermittelt ein Geschichtchen voller Aberwitz, viel öfter aber noch voller Derbheit. Zum Beispiel in jener Episode von der Familienfeier, die zuvor als Ort der Erholung, als idyllischer Rückzugsraum geschildert wird. Freilich ist Onkel Hans gegen Mitternacht so betrunken, dass er schamlos über die Krankheit seiner Frau berichtet und über eine völlig unsinnige Total-Operation, in der der menschliche Leib zu einem Schlachtfeld für einen von Gier überwältigten Arzt wird. Der Splatterfilm-Horror hält Einzug im Familien-Herrgottswinkel.

    Schimpfen als Seelen-Reinigung

    Günter Grünwald dürfte der erste Kabarettist sein, der die oberbayerische Derbheit, das von Flüchen und Tiraden durchsetzte Idiom, als süddeutsche Variante der Katharsis, der seelischen Reinigung durch das Bühnengeschehen, erkannt hat. Denn Grünwalds Personal steht am Ende immer nackt und unbehaust da und mit nichts als dem vergänglichen Leib als Hab und Gut.

    Das geschieht mit Onkel Hans, das geschieht mit dem „Siechen-Bus“ und seinen Nordic-Walking-Senioren, deren lächerlicher Sport „ein letztes Aufbegehren ist, bevor es in die Grube geht“. Und das geschieht auch mit Justin, der mit seinem deplatzierten Namen in 25 Jahren als vom Suff gezeichneter Bauer in Bunzenhardt Schweine füttern muss.

    David Beckhams Sohn heißt Brooklyn, weil er in Brooklyn gezeugt wurde. „Wenn das so weiter geht, müssten 90 Prozent der Bayern Hintermbierzelt heißen“, sagt Günter Grünwald. In diesem Land von Laptop und Lederhosen sind sie am Ende alle gleich, die Dicken und die Dummen, die Erzieher und die Mc-Donalds-Kunden.

    Schäbige Gestalten

    Alle sind sie hinter ihren bürgerlichen Masken schäbige Gestalten. Sie dienen einem höheren Demiurgen, weswegen man keinen simplen Filzstift kaufen kann, sondern mit Fragen nach einer Payback-Karte traktiert wird, deren man sich nur mit der Schilderung eiternder Pusteln erwehren kann.

    Die einen sind dumm, wenn sie ihren Kindern Namen geben wie Pablo Che Huppenberger, die anderen, weil sie sich zehn Minuten in die Warteschlange stellen und dann erst über ihre Schnellimbiss-Bestellung nachdenken. Alles Geschehen auf der Kabarett-Bühne folgt einem komischen Malstrom an Assoziationen, dessen Sog erst dann versiegt, wenn der tote Opa mit in den Kindergarten genommen wird, wo er selbst als Hüpfburg dient und sein Glasauge als Fangspiel. Auch das ist ein Weg, menschliche Verdrängungsleistung offenzulegen.

    Aus dem beschädigten Leben

    Das beschädigte Leben der Mittelmäßigen genügt Grünwald vollauf für sein Programm. Zweimal streift Grünwald im weitesten Sinne politisches Kabarett – und erntet missmutiges Raunen im Publikum. Dabei weiß der Ingolstädter doch, dass Politik nur die Nebenwirkung einer viel umfassenderen Krankheit ist.

    Als Zugabe spielt Grünwald den Bodyguard Bonzo aus seiner Fernseh-Comedy, ein Zuckerl für seine rund 500 begeisterten fränkischen Fans, denen er ein Wiedersehen verspricht.

    Sie würden gewiss ein zweites Mal nicht glauben, wen sie da vor sich haben.

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